Freitag, 2. August 2013

Neue Bescheidenheit oder: Es muss nicht immer Kaviar sein

Bei den Erfurter Domstufenfestspielen habe ich mich in den Empfang der HELABA, der Hessischen Landesbank hineingemogelt. Und wenn man dann so am Tischchen steht und ein bisschen die Ohren aufsperrt, kommen einem die interessantesten Dinge zu Ohren.
"Das ist doch auch mal schön, so etwas, und die Karte kostet - erste Kategorie - 70 Euro, das ist doch unglaublich, und die Qualität ist ja echt gut." "Ja, es muss nicht immer Bayreuth oder Salzburg sein." "Die Met und die Scala haben ja auch sehr nachgelassen."
Von einer anderen Ecke scholl es: "Du hast eine neue Wohnung, habe ich gehört, und sehr schön - und preiswert eingerichtet." "Ja, es kommt ja auf den Kontrast an, guck mal, wenn du ein 1A-Parkett hast, dann musst du gewebte Läufer drauflegen, Perser wären hier völlig Overstatement; es müssen auch nicht immer Originale von der ART BASEL sein, ich habe einfach meine Fotos von der letzten Reise von einem Profi rahmen lassen und: Bingo. Und wenn du Designer-Regale hast, kann man auch Nippes reinstellen, es muss nicht immer Swarovski sein, auf den Gegensatz kommt es an."
Dann wieder vom Schampustisch: "Wir gehen jetzt ganz oft in die Aussenquartiere essen, da bekommst du so lecker ein Dreigang für 50 Euro, und wirklich kreativ gekocht, der ganze Nouvelle Cuisine-Mist hängt einem ja ein bisschen zum Hals heraus. Es muss nicht immer Kaviar sein."
Und wieder aus einer anderen Schallquelle: "Weisst du, wo wir diesen Herbst in Ferien gehen? In ein Wellnesshotel - im Odenwald! Mal richtig erholen. Es muss ja nicht immer St. Moritz sein."
Ich bekam das kalte Grausen. Ist die Neue Bescheidenheit in der Chefetage ausgebrochen? Machen jetzt die Reichen und Schönen auf sparsam? Und warum regte mich das Ganze so auf?
Es regte mich auf, weil die Damen und Herren offensichtlich gewisse Dinge nicht mehr präsent hatten: 70 Euro für eine Oper sind für viele Leute auch unerschwinglich. Die schöne Wohnung scheitert daran, dass man eben kein Parkett bekommt, und den Kontrast zwischen Edel und Einfach muss man sich auch leisten können, sonst kontrastiert man Billig mit Superbillig. Für einen Hartz IV-Empfänger ist jedes Auswärtsessen ein ferner Luxus, genauso wie ein Urlaub, es sei denn im Zelt und mit Rucksack.
Wenn behauptet wird, dass man sich einem Normalmass nähert, dann sollte man sich darum kümmern, wo sich eben dieses Normalmass befindet.
Nein, dieses Es-Muss-Nicht-Immer-XY-Gehabe ist Borniertheit pur. Ich finde es sogar ekliger. als zum Luxus zu stehen.
"Es muss nicht immer Kaviar sein" Der Satz ist schlimmer, als zu sagen:
"Für mich muss es eben Kaviar sein."
Aber vielleicht kann man sich solche Sachen auch wieder leisten, wenn man reich, erfolgreich, schön und berühmt ist. Denn die VIP-Gäste der HELABA zahlen natürlich nichts für die Karten der Festspiele (übrigens Turandot), sie werden in der Pause zum Sekt und danach zum Essen eingeladen. Wenn ich so viel geschenkt bekomme, dann habe ich auch wieder Geld für Parkettwohnungen, Dreigänger und Wellness.
Vielleicht ist das der Trick: Werde reich und  berühmt, dann bekommst du wieder alles geschenkt.

P.S. Die Helaba-Story ist (fast) wahr. Dazu in einem anderen Post mehr.

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