Montag, 26. August 2013

Kennen Sie das Wort "Feierabend"?

"Wie schaffst du das eigentlich alles?", fragt mich mein Kumpel Ruedi, "du hast zwei Schulstellen, du hast zwei Ensembles..." "Drei", unterbreche ich, "ich vertrete gerade die Dirigentin des Jubilate-Chors, und bei der Tosca am Theater bin ich auch noch dabei." "Ok, du bloggst einmal die Woche..."
"Zweimal", unterbreche ich. "Du gehst jeden Tag schwimmen, deine Wohnung sieht aus wie eine Meister-Proper-Reklame und dann bist du am Wochenende trotzdem ständig unterwegs..." "Vergiss nicht den Vorstand des Chordirigentenverbandes und das Vierhändigspiel", moniere ich.
Ja, wie schaffe ich das eigentlich? Alles eine Frage der Atemtechnik, sagt der Elefant auf dem Baum bei Gaymann, alles eine Frage der Organisation, sage ich. Und ich gebe Ruedi ein paar Tipps mit auf den Weg:
*Keine unnötigen Termine, Sitzungen, Mails...
*To-do-Listen, die man auch an einem Tag bewältigen kann
*Lust-Prinzip: Hast du zur Arbeit grade Mut/geh frisch daran, dann wird sie gut. (Lebensmotto meiner Oma)
Ruedi beherzigt die Tipps sofort. Er schwänzt seine völlig redundanten Meetings, kürzt die Aufstellungen, die sein Chef ihm auf den Schreibtisch legt und macht Quotes und Protokolle am Samstagabend, dafür legt er am Montag die Füsse auf den Tisch. Nach zwei Wochen ist er von einem Burnout weiter entfernt als Pluto von der Sonne. Ihm wurde gekündigt.
Ich glaube, mein Geheimrezept ist einfach, dass ich SELBER entscheide, plane, einteile und mache. Niemand verheizt mich, ausser ich übernehme das selber. In einer Firma sieht das völlig anders aus.
In einer Geschichte werden dem Bewerber für eine Stelle drei Fragen gestellt:
*Halten Sie es für richtig, dass der Mensch nur zwei Arme, Ohren, Beine etc. hat?
*Wie viele Telefone können Sie gleichzeitig bedienen?
*Was machen Sie nach Feierabend?
Die richtigen Antworten sind:
*Auch vier Arme, Beine... könnten meinem Tatendrang nicht genügen
*Ab 7 fühle ich mich ausgelastet
*Das Wort kenne ich nicht
Vor allem die letzte Antwort riecht förmlich nach Burnout. Der Hammer ist:
Die Story ist von 1956! Fast 60 Jahre alt! (Böll, Es wird etwas geschehen)
Lernen wir eigentlich nichts dazu?
Lernen wir eigentlich überhaupt nichts dazu?
Neulich ist in London ein Praktikant an Überarbeitung gestorben. Die Bank hatte Erholungsphasen so verstanden, dass sie die Mitarbeiter(innen) mit dem Taxi heimfuhr, aber nicht etwa zum Schlafen, sondern für eine Dusche und einen Ristretto. Das Taxi wartete vor der Tür. Ganz zynisch gesprochen, ist natürlich ein toter Mitarbeiter für eine Firma viel praktischer, also könnte man auf die Idee kommen: Wenn du eh schon ein Burnout hast, dann lassen wir keine Krankschreibung zu (viel zu teuer), wir hetzen dich grad in die Grube. Denke ich sarkastisch?
Aber unser Arbeitsleben ist zynisch und sarkastisch. Vor etlicher Zeit wurde die Sklavenhaltung abgeschafft, vor etlicher Zeit wurde die 40 Stunden-Woche eingeführt, vor etlicher Zeit wurden dem Menschen Erholung und Regeneration zugestanden. Irgendwie scheint das nicht für alle zu gelten.
Wie schaffe ICH mein Pensum? Auch, indem ich mal sage: Das geht jetzt nicht auch noch. Das langt jetzt nicht mehr.
Mir genügen zwei Arme und zwei Beine.
Ich kann nur ein Telefon bedienen.
Ich KENNE das Wort Feierabend.
Die Stelle in Wunsiedels Seifenfabrik hätte ich nicht bekommen.
Ich hätte sie aber auch gar nicht gewollt.
Böll hat übrigens noch eine andere Geschichte geschrieben, die Geschichte zur Senkung der Arbeitsmoral, die von dem Fischer, der eben JETZT schon in der Sonne liegt und nicht, wenn er alles erreicht hat. Sie müsste in allen Firmen Pflichtlektüre sein.

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