Dienstag, 16. April 2013

Wir konnten den Frühling (leider!) nicht vermeiden


Das Frühjahr! Jetzt ist es da! Und ich hatte so gehofft, dass es dieses Jahr ausfällt. Es sah nun auch wirklich so aus, als ob uns diese schreckliche Jahreszeit erspart bliebe. Die Ostereier suchten wir im Schnee, der Himmel im März blieb trübe, Schnee- und Graupelstürme trieben vor den Fenstern, und es war herrlich kalt, klirrend, eisig, sibirisch. Aber der Lenz hat sich heimlich und heimtückisch doch wieder durchgesetzt.
Sie freuen sich auf den Frühling? Aber ich bitte Sie, was bringt der denn?
Er bringt zunächst einmal Pollen, überall niesen und schnupfen die Leute, zücken ihre Taschentücher und ihre Sprays, jedermann hat sein Antihistaminikum in der Tasche und sein Asthmamittel griffbereit. Die Pflanzensamen wirbeln durch die Luft und verwandeln ganze Landstriche in Krankenstationen, wo rotäugige Menschen durch die Wiesen japsen, nur einem Gedanken verpflichtet: Blöder Heuschnupfen! Und das soll schön sein?
Die Sonne leuchtet Ihnen frisch, fest und fies in die Wohnung hinein und zeigt Ihnen alle die Stellen, für die Sie sich beim nächsten Verwandtenbesuch schämen müssen: Staub auf dem Regal, Schlieren auf den Fenstern, Fett auf dem Herd und Kalk in der Dusche. Also stürmen Sie den benachbarten COOP und decken sich mit Tonnen von Stahlwolle, Wollstahl, Scheuermittel, Mittelessig und Essigreiniger ein. Die Parole heisst nicht Osterspaziergang, sondern Osterputz, wochenlang werden Sie Ihre Böden und Wände schrubben, bis die Sonne Ihnen keine Peinlichkeiten mehr zeigt. Und das soll schön sein?
Im Winter durfte man zuhause bleiben und alle die Dinge tun, die am warmen Ofen so Spass machen: Lesen, Spielen, Ferngucken, Telefonieren, Stricken. Jetzt gilt man auf gilt man auf einmal wieder als Stubenhocker und Naturmuffel, wenn man eben NICHT  gerne mit dem Velo durch die Wiesen rast oder eben NICHT gerne am See entlang schlurft. Die Öffentliche Meinung treibt einen gnadenlos aus der Stube und schreit: Es ist Lenz! Lege dein Buch weg! Ab in die Natur! Rieche die Bäume! Sei beseelt! Und vor allem: BEWEGE dich! Und das soll schön sein?
Als es noch kalt war, konnte man sich in warme, weite Sachen hüllen, die die Körperrundungen sanft verbargen. Jetzt wird die Kleidung wieder leichter und luftiger und zeigt so manches Speckröllchen, das der Wintermantel lieb verhüllte. Und das soll schön sein?
Ganz zu schweigen vom Hormonschub, dem ja vor allem die Teenager erliegen. Kreischend und gackernd huschen sie durch die Lande, überall eine triefende Testosteron- und Östrogenspur hinterlassend.
Und das soll…???
Und hören Sie mir auf mit den Frühlingsliedern! Die sind alle verlogen, alle, alle. In Amsterdam gibt es gar keine Tulpen, die werden nämlich auf riesigen Feldern ausserhalb der Städte gezüchtet, und im Prater können auch keine Bäume blühen, da blinken nur so Lämpchen an Geisterbahnen und Rutschgedöns, und Palestrina kann man auf der Blofklöte gar nicht spielen, das ist mehrstimmig.
Nein, wir konnten den Lenz nicht verhindern, aber wir können eines tun: Ihn, so gut es geht, ignorieren. Wenn Sie also am  Leonhardsberg vorbeikommen und sich über die heruntergelassenen Rollläden wundern: Ich bin nicht in Urlaub, ich sitze in meiner abgedunkelten, pollenfreien, beheizten Wohnung, trinke Tee und lese. Ich mache Sommerschlaf. Im Herbst, wenn es endlich, endlich, endlich wieder kalt wird, komme ich wieder raus.

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