Der junge Mann im ICE
hämmert wie wild auf seinen Laptop ein. Seine Wangen sind gerötet, seine Haare
fliegen, wie gebannt starrt er auf den Bildschirm. Scheinbar muss er bis zum
nächsten Bahnhof, Kassel-Wilhelmshöhe, eine wichtige Sache fertig haben.
Dummerweise sitzt er auf einem Platz, der ab Frankfurt, das wir gerade
verlassen haben, reserviert ist, und zwar für mich. Ich tippe dem Herrn auf die
Schulter: „Entschuldigen Sie, aber der Platz ist reserviert.“ Zwei tiefblauge Augen starren mich an: „Das
geht nicht. Ich muss arbeiten.“ Ich entgegne, ich müsse auch arbeiten, deshalb
hätte ich mir ja einen Platz mit Tisch besorgt. Der junge Mann streicht sich eine blonde
Strähne aus der Stirn und beginnt ein Lamento: Er müsse dieses Dokument um
12.00 in Kassel präsentieren und er habe fest mit der Arbeitszeit im Zug
gerechnet, sein Chef werde ihn abmahnen, wenn er es nicht fertig habe, es ginge
um sehr viel, es ginge sozusagen um Tod und Leben. „Wenn es so wichtig ist“,
und damit beginne ich langsam, ihn von seinem – pardon, von meinem – Sitz zu
ziehen, „wenn es so wichtig ist und um Tod und Leben geht, warum hast du dann
nicht RESERVIERT?“ Der Jüngling schluchzt leise vor sich hin, weiss aber darauf
auch keine Antwort. „Jetzt lassen Sie den armen Menschen doch sitzen!“, mischt
sich eine Dame ein, „wenn er unbedingt arbeiten muss.“ „Ja, es geht doch um Tod
und Leben.“ Ich hole den Schaffner, der den Typ von meinem Platz entfernt und
unter feindlichsten Blicken der Umsitzenden
beginne ich zu arbeiten: Schaut mal, dieses arrogante Schwein, das die
Notlage des Anderen nicht sieht.
Der Hinweis auf die Notwendigkeit, Dringlichkeit, auf das
Interesse, die Wichtigkeit, die Bedeutung verblasst ein wenig, wenn man sich
vorher nicht gekümmert hat. So ist es zum Beispiel ein bisschen, nur ein
bisschen komisch, dass die türkischen Medien keine Journalistenplätze bei
diesem Prozess gebucht haben. Ich sage damit nicht, dass die deutschen Gerichte
bezüglich Ort nicht flexibler sein könnten, aber es ist doch merkwürdig, dass
eine Sache, in die sich beide Regierungen, der Botschafter und alle möglichen
Institutionen einmischen, vorher scheinbar nicht so bedeutend war. Denn die
Plätze wurden ja streng nach Reihenfolge vergeben. Der Hinweis darauf hätte
übrigens auch von deutscher Seite kommen können, vielleicht von den Politikern, die sich jetzt
so aufregen.Freitag, 12. April 2013
Ganz wichtig, deshalb habe ich auch nichts organisiert...
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