Dienstag, 29. Januar 2013

Entscheidungen?

Neulich, am Freiburger Hauptbahnhof: Ich brauche noch ein Ticket, ein Z'morge und will den neuen Tommy Jaud kaufen. Es fährt in fünf Minuten der ICE 3434 nach Basel, pünktlich. Und in fünfzehn Minuten der ICE 5656 nach Interlaken, allerdings eben nicht in einer Viertelstunde, er ist 60 Minuten verspätet. Ich entscheide mich für den ersten, das langt für Frühstück und Fahrkarte. Als ich dann im Zug sitze, mit Brötchen und ohne Buch, denke ich auf einmal, dass das Wort entscheiden hier ja völlig falsch am Platz ist. Eine Stunde am Bahnhof warten und in der Cafeteria Jaud lesen war nicht wirklich eine Alternative.
"Sänk yu for Tschuusing Deutsche Bahn", kräht es scheppernd durch den Lautsprecher. Auch hier ein Blödsinn. Welche anderen Möglichkeiten hatte ich denn, denn auswählen setzt ja mehrere verschiedene Dinge voraus? Ich komme auf Laufen, Velo, Taxi. Ich sehe mich im Geiste bei anbrechender Dunkelheit in den Rheinauen umherirren oder das Taxi bezahlen und eine Woche lang Kartoffeln mit Salz essen. Oder gibt es eine unbekannte Zuggesellschaft, die auch die Strecke fährt?

Mütter, die sich dafür entscheiden, ihr Kind zu Hause zu behalten, bekommen in Deutschland jetzt 100.-. Aber wer kann das denn? Albert und Inge, die beide Lehrstühle haben und ihre Zeit selber einteilen, ja, die schon. Aber Lucy, die alleinerziehende Sekretärin in Berlin-Mitte? Kann sie sich entscheiden? Wohl kaum, ausser für Hartz IV. Insofern ist die Herdprämie ein Präsent für Reiche.

Aber vorsichtig! Nicht nur die Oberen tricksen mit diesem Wort, auch wir selber:
"Ich entschied mich, die Schule zu verlassen und eine Lehre zu machen." - Die Lehrer hatten Sätze mit meinem Namen und dem Wort Abitur nur noch im Konjunktiv formuliert.
"Ich entschied mich für einen Wechsel der Arbeitsstelle." - Was mein Chef mir nahegelegt hatte, allerdings mit einem Küchenmesser an meiner Halsschlagader.
"Ich entschied mich für eine Auszeit." - Nachdem ich auf der Strasse umkippte und zwei Tage im Koma lag.
"Ich entschied mich für Hannelore." - Der einzigen der Verehrerinnen, die nicht drogensüchtig, vorbestraft oder spielabhängig war.
Passen wir also mit dem Wort entscheiden auf.
Den neue Tommy Jaud zu kaufen war übrigens eine echte Entscheidung. Aber eine schlechte. Den neuen Tommy Jaud nach der Hälfte aus dem Fenster zu werfen war auch eine Entscheidung. Eine gute!

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