Dienstag, 7. Januar 2025

Warum hat die EU keinen Charme mehr?

Mein Freund Gustav hat ein Problem: Er findet keine jungen Männer mehr, die ihn ins Restaurant, in die Oper, die ihn auf Reisen oder Kreuzfahrten begleiten und ein bisschen nett zu ihm sind. Er ist jetzt 75 und seit 20 Jahren ist sein Stern konsequent am Sinken. Ich treffe ihn in unseren Lieblingsbar und wir versuchen, diesem Problem ein wenig auf die Spur zu kommen.

Wir sind uns einig, dass es nicht an Gustavs Esprit, seinem Charme und Charisma liegen kann, das ist und war immer phänomenal, er ist ein wunderbarer Gesprächspartner, kulturell ohne borniert und gebildet ohne belehrend zu sein, er ist witzig ohne zotig und kontaktfreudig ohne übergriffig zu wirken. Gustav ist und war stets ein toller Begleiter, sei es bei einer Vernissage eines örtlich begrenzten Malers wie in Bayreuth oder an der Scala.

Gustav meint nun, es läge an seinem Aussehen und an seinem Alterungsprozess. Hier muss ich nun widersprechen: So hart und gemein und böse es klingt, er war nie eine Schönheit. Sein Haar war mit 40 schon grau, aber eben nicht in diesem attraktiven Richard-Gere-Ton, sondern in diesem Mausgrau/Aschgrau/Steingrau, das wir von dem Ehepaar in «Ödipussi» kennen. Seine Ohren sind genau das bisschen zu gross, das seine Nase zu klein ist und sein Silberblick ist nun eben auch kein Silberblick à la Marylin, sondern ein richtiges Schielen. Und seine Statur tendierte auch mit 55 Lenzen schon mehr Richtung Birne als in Richtung «Griechische Statue».

Woran liegt es nun, dass ihm Marco für den Wiener Opernball eine Absage erteilt hat und Jean ihn nicht auf den Grünen Hügel begleiten will? Woran liegt es, dass Janick ihn ghostet und Sebastian seine SMS nicht beantwortet? Woran liegt es, dass sein Stern so sinkt?

Ich bringe nun das zur Sprache, was Gustav nicht hören will und was er konsequent leugnet: Es liegt am Geld. Da er keine Einkünfte hat, sondern nur sein Erbe verzehrt, ist eben dieses Erbe nun sehr geschrumpft. Dazu kam, dass er grosses Pech am Aktienmarkt hatte und seine Immobilien sich in ihrer Jugendstil- und Gründerzeit-Schönheit als Geldfresser und nicht als Geldspender entpuppten.

Es liegt am Geld, und die Männer, die ihn vor 20 Jahren umschwärmten wie die Motten das Licht – um hier mal Marlene zu zitieren – wollten vor allem seinen Zaster. Und bekamen ihn auch. Und so gab es beim Wiener Opernball eben Kategorie I und viel Veuve Clicquot und dann eine Logis im Sacher, und jetzt gibt es nur noch Kategorie V und billigen Sekt und eine Absteige im 21. Bezirk – und selbst das muss Marco selber zahlen.
Mit dem Vermögen schwand Gustavs Attraktivität.

An eben diesen Gustav muss ich nun immer denken, wenn über die politische Lage in Europa und vor allem die EU geredet wird.
In allen Ländern gibt es Fraktionen, die einen Austritt wollen, in Grossbritannien hat man ihn längst vollzogen, in Osteuropa gibt es immer mehr Länder, die sich abwenden und in der Schweiz…
In der Schweiz…
Nun, in der Schweiz würde eine Initiative «CH endlich in die EU» nicht einmal einen Bruchteil der vorgeschriebenen Unterschriften erhalten. Ich glaube, die meisten Angesprochenen würden die vorgehaltene Pappe für eine Satire halten und würden sich ständig umblicken, ob nicht jemand hinter einer Hausecke hervorspringt und «Vorsicht Kamera!» schreit.

Woran liegt die EU-Müdigkeit aller Staaten? Nun, es könnte – und man muss diesen Gedanken einmal ganz ohne Emotionen zulassen – am Geld liegen. Bis vor 20 Jahren war die Europäische Union für viele ein Dukatenscheisser, ein Goldesel, eine Geldmaschine, an der man sich bedienen konnte. Und wer war und ist der grösste Netto-Zahler? Ja, die Eidgenossen wären es wohl, wenn sie mitmachen würden, nein, es sind die Deutschen.
Und nun spricht sich herum: Die BRD ist so gut wie pleite. Die Wirtschaft lahmt, die Infrastruktur ist am Ende, die Firmen wandern ab. Könnte es nun daran liegen, dass die Begeisterung für die EU immer mehr nachlässt?

Wobei Brüssel ja stets und immer betonte, dass die Europäische Union nicht nur eine Finanz- und Wirtschaftsgemeinschaft, sondern eine Werte-Gemeinschaft sei. Das ist schön formuliert, sehr schön, aber leider konnte man sich nicht darauf einigen, was diese Werte seien. Die Begriffe vom «Christlich-Abendländischen Erbe» und der «Christlich-Abendländischen Tradition» klingen ja wahnsinnig gut, aber was bedeuten sie? Und wie christlich ist das Abendland noch? Und was hiesse es, wenn die meisten sich als Christen bezeichnen würden? Aber mit Werten musste man sich ja nicht auseinandersetzen, wenn man an der Geldquelle sass…

Mein Freund Gustav hat ein Problem:
Seine Attraktivität sinkt, weil seine Geldreserven sich aufbrauchen, und Charme und Esprit für die vielen jungen Männer nicht so wichtig scheint.
Und das hat er mit der EU gemeinsam.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen