Jaruslaw Bigotsch und Juroslaw Bogitsch kamen vor zwölf Jahren aus Grogusien in die Schweiz. (Für weitere Information www.grogusien.com )
Jaruslaw fand eine neue Heimat in der kleinen Gemeinde Tarpteln (SG), sein Kumpel Juroslaw kam in der Nachbargemeinde unter, in Tenzumt (SG), und alles wurde sehr gut. Sie fanden Arbeit, der eine in der örtlichen Bäckerei und der andere im Gemeindefuhrpark, sie lernten Deutsch und Schweizerdeutsch, und sie engagierten sich in Vereinen, Jaruslaw ist mit seinen muskulösen Beinen ein gefürchteter Stürmer für den FC Tarpteln, Juroslaw ist mit seinen 1,99 Metern im SC Tenzumt als Basketballer aktiv. Es war eine Bilderbuchgeschichte, bis…
…ja, bis sich vor fünf Jahren zwei Gruppen auf der Strasse von Tarpteln nach Tenzumt trafen.
Hier muss man nun kurz ausholen und berichten, dass sich die beiden Gemeinden spinnefeind sind. Niemand weiss genau, wieso, warum, weswegen und seit wann, aber die Feindschaft ist klar und deutlich. Einige Leute aus Tarpteln sagen, dass die aus Tenzumt 1876 einen Esel entführt hätten, diesen geschlachtet und gegessen, andere sagen, die aus dem Nachbarort hätten 1925 ihre Gülle in die Tarptelner Brunnen geleert. Einige Tenzumter behaupten, dass die aus Tarpteln sich 1899 ein Stück Land unter den Nagel gerissen hätten, andere, der Streit habe 1950 begonnen, als die zwei Schwinger aus den beiden Orten in der kantonalen Endrunde gestanden hätten, wobei man dem jeweils anderen Betrug vorwirft.
Es ist jedenfalls nicht leicht, dies zwischen Tarpteln und Tenzumt, und als es zu dem Treffen kommt, kann man schon schlimme Dinge ahnen. Beide Gangs, je 8 Männer, haben schon getrunken, sind ein wenig im Krawallmodus und es braucht nicht mehr viel.
Nun sind die beiden Osteuropäer, der eine in der Clique aus Tarpteln und der andere in der Clique aus Tenzumt, keineswegs erpicht, aufeinander einzudreschen. Sie versuchen zu deeskalieren. Es geht ihnen aber ein bisschen wie Tony in der «West Side Story», der auch das Schlimmste verhindern will, und dann doch Böses tut. Die Ermahnungen der beiden «Ausländer» heizen die Stimmung noch mehr auf, es kommt zu einer wüsten Klopperei, einer Schlägerei der übelsten Sorte, und am Ende haben sowohl Jaruslaw als auch Juroslaw einem Gegner die Nase gebrochen.
Die beiden Grogusier werden wegen Körperverletzung zu bedingten Strafen verurteilt (für Deutsche: auf Bewährung), da sie sich zuvor nie etwas zuschulden kommen liessen.
Nun sitzen beide (jeweils in ihren Gemeinden) in den Kommissionen, die für die Erteilung des Bürgerrechts zuständig sind, denn sowohl Jaruslaw als auch Juroslaw haben einen Antrag auf Einbürgerung in die Eidgenossenschaft gestellt, sie möchten den Schweizer Pass.
Hier muss meinen deutschen Lesern noch deutlich erklärt werden, dass in der Eidgenossenschaft die Gemeinde als politische und soziale Keimzelle eine entscheidende Rolle spielt, die Frage also ist, wie man sich in der Gemeinde, in der man wohnt, integriert hat, und diese sind viele kleiner als im «Grossen Kanton», es gab keine (saublöde) Gemeindereform.
Bei den Gesprächen mit den Gemeindeleuten kommt natürlich auch der Vorfall vor einigen Jahren wieder zur Sprache. Sie haben sich, so die Sprecher von Tarpteln und Tenzumt, natürlich zu Beginn falsch verhalten, hätten dann aber die Kurve noch gekriegt.
Man redet eine Stunde aneinander vorbei, denn die beiden Osteuropäer denken, dass «falsch» gleich Gewalt und «Kurve kriegen» gleich anständigem Verhalten in den letzten Jahren heisst, es braucht sehr, sehr, sehr lange, bis die beiden begreifen: Der Deeskalationsversuch war der Fehler, die gekriegte Kurve war der Nasenbeinbruch!
Eine dauerhaft gepflegte Feindschaft zum Nachbarort gehört zur eindeutigen Leitkultur der beiden Gemeinden.
Ja, liebe Leserin und liebe Leserin, das ist nun einmal so, wir reden viel von «Integration» und von «Leitkultur», aber wenn wir die Begriffe einmal genauer ansehen, dann schwimmen sie uns davon. Kann man nun wirklich sagen, dass es zum kulturellen Erbe von Tarpteln (SG) gehört, den Leuten im Nachbardorf auf die Fresse zu hauen? Weil die 1876 einen Esel entführten oder 1925 Gülle in die Brunnen leerten? Kann man sagen, dass es Kulturerbe der Tenzumter (SG) ist, den Menschen im anderen Ort die Nase zu brechen? Weil die 1899 sich ein wertvolles Stück Land unter den Nagel gerissen haben oder 1950 beim Kantonalen Schwingfest betrogen haben?
Ich habe vor einigen Jahren in einem Stuttgarter Hotel eine muffige, schlechtgelaunte, eine einsilbige und wortkarge, eine bruddelnde und maulende Rezeptionistin erlebt: «Was wellet Sie?» «Ich habe ein Zimmer reserviert.» «De Ausweis!»… Das Besondere war: Die Dame war Chinesin. Sie hatte nicht nur Schwäbisch gelernt, sondern auch alles Lächeln und alles Asiatisch-Höfliche abgelegt, und sich die muffige, schlechtgelaunte, die einsilbige und wortkarge, die bruddelnde und maulende Art der Nesenbach- und Neckartäler angewöhnt.
Dumm, dass gleichzeitig die Stuttgarter im Dienstleistungsbereich sich in Richtung Freundlichkeit entwickelt haben…
Schön, dass Basel eine wunderbare «Leitkultur» hat, friedlich, bunt, traditionell, stimmungsvoll und UNESCO-zertifiziert.
Am 10. März ist es wieder soweit.
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