Freitag, 3. November 2023

Herbstreisen (4) - Das Humboldt Forum ist Fake (wie ganz Berlin)


Wir haben uns zum ersten Mal das Humboldt Forum richtig angeschaut.
Sie erinnern sich: Auf diesem Platz stand vor vielen Jahren das Berliner Stadtschloss, dieses wurde von der SED abgerissen und der «Palast der Republik» gebaut, nach der Wende wurde dann dieser dem Erdboden gleichgemacht und jetzt das Stadtschloss wieder restauriert. Also «restauriert» ist ein Euphemismus, es wurde komplett, total und vollständig neugebaut. Plus ein neuer Teil. Für japanische oder chinesische Touristen sieht es also so aus, als ob ein Neubau an einen historischen angeklebt wurde, in Wirklichkeit ist alles nigelnagelneu.
Das H. F. ist also Fake.
Aber ein perfekter.
Das muss man zugeben.

Schon der Name ist übrigens eigenartig und fakehaft. Ganz bewusst und frech wird da etwas gemacht, was es eigentlich im Deutschen nicht gibt: Das Nebeneinanderstellen von zwei Nomen. Es müsste also «Humboldtforum» oder «Humboldt-Forum» heissen, «Humboldt Forum» ist nicht erlaubt, der Name zeigt nun schon das ganze Konzept: Wir machen etwas, was es nicht gibt.

Ein perfekter Fake also. Egal, ob man die Mauern, die Stuckarbeiten, ob man die Figuren und Putten und Engel, ob man die Inschriften und Wappen, ob man Grundriss oder Fenster anschaut, Mauern, Stuckarbeiten, die Figuren und Putten und Engel, Inschriften und Wappen, Grundriss oder Fenster sind in einer unglaublichen Könnerschaft nachgemacht. So als ob es nie anders gewesen wäre. Das Einzige, was noch einen Wermutstropfen in die Perfektion mischt, ist, dass es noch Bilder vom (unglaublich schönen!) Palast der Republik gibt. Vielleicht müsste man hier – nach Stalin-Manier – einschreiten und alle, wirklich alle Aufnahmen des Bauwerks vernichten. Dann erst könnte man behaupten: Hier stand nie ein anderes Bauwerk. Nie. Wer sagt, es gab einen…, der lügt.

Das Humboldt Forum (bzw. «Humboldtforum» oder «Humboldt-Forum») ist als Fake nun ein wunderbares Bild für Berlin.
Denn Berlin ist Fake.
Gehen Sie nur einmal in ein Szenecafé. Da sitzen dann 12 Leute vor ihren Laptops oder Tablets und arbeiten an ihren Projekten. An ihren einmaligen, wichtigen Projekten, sie tun alle beschäftigt und wichtig und nervös, sie schlürfen ihren laktosefreien koffeinfreien Cappuccino, und sie würden rauchen, wenn das in Szenecafés noch erlaubt wäre.
Aber, wenn man genau hinschaut, dann sind die meisten auf Facebook, Instagram oder einem ähnlichen Kanal, natürlich offiziell, um dort ihr Projekt voranzutreiben, aber de facto machen sie andere Dinge. Wenige gamen offen oder schauen sich Videos an, natürlich, wenn man sie fragte, dann ist das eine Pause.
Gehen Sie aber auch einmal in eine Behörde. In jedem der 250 Räume stapeln sich die Akten, ja, die Akten, denn die Digitalisierung hat es noch nicht bis an Havel und Spree und Panke geschafft, und ständig werden Akten von Raum 132 in Raum 145 getragen oder von Raum 56 in Raum 18, in Wirklichkeit ist in all den Leitzordnern nur sinnloses Papier, falsch ausgefüllte Formulare, Vordrucke oder sogar einfach weisse Blätter. Und in jedem Büro sitzen Menschen, die so tun, als wüssten sie, was zu tun ist. Fake von A wie Aktuelles bis Z wie Zweifel.

Aber Berlin und Preussen war ja immer Fake. Die Hohenzollern sind die Weltmeister im «So-tun-als-ob».
«Des Deutschen Reiches Streusandbüchse», so nannte man Brandenburg. Bis zum 17. Jahrhundert war da nämlich nix als Sand. Gut, Gurken vielleicht, Spreewaldgurken, aber damit kann man auch kein Weltreich aufbauen. Sand, Sand, Sand, und zwar nicht etwa toller, wertvoller Sand wie an der Holländischen Küste, Sand, aus dem man Glas machen kann, Glas, das dann für Teleskope (Huygens) oder Mikroskope (Leeuwenhoek) taugt, nein einfach Sand. Wertloser Sand. Nutzloser, sandiger Sand. Und dann bauen die Hohenzollern aus nix eine Herrschaft, einfach, indem sie so tun, als ob.
Ja, und der grosse Friedrich der Zweite war ja auch das grösste Fake. Nach aussen der Untertanenversteher und Voltairekorrespondierer, der Musensohn und Flötenspieler, aber innen eben doch der Militarist. Denn der Untertanenversteher und Voltairekorrespondierer, der Musensohn und Flötenspieler hätte doch sagen müssen: «Schlesien? Blödes Land. Kann `s Marie Theres haben. Geschenkt.» Stattdessen werden zwei blutige Kriege geführt…

Ich bin in meiner Woche da auch ständigem Fake begegnet: Nach der Fahrt mit dem ÖV nach einem Fake-Fahrplan war ich in der Schwimmhalle, wo vier (!) Bademeister so taten, als ob sie auf das Wasser schauen, dann fuhr ich nach dem Fake-Fahrplan wieder zurück und kaufte fürs Frühstück in einem alternativen Quartier-Café überteuerte Industriebrötchen…

Wir haben uns zum ersten Mal das Humboldt Forum richtig angeschaut.
Wir erinnern uns: Auf diesem Platz stand das Berliner Stadtschloss, das total und vollständig neugebaut wurde. Alles nigelnagelneu.
Das H. F. ist also Fake.
Und als Fake ein Symbol für die ganze Stadt.



 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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