Dienstag, 14. November 2023

Wie viele Nailstudios, Bäckereien und Parteien braucht es?

Guten Tag. Lassen Sie mich Ihnen sechs wichtige Fragen stellen:

1) Wie viele Nail Studios braucht ein Ort mit 2000 Einwohnern?
2) Wie viele Nail Studios verträgt ein Ort mit 2000 Einwohnern?
3) Wie viele Kaffee- und Backwarenstände braucht ein Bahnhof mit 150 Abfahrten pro Tag?
4) Wie viele Kaffee- und Backwarenstände verträgt ein Bahnhof mit 150 Abfahrten pro Tag?
5) Wie viele Parteien braucht eine Demokratie?
6) Wie viele Parteien verträgt eine Demokratie?

Schwierige Fragen, nicht? Meine Antworten wären
1) null / 2) null / 3) ca. drei / 4) beliebig viele / 5) minimal zwei / 6) beliebig viele

Wie ich auf diese Antworten komme?
Nun, ich halte Nagelstudios für eines der schrecklichen Dinge überhaupt, aber das ist vielleicht Geschmackssache. Tatsache ist, dass ein Ort mit 2000 Einwohnern, statistisch gesehen, eine Menge Nail Studios hat, die Schweiz hat ca. 2200 Gemeinden und ca. 3400 Nagelschuppen, aber längst nicht alle Gemeinden haben 2000 Einwohner.
Drei Kaffee- und Backwarenstände halte ich für nötig, damit beim Lunchholen nicht zu grosse Schlangen entstehen. Aber wenn es 40 sind, stört das auch nicht. Die werden halt keinen Gewinn machen, aber das ist nicht mein Problem. Im Bahnhof Olten gibt es gefühlt 50 Bäckereien und Coffee Shops, und die meisten davon haben keine Kunden – dort wird Geld gewaschen.
Ja, und die Parteien. Zwei braucht es, da werden Sie mit mir einig sein, eine einzige Partei, die dann 80% der Stimmen bekommt, das ist dann keine Demokratie mehr, die können machen, was sie wollen. Aber umgekehrt kann es natürlich unendlich viele Parteien geben, man muss aber schauen, dass die unzähligen PARTEIEN nicht zu unendlich vielen FRAKTIONEN werden…

Aber es gibt natürlich Menschen, die hier völlig andere Ansichten haben.

Thea Charmekind, die zwei Strassen weiter wohnt, ist der Ansicht, dass man so viele Nail Studios braucht, dass frau spätestens in drei Stunden einen Termin bekommt – in einem Notfall, und Notfall heisst Nagel abgebrochen. Das gleiche gilt für Friseure und Visagisten. Und «verträgt»? Beliebig viele, so Thea, auch toll fürs Stadtbild, denn die dekorieren so hübsch. Nicht so wie die hässlichen Buchhandlungen, die legen nämlich – Thea legt einen ekelleidenden Unterton in ihre Stimme – Bücher ins Schaufenster.
Ruedi Schmidlin, der einen Backwarenstand im Bahnhof Olten betreibt, ist klar der Ansicht, dass es ausser ihm keinen braucht, und auch keinen verträgt. Die anderen Betreiber von ähnlichen Buden sind der gleichen Ansicht. Mein Nachbar Kurt ist der Ansicht null / null, denn er hat seit 30 Jahren keinen Bahnhof betreten. (Wozu hat man ein grosses Auto?)

Ja, und die Parteien. Beziehungsweise die Fraktionen.
Da ist es ja auch so, dass man ganz unterschiedliche Antworten bekommt, je nachdem welchen Blickwinkel man einnimmt.
Ein Amerikaner oder Engländer wird beide Fragen 5) und 6) mit «zwei» und «zwei» beantworten. Wir haben die Republikaner und die Demokraten, was braucht oder verträgt es noch? Wir haben die Tories und Labour, und jetzt? Natürlich gibt es kleinere Parteien, aber die spielen keine Rolle.
In der Schweiz ein buntes Spektrum, SP, SVP, CVP, EVP, GP, GLP, FDP usw. Spannend ist hier, dass mehrere Parteien eine Liste bilden – und dann auch eine Fraktion.

In Deutschland kann man die Meinung auf den Punkt bringen: «Jede neue Partei ist unnötig und schädlich.» Also nicht die Meinung des Volkes, aber die Meinung der etablierten Parteien. Und die werden gerade am meisten gefragt. Das ist aber so, wie wenn man die Inhaberin von «Super Nails» befragt, ob es in ihrem Dorf ein weiteres Nagelstudio braucht und ob dies schädlich sei. Das ist so, wie wenn man die Bäcker und Kaffeestände in Olten fragt, ob es noch mehr haben könne…
In meiner Jugend gab es eigentlich nur zwei Parteien, CDU und SPD, und manchmal brauchte es die kleine, winzige FDP als Zünglein an der Waage.
Dann kamen die GRÜNEN. Und lange wurde diskutiert, ob jetzt nicht die Demokratie im- oder explodiert, ob das System das verträgt und ob man nicht einen Riegel vorschieben muss.
Dann kam die LINKE. Und lange wurde diskutiert, ob jetzt nicht die Demokratie im- oder explodiert, ob das System das verträgt und ob man nicht einen Riegel vorschieben muss.
Dann kam die AFD. Und lange wurde diskutiert, ob jetzt nicht die Demokratie im- oder explodiert, ob das System das verträgt und ob man nicht einen Riegel vorschieben muss.

Und nun kommt Sahra Wagenknecht. Und ich sage: Willkommen. Natürlich verträgt Deutschland noch eine weitere Partei, und vielleicht braucht es auch noch eine neue. Und – mal ganz ehrlich – wenn die Wagenknechtpartei überflüssig und blöd ist, wird sie nicht gewählt und wieder verschwinden, wenn sie gewählt wird, dann war sie nötig.
Auf jeden Fall wäre Sahra eine gut angezogene Ministerin.

Gestern – der Post war schon fertig – war ich übrigens (wie jeden Tag) am Bahnhof Olten. Und das ist jetzt wirklich wahr: Der grosse Laden zwischen Gleis 4 und Gleis 7, jener, in dem die Handy-Klinik war und der so lange leer stand, hat einen neuen Mieter.
Und es ist nicht der einundfünfzigste Backshop / Kaffeestand!

Es wird ein Nagelstudio.

Man kann an der Menschheit schon verzweifeln.

 

   

 

 


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