Freitag, 10. Juli 2020

Wer ist wo warum dabei? oder: das Demo-Dilemma


Der Bürgermeister von Wessentrumm (Westfalen) hat in seiner langen Amtszeit eine ganze Reihe von Furz-, Schnaps- und Bierideen produziert. Da die schönsten dieser Furz-, Schnaps- und Bierideen bald in Buchform erscheinen werden, verzichten wir auf eine Auflistung und werden uns nur mit einer aus dem Jahre 2019 beschäftigen.
Die Furz-, Schnaps- und Bieridee, die im Juli 19 aus dem Rathaus kam, war die folgende: Bebauung des nördlichen Stadtwaldes mit einem Wohnheim für Asylbewerber. Es wäre eigentlich gar keine so schlechte, gar keine so dumme Idee, also gar keine Furz-, Schnaps- und Bieridee gewesen, wenn sich in eben jenem nördlichen Stadtwald nicht zwei extrem geschützte Tierarten befinden würden: Die Rosabauch-Unke und der Gefleckte Fillerfalter. Beide Spezies kommen in Deutschland nur noch in Westfalen und im südlichen Hegau vor. (Warum nur gerade da, müssen sie die Rosabauch-Unke und den Gefleckten Fillerfalter selber fragen.)

Nun formierte sich Widerstand, Widerstand, der sich aus den unterschiedlichsten Gründen gegen das Projekt wandte:
*  Der WWF, der BUND und zahlreiche andere Tierschutz-, Artenschutz und Naturschutzgruppen protestierten gegen die Bebauung, weil ein Aussterben der Rosabauch-Unke und des Gefleckten Fillerfalters eine „weitere ökologische Katastrophe“ wäre.
** Die Eigentümergemeinschaft der SIEDLUNG AM STADTWALD war natürlich contra, obwohl man sich auch manchmal an den Unken, die schon sehr laut sein konnten, vor allem in der Brunftzeit, und an den Motten störte, aber eine Horde von Syrern und Negern (stammt von denen, nicht von mir) natürlich viel schlimmer wäre und die Wohnqualität mindern würde.
*** Und natürlich war das ganze Spektrum von mittelrechts über rechts bis ultrarechts mit dabei, einfach weil man aus Prinzip gegen jede Art von Asyl war, das Boot sei voll, Deutschland gehöre den Deutschen und wir sind das Volk…

Aber natürlich gab es auch eine Seite, die den Bürgermeister unterstützte, und die war genauso bunt wie diejenige der Gegner:
*  Alle Flüchtlingshilfswerke, alle caritativen und politischen Organisationen, die sich für Asyl einsetzen, waren klar für eine Unterkunft.
** Die Industrie- und Handelskammer war für den Bau, weil es für die lokalen Maurer, Gerüstbauer, weil es für die Schreiner und Schlosser, weil es für alle Dachdecker, Maler, Gipser und Lackierer, weil es für alle am Bauwesen beteiligten einen tollen Auftrag gab.
*** Die Gewerkschaften, weil jedes Bauvorhaben Arbeitsplätze bringt.

Nun ergab sich eine merkwürdige Situation: Wer sollte für was sein? Der Riss ging durch Wohngemeinschaften, durch Ehen und Familien, durch Parteien und Gruppierungen. Vor allem die eher Linken taten sich schwer, „du kannst doch nicht mit Nazis gemeinsame Sache machen!“, riefen die einen den Projektgegnern zu. „Du schlägst dich auf die Seite des Kapitals!“, konterten die anderen.

Für den Samstag waren zwei Grossdemonstrationen in der Innenstadt angekündigt. Hier bot sich nun ein völlig groteskes Bild. Die eine Seite hielt Plakate hoch:

SCHÜTZT DIE TIERE VOR UNS MENSCHEN!
FILLERFALTER WOLLEN LEBEN!
KAMPF DEM PROFIT UND DEM KAPITAL!
KEIN BAU IM WALD!

Die andere hatte ebenso bunte Parolen:

KEIN MENSCH IST ILLEGAL!
WIE VIELE SOLLEN NOCH ERTRINKEN?
NAZIS RAUS!
FÜR EINE OFFENE UND FREIE GESELLSCHAFT!

Und gerade die eher fortschrittlichen Leute kamen sich total blöd vor, die auf der Pro-Seite mussten sich gefallen lassen, Profit und Kapital zu vertreten, die anderen, die auf der Kontraseite, mussten sich als Nazis und Fremdenfeinde bezeichnen lassen.

Es ist also nicht so einfach.
Man kann für eine Sache eintreten, und man kann sich nicht ständig überlegen, wer halt auch diese Sache vertritt. Und das schmälert die Sache nicht.
Bei der Menschenkette gegen die Pershing II waren auch dogmatische Marxisten dabei, ich weiss das, ich stand neben einem, einem Menschen, der gar keinen Frieden wollte, sondern nur die Amis bekämpfen, und zwar auch mit Waffen. Das schmälert die Friedenskette nicht.
Viele Kulturschaffende sind in der dummen Lage, nicht unbedingt CDU zu sein, müssen aber zugeben, dass konservative Kreise oft sehr kulturaffin sind – und die Linken oft eben nicht.
Ja.
Und bei den Anti-Massnahmen-Demos fordern Leute, angesicht niederer Zahlen, unsere Demokratie nicht völlig aufzugeben und einen Notstand bis zum Jüngsten Gericht zu verlängern.
Und das dürfen sie tun, auch wenn obskure Leute mitlaufen: Nazis, Verschwörungstheoretiker und Impfgegner.

Über die Gleichsetzung dieser Begriffe wird ein anderes Mal noch zu schreiben sein.    

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