Oh!
Mein Text!
Wo ist mein Text?
Ich muss ihn
gelöscht haben. Oder nicht gespeichert. Was ja auf das Gleiche herauskommt. Ich
habe nicht darauf geachtet, dass ich auf „SAVE“ drücke und jetzt ist er weg.
Oder habe
ich doch gesaved und man hat ihn mir gelöscht? War da irgendwer zu Gange? Die
NSA, der Mossad oder Bill Gates?
Ich glaube
kaum, der Text war harmlos.
Aber er war
gut.
Er war das
Beste, was ich je geschrieben hatte. Um so schlimmer, dass ich ihn gelöscht
habe oder nicht gespeichert, was ja auf das Gleiche herausläuft, oder dass Bill
Gates oder die NSA oder das KGB oder Ursula von der Leyen ihn mir gelöscht
haben, was ich nicht glaube.
Er war
phänomenal.
Mit diesem Text
hätte ich nach Klagenfurt fahren können und es wäre ein Spaziergang geworden,
aber auch zu Suhrkamp oder Kiepenheuer, Fischer hätte ihn mir aus den Händen
gerissen und Diogenes hätte ihn wahrscheinlich bei mir zuhause abgeholt.
Der Text war
so eine Wucht, dass jeder lebende Autor blass vor Neid geworden wäre und jeder
tote Autor aus dem Grabe gestiegen wäre, um mir zu applaudieren.
Ach, ich
habe ihn gelöscht (oder nicht gespeichert, wie gesagt…). Er ist verloren,
dahin, perduto und perdu, er ist dahin gegangen.
Dabei war er
so exzellent.
Was fragen
Sie? So gut wie Rilke? Besser. So gut wie Böll? Besser. So gut wie Brecht?
Besser. Wie Döblin? Hören Sie doch auf, Sie können nicht alle Dichter und
Poeten, nicht alle Autoren und Schriftsteller durchmachen. Es war einfach
besser als alles, was in ihrem Bücherschrank steht.
Der Text
hatte eine Reife, eine Raffinesse, hatte eine Schwermut und doch Leichtigkeit,
hatte eine Eleganz und doch edle Grösse, hatte eine Stilsicherheit und
Stringenz, dass einem schwindlig werden könnte.
Aber er ist
dahin.
Warum ich
ihn nicht wieder aufschreibe?
Weil er mir
nicht mehr einfällt, also Bruchstücke schon, aber der Text in seiner Gesamtheit
und Schönheit kommt mir nicht mehr in den Sinn.
Ich war von
der Muse geküsst worden, und das kommt ja nicht immer vor, ich habe über die
Musen ja schon geschrieben, sie sind träge und faul, sie sind wählerisch, sie
sind eitel und zickig, sie küssen selten, aber wenn sie küssen, dann kommt eben
so ein toller Text heraus, aber wenn Sie sich dann noch einmal an die Musen
wenden, dann kommt die lapidare Antwort:
«Wenn du
nicht speicherst, selbst schuld.»
Natürlich
weiss ich noch, um was es ging: Ein Mann sitzt auf einem Sofa, in einem Zimmer,
trinkt Wein und schaut aus dem Fenster. Und denkt an den Frühling.
Tja, sagen
Sie, das ist ja ganz simpel. Haben Sie recht. Aber wie ich es formuliert hatte!
Man konnte
das Sofa in seiner ganzen Form, seiner Farbe und Stofflichkeit vor sich sehen,
nein, mehr, man konnte es spüren, konnte es riechen, meine Worte bewirkten, dass
Sie förmlich mit Ihren Fingern über die Polsterung streichen konnten.
Und wie ich
den Mann beschrieben habe!
Man sasss
ihm gegenüber, und schon die ersten Worte der Beschreibung machten ihn in
seiner ganzen Existenz, seinem Wesen und seinem Schicksal klar.
Und wie ich
den Wein geschildert hatte!
Man roch
ihn, man schmeckte ihn, man spürte ihn auf der Zunge, man fing wirklich an,
Bewegungen mit dem Gaumen zu machen, um den Abgang besser zu erkunden.
Und ich habe
ihn gelöscht! (Oder nicht gespeichert…)
Ach, ich
habe ihn verloren, all` mein Glück ist nun dahin! Unglücksel`ges kleines
Textlein, dass ich dich nicht finden kann!
Allerdings
sind zwei Dinge positiv:
Ich reihe
mich ein in eine grosse Phalanx grosser Dichter, von denen Texte verbrannten,
verloren gingen, Texte verschüttet und begraben wurden, Texte, von denen es
natürlich keine Abschriften gab. Die Frau von Hemingway soll einmal einen
Koffer mit zwei Manuskripten auf dem Bahnhof verloren haben, was genauso
bescheuert ist, wie etwas nicht zu speichern.
Zweitens:
Ich kann
mich nun immer auf den gelöschten Text berufen.
Ja, ich
hatte auch mal was geschrieben, was Suhrkamp locker genommen hätte, dummerweise
hatte ich es nicht gespeichert.
Ja, nach
Klagenfurt hätte ich auch gekonnt, ich habe blöderweise den Text gelöscht.
Diogenes
hätte das ohne Probleme akzeptiert, aber der Text war weg.
Mein Text!
Wo ist mein Text?
Aber der
Text über den verlorenen Text ist ja nun auch ein ganz netter Text geworden.
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