Ralf schwimmt.
Er pflügt in seiner ultramarinblauen
Badehose durch das Wasser des Olympiabades, er schwimmt eine Länge, wendet,
schwimmt noch eine Länge, macht das 1 km lang und wird das übermorgen und
überüberübermorgen wiederholen, alle zwei Tage, 1000 Meter, mal Brust, mal
Crawl, er hat seinen Sport gefunden und er ist glücklich.
Hätten Sie nicht gedacht, gell?
Sie haben gedacht, Ralf sei einer von den
vielen Typen, die lange rummachen, verzögern, die denken und grübeln, nur um
nichts zu tun. Sie haben gedacht, dass der lange Prozess, der ihn schliesslich
ins Schwimmbad bringen soll, nur dazu dient, dass er eben keinen Sport macht.
Sie haben gedacht, dass er trotzt – oder eben wegen – seines Sportbücherlesens,
Schwimmbaderforschens, seines Badehosenkaufs und seiner anderen Vorbereitungen
gar nix macht.
Haben Sie gedacht.
Falsch gedacht.
Ralf schwimmt.
Er gleitet in seinem schicken blauen
Badetrunk durch das H2O des Olympiabades, eine Länge, er wendet, noch eine
Länge, er macht das 1000 m lang und wird das in 2 Tagen und in 4 Tagen und in 6
Tagen und in 8 Tagen wiederholen, 1 Kilometer, mal Crawl, mal Delphin, er hat
seinen Sport gefunden und er ist selig.
Manche Dinge brauchen einfach Zeit, manche
Dinge entscheidet man nicht mit Fingerschnippen. „Gut` Ding will Weile haben.“
So lautet ein altes Sprichwort. Und bei Ralf hat nun das gute Ding wirklich
Weile gehabt.
Vielleicht ist das die Crux unserer
hektischen Zeit, dass wir uns für nichts mehr Zeit nehmen. Früher war z.B. das
Verreisen eine Sache, die schon in der Planung einen in einen spannenden
Prozess gleiten liess, da wurden Tourist Informationen angeschrieben, da kamen
Prospekte mit der Post, Orte wurden gesichtet und Hotels ausgesucht, da wurden
Fahrkarten am Bahnhof (!) gekauft und Geld gewechselt. Und beim Anblick der
Francs, Gulden, Lire, beim Anschauen der Peseten und Escudos kam schon sehr
viel Urlaubsfreude auf.
Heute: ein paar Fotos im Netz, ach ja, das
wäre ganz schön da, auf booking.com mit 6 Klicks eine Bleibe gebucht, Tickets
online bestellt, zack-zack, und Francs, Gulden, Lire, Peseten und Escudos
brauchen wir ja auch keine mehr, weil wir ja den tollen Euro haben. Alles ganz
flott, aber das
Wir-freuen-uns-schon-bei-der-Vorbereitung-auf-den-Urlaub-Feeling, das kommt
nicht mehr auf.
Aber nehmen wir mal ein ernstes Thema: Wir
Westler belächeln immer die Gremien in der arabischen Welt, wenn die weisen
Männer zusammensitzen, im Schneidersitz im Kreis, das kann Tage gehen, da wird
erst einmal Shisha geraucht und Tee getrunken, Smalltalk wird gemacht, und dann
tastet man sich ganz langsam an das Thema heran, langsam, behutsam, und wenn es
doch konfliktuös wird, dann vertagt man auf Morgen oder raucht noch einmal
Shisha oder trinkt Tee. „Ineffektiv! Ziellos!“, schreien wir und zwingen den
Ländern unsere westliche Demokratie auf, die dann meistens gar nicht so gut
klappt.
Dabei hat man bei uns früher genauso
verhandelt: Nachdem man schon jahrelang vorgeplänkelt hatte, traf man sich vom
15. Mai bis 24. Oktober 1648 in Münster und Osnabrück und redete über 5 Monate
lang, und wenn man nicht weiterkam, dann rauchte man – nein, nicht Shisha, aber
Tobackspfyffen, und man trank auch keinen Tee, sondern Rotwein und das gute
westfälische Bier, und an jenem vierundzwanzigsten Oktober
Sechzehnhundertachtundvierzig wurde der Vertrag unterschrieben, der dreissig
Jahre Blut und Morden beendete und als „Westfälischer Friede“ in die
Geschichtsbücher eingegangen ist. Und der Europa eine neue Ordnung gab, die
lange hielt, zum Teil bis heute, mein Lieblingsland Niederlande bekam z.B. dort
die endgültige Freiheit.
Heute trifft man sich kurz in Berlin, husch,
husch, sitzt ein paar Stunden zusammen und hat einen Waffelstillstand für
Libyen, einen Waffenstillstand, der dann schon am nächsten Tag mehrfach
gebrochen wird. Dabei will ich das Verdienst von Angie gar nicht schmälern, sie
hat es versucht, und was für eine Frau, die pfeifen kann und alle kommen, aber
es hatte halt nicht die Weile, die jedes gute Ding braucht.
Wie lange würde eine ernsthafte Konferenz
zum Thema Flüchtlinge brauchen? Eine Konferenz, bei der alle Europäer teilnehmen
und an deren Ende auch die Osteuropies ihr Kontingent Syrer abbekommen? Nicht
Tage oder Wochen, nein, Monate. Aber warum nimmt man sich diese Zeit nicht? Die
Zeit, die man bräuchte, wenn man bei Verhandlungsstockungen eben erst einmal
Shisha oder Tobackspfyffe raucht und Tee, Wein oder Bier trinkt, oder Kaffee,
der ist ja auch lecker.
Ralf schwimmt. Falsch, nicht mehr,
inzwischen duscht er, er hat seine ultramarine Schwimmboxerhose ausgezogen und
gönnt sich jetzt Showerfit Mango® (Entscheidungszeit für dieses Produkt 1 Tag),
und dann wird er sich mit seinem Flauschi®-Handtuch trocknen (Entscheidungszeit
für dieses Produkt 3 Tage) und sich mit VERNIMA Aloe® seinen Körper einsalben
(Entscheidungszeit für dieses Produkt 2 Tage). Und er wird übermorgen wieder
ins Olympiabad zurückkehren.
Hätten Sie nicht gedacht, gell?
Manche Menschen brauchen halt Zeit,
bleiben aber dann beim Beschlossenen.
Gut` Ding will Weile haben.
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