Freitag, 6. März 2020

Der lange Entscheidungsprozess oder: Ralf will Sport machen


Ralf will mehr Sport machen, sagt er.
Schon hier müssen wir ihn eigentlich verbessern und fragen, was „mehr“ für ihn bedeutet, und ob er nicht meint, dass er überhaupt mal Sport machen sollte, aber das ist ein Detail. Lassen wir den Satz also so stehen, Ralf will mehr Sport machen.

Ralf sucht also einen Sport für sich, und Ralf geht das gründlich an, Ralf ist niemand, der Entscheidungen einfach so aus dem Nichts trifft. Ralf kauft sich also Bücher zu diversen Volkssportarten, um sich eingehend zu informieren. Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass es viel lustiger und effektiver wäre, verschiedene Sportarten erst einmal auszuprobieren, Ralf würde beim Probe-Velofahren, Probe-Inlinern, würde beim Probe-Bouldern, beim Probe-Schwimmen und beim Probe-Joggen, er würde bei Probe-Fitness und Probe-Zumba schon eine Menge Kalorien verbrennen und seinen Kreislauf in Schwung bringen, aber hier wird Ralf uns das entscheidende Wort entgegenwerfen:
Ausrüstung.

Er muss erst wissen, welche Sportart die seine sein könnte, und dann muss er sich eine exzellente Ausrüstung besorgen. Würde er in unoptimaler Kleidung zum Probetraining gehen, würde er ja immer meinen, dass es vielleicht wegen dem Equipment nicht geklappt hat. Nein, erst die Info, dann das 100% richtige Outfit, nein, vorher noch die 100% richtige Location. So stapeln sich bei Ralf also folgende Bücher auf dem Nachttisch:   
Piet van Venten: Effektives Velofahren von Anfang an, 135 Seiten
Roger Miller: Das Inliner-ABC, 87 Seiten
Willy Ashora Meier: Wie ich durch Bouldern mein Leben in den Griff bekam, 222 Seiten
Sara Zurbinden: Schwimmen für Anfänger, Neulinge und Beginner, 102 Seiten
Joschka Fischer: Auch du kannst laufen, das Wichtigste über Joggen und Rennen, 70 Seiten 
Sam McKuller: So komme ich ins Fitness-Studio und bleibe dort auch, 387 Seiten
Laurina Madonna: Zumba! Zumba! Zumba!, 198 Seiten

Auch wenn man bedenkt, dass die Bücher natürlich viele Bilder enthalten, wollen 1201 Seiten erst einmal gelesen sein, nur so zum Vergleich: Der Zauberberg hat in der Taschenbuchausgabe 1100. Und da Ralf als Manager nicht viel zum Lesen kommt, braucht es doch 6 Monate bis er eine Entscheidung treffen kann:
Schwimmen.
Und jetzt könnte ja einfach mit der Froboess singen:
Pack die Badehose ein / nimm dein kleines Schwesterlein
Und dann nischt wie raus nach Wannsee
Aber das wäre nicht Ralf, wenn er etwas macht, dann perfekt.

Nun also die Location. In seiner Agglo gibt es 8 Bäder: Das Olympiabad, das Sportbad, das Terrassenbad, das Winterbad, das Eisenbahnerbad, das Hallenbad am Fischerplatz, die Badehalle im Bodengrund und das Helene Mayer-Bad. Hier würde ein normaler Mensch nun auch alle acht Schwimmtempel einfach ausprobieren, einfach zu jedem einmal fahren und eine Weile schwimmen, dann wüsste er genau, welcher ihm am besten behagt.
Nicht so Ralf – denn:
Er müsste ja ohne wirklich professionelles Outfit dort auftauchen, in seiner uralten (auch zu engen) Jugendlichenbadehose, oder er müsste dort – der Himmel und alle Engel mögen ihn davor bewahren! – eine ausleihen. Nein, Ralf schaut sich alle Bäder ausgiebig im Internet an, zieht Erkundigungen bei Bekannten ein und überlegt sich Kriterien:
Braucht es eine 50 Meter-Bahn? Ja, braucht es.
Ist er bereit, auch ein wenig mehr Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen? Ja, ist er.
und so weiter…
Und nach 4 Wochen ist klar: Es wird das Olympiabad.

Nun also das Equipment.
Hier wird Ralf fast schwindlig, wenn er die unendlichen Möglichkeiten bedenkt. Allein für die Badehose scheint es 1001 zu geben; es ist dann noch wirklich verwirrend, dass die verschiedenen Anbieter die Produkte unterschiedlich benennen. Es benötigt ein paar Wochen – Ralf hat ja nicht nur Zeit für die Badehosensuche, er muss ja auch noch arbeiten und irgendwie seinen Haushalt bewältigen – bis er eine Entscheidung trifft: Er lässt die schlabbernden Teenie-Badeshorts genauso beiseite wie die doch etwas sehr wenigtextilen Slipformen und wählt die Form, die zum Teil als Badeboxer, zum Teil als Badetrunk bezeichnet wird, eine rechteckige Form, bei der noch ca. 25 Zentimeter des Oberschenkels bedeckt werden, er kauft ein ultramarinblaues Modell der Firma  A SAD ID® in dem er recht knackig aussieht.
Für Schwimmbrille, Nécessaire, Badetuch und diverse Pflegeprodukte braucht es dann nur noch eine Woche.

Seit seinem Entschluss sind 9 Monate vergangen, Frauen tragen in dieser Zeit ein Kind aus, aber das muss ihn nicht diskreditieren, 9 Monate sind um und nun kann ihn nichts mehr zurückhalten.
Oder doch?
Soll ich jetzt beschreiben, wie sein schlanker Body in der schicken Ultramarinhose im Olympiabad ins Wasser gleitet oder soll ich erzählen, dass er den Sport doch Sport sein lässt?
Ich weiss es nicht.

Es gibt nämlich beide Typen: Den Menschen, der für alles unendlich Zeit lässt, weil er diese Zeit braucht, weil bei ihm gut Ding Weile haben will, weil er alles, aber auch alles bedenken muss, wenn er aber eine Entscheidung getroffen hat, dann stimmt es. Vor solchen Menschen habe ich Respekt.
Und es gibt die Menschen, die Recherche und Überlegungsprozess nur als Ausrede benützen, nichts zu tun, die finde ich blöd.
Zu welcher Sorte gehört Ralf?

Lassen Sie mir Zeit bis zum nächsten Post.    

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