Ralf will mehr Sport machen, sagt er.
Schon hier müssen wir ihn eigentlich
verbessern und fragen, was „mehr“ für ihn bedeutet, und ob er nicht meint, dass
er überhaupt mal Sport machen sollte, aber das ist ein Detail. Lassen wir den
Satz also so stehen, Ralf will mehr Sport machen.
Ralf sucht also einen Sport für sich, und
Ralf geht das gründlich an, Ralf ist niemand, der Entscheidungen einfach so aus
dem Nichts trifft. Ralf kauft sich also Bücher zu diversen Volkssportarten, um
sich eingehend zu informieren. Natürlich könnte man jetzt einwenden, dass es
viel lustiger und effektiver wäre, verschiedene Sportarten erst einmal
auszuprobieren, Ralf würde beim Probe-Velofahren, Probe-Inlinern, würde beim
Probe-Bouldern, beim Probe-Schwimmen und beim Probe-Joggen, er würde bei
Probe-Fitness und Probe-Zumba schon eine Menge Kalorien verbrennen und seinen
Kreislauf in Schwung bringen, aber hier wird Ralf uns das entscheidende Wort
entgegenwerfen:
Ausrüstung.
Er muss erst wissen, welche Sportart die
seine sein könnte, und dann muss er sich eine exzellente Ausrüstung besorgen.
Würde er in unoptimaler Kleidung zum Probetraining gehen, würde er ja immer
meinen, dass es vielleicht wegen dem Equipment nicht geklappt hat. Nein, erst
die Info, dann das 100% richtige Outfit, nein, vorher noch die 100% richtige Location.
So stapeln sich bei Ralf also folgende Bücher auf dem Nachttisch:
Piet van Venten: Effektives Velofahren von
Anfang an, 135 Seiten
Roger Miller: Das Inliner-ABC, 87 Seiten
Willy Ashora Meier: Wie ich durch Bouldern
mein Leben in den Griff bekam, 222 Seiten
Sara Zurbinden: Schwimmen für Anfänger,
Neulinge und Beginner, 102 Seiten
Joschka Fischer: Auch du kannst laufen,
das Wichtigste über Joggen und Rennen, 70 Seiten
Sam McKuller: So komme ich ins
Fitness-Studio und bleibe dort auch, 387 Seiten
Laurina
Madonna: Zumba! Zumba! Zumba!, 198 Seiten
Auch wenn
man bedenkt, dass die Bücher natürlich viele Bilder enthalten, wollen 1201
Seiten erst einmal gelesen sein, nur so zum Vergleich: Der Zauberberg
hat in der Taschenbuchausgabe 1100. Und da Ralf als Manager nicht viel zum
Lesen kommt, braucht es doch 6 Monate bis er eine Entscheidung treffen kann:
Schwimmen.
Und jetzt
könnte ja einfach mit der Froboess singen:
Pack die
Badehose ein / nimm dein kleines Schwesterlein
Und dann
nischt wie raus nach Wannsee
Aber das
wäre nicht Ralf, wenn er etwas macht, dann perfekt.
Nun also die
Location. In seiner Agglo gibt es 8 Bäder: Das Olympiabad, das Sportbad, das
Terrassenbad, das Winterbad, das Eisenbahnerbad, das Hallenbad am Fischerplatz,
die Badehalle im Bodengrund und das Helene Mayer-Bad. Hier würde ein normaler
Mensch nun auch alle acht Schwimmtempel einfach ausprobieren, einfach zu jedem
einmal fahren und eine Weile schwimmen, dann wüsste er genau, welcher ihm am
besten behagt.
Nicht so
Ralf – denn:
Er müsste ja
ohne wirklich professionelles Outfit dort auftauchen, in seiner uralten (auch
zu engen) Jugendlichenbadehose, oder er müsste dort – der Himmel und alle Engel
mögen ihn davor bewahren! – eine ausleihen. Nein, Ralf schaut sich alle Bäder
ausgiebig im Internet an, zieht Erkundigungen bei Bekannten ein und überlegt
sich Kriterien:
Braucht es
eine 50 Meter-Bahn? Ja, braucht es.
Ist er
bereit, auch ein wenig mehr Anfahrtsweg in Kauf zu nehmen? Ja, ist er.
und so
weiter…
Und nach 4
Wochen ist klar: Es wird das Olympiabad.
Nun also das
Equipment.
Hier wird
Ralf fast schwindlig, wenn er die unendlichen Möglichkeiten bedenkt. Allein für
die Badehose scheint es 1001 zu geben; es ist dann noch wirklich
verwirrend, dass die verschiedenen Anbieter die Produkte unterschiedlich
benennen. Es benötigt ein paar Wochen – Ralf hat ja nicht nur Zeit für die
Badehosensuche, er muss ja auch noch arbeiten und irgendwie seinen Haushalt
bewältigen – bis er eine Entscheidung trifft: Er lässt die schlabbernden
Teenie-Badeshorts genauso beiseite wie die doch etwas sehr wenigtextilen
Slipformen und wählt die Form, die zum Teil als Badeboxer, zum Teil als
Badetrunk bezeichnet wird, eine rechteckige Form, bei der noch ca. 25 Zentimeter
des Oberschenkels bedeckt werden, er kauft ein ultramarinblaues Modell der
Firma A SAD ID® in dem er recht knackig
aussieht.
Für
Schwimmbrille, Nécessaire, Badetuch und diverse Pflegeprodukte braucht es
dann nur noch eine Woche.
Seit seinem
Entschluss sind 9 Monate vergangen, Frauen tragen in dieser Zeit ein Kind aus,
aber das muss ihn nicht diskreditieren, 9 Monate sind um und nun kann ihn
nichts mehr zurückhalten.
Oder doch?
Soll ich
jetzt beschreiben, wie sein schlanker Body in der schicken Ultramarinhose im
Olympiabad ins Wasser gleitet oder soll ich erzählen, dass er den Sport doch
Sport sein lässt?
Ich weiss es
nicht.
Es gibt
nämlich beide Typen: Den Menschen, der für alles unendlich Zeit lässt, weil er
diese Zeit braucht, weil bei ihm gut Ding Weile haben will, weil er alles, aber
auch alles bedenken muss, wenn er aber eine Entscheidung getroffen hat, dann
stimmt es. Vor solchen Menschen habe ich Respekt.
Und es gibt
die Menschen, die Recherche und Überlegungsprozess nur als Ausrede benützen,
nichts zu tun, die finde ich blöd.
Zu welcher
Sorte gehört Ralf?
Lassen Sie
mir Zeit bis zum nächsten Post.
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