Dienstag, 31. März 2020

Lasst uns kurvertieren!


Ich habe jetzt nicht nur einen Erzengel, sondern auch einen Cherub. (Cherub, nicht etwa Cherubim, das wäre der Plural, das ist genauso wie 1 Talib, 2 Taliban, das kriegt man ja fast nicht mehr weg…) Die betreffende Person hat – obgleich der Kindheit längst entwachsen – eine Engelsstimme, die die höchsten Höhen der Sopranpartien im Fluge erreicht. Und er erweist sich auch als ein wunderbarer Korrektor und hat einen Fehler gefunden, den mein Erzengel – wahrscheinlich ob der namen-, namenlosen Freude, dass ich mich seines Themas annahm – überlesen hat:
Kurvertieren.
Zunächst begreife ich nicht, was mein Cherub will, ich denke, es geht um den deutsch-schweizer Konflikt bezüglich Kuvert/Couvert oder Sauce/Sosse, dann entdecke ich das „r“. Es heisst natürlich
kuvertieren
und nicht
kurvertieren.

Jetzt komme ich ins Nachdenken: Müsste dieses Wort nicht existieren, im Sinne von „in Kurven legen, kurvig machen“? Jetzt sagen Sie nicht, es gibt schon solche Wörter. Klar, es gibt kurven, das heisst aber selbst in Kurven gehen.
Das Auto kurvt um die Ecke. Ich kurve durch die Gassen.
Es gibt sogar ein spezielles Wort für einen Fluss, der in Kurven fliesst:
Der Holderbach mäandert hier sehr stark.
Warum aber gibt es kein Wort für „in Kurven legen“?    

Das Gegenteil ist doch eines der wichtigen Wörter der deutschen Sprache: begradigen. Gerade machen ist wichtig, wir wollen alles gerade, korrekt, linear und ausgerichtet. Wir begradigen unsere Flüsse, wir begradigen unsere Bäche, wir begradigen unsere Penisse und wir begradigen unsere Nasenscheidewände.
Wir begradigen unsere Meinungen.
Wir begradigen unsere Ansichten.

Warum muss eigentlich alles immer gerade sein? Nehmen wir doch einmal die Flüsse, einer der grössten Flussbegradiger war Johann Gottfried Tulla (1770 – 1828), er stellte 1809 die Ideen einer Begradigung des Rheins vor, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts dann in extremen Arbeiten durchgeführt wurde. Dafür wurden ihm die höchsten Ehren zuteil, in Baden wimmelt es von Tullastrassen, Tullaplätzen, es wimmelt von Tulla-Türmen und Tulla-Brunnen, es gibt Tullapromenaden und Tulla-Parks. (Ich war in meiner Freiburger Studienzeit übrigens oft zu Gast in einer Frauen-WG in der Tullastrasse, die wir wegen der Damen in „Trulla-Strasse“ umbenannten, aber das nebenbei und es ist ja auch leicht frauenfeindlich…)
Gab es aber je einen Fluss-Kurvertierer?
Der gute Rhein, der europäische Strom, der Fluss des Weines und der Loreley, oder – wie Böll ihn nennt – „Undines gewaltiger Vater“ ist nämlich nicht gefragt worden, ob er die nächsten 150 Jahre geradeaus fliessen will, eingezwängt in ein enges Flussbett. Also: Ich werde jetzt Flusskurvertierer. Ich werde den europäischen Staaten Pläne vorlegen, die Ströme unserer Länder wieder in Schlaufen und Schlingen, in Kurven und Mäander zu legen, stellen Sie sich vor, wie hübsch das aussehen wird, wenn Inn und Rhein, wenn Mosel und Aare, wenn Ems, Weser, Seine und Po, wenn Rhone, Elbe und Ter, wenn Arno, Tiber, Themse und…
Donau, wie konnte ich dich vergessen, du Strom des Walzers und der Schlösser, du Donau so blau, pling-pling, pling-pling.
also auf jeden Fall, wenn alle die Flüsse in reizenden Kurven fliessen würden. Und bei jeder Schiffahrt würde man sich fragen, was jetzt hinter der Biegung kommt: Eine Insel mit Villa? Ein Felsen mit Nixen? Ein Ausflugslokal? Ein Park? Ein See? Ein Seeungeheuer?

Ich bin in Schwärmen gekommen. Aber habe ich nicht recht?
Während ich dies schreibe, höre ich den 1. Satz des Ersten Brandenburgischen Konzertes BWV 1046. (Nein, ich muss nicht schreiben, von wem. BWV heisst Bach-Werke-Verzeichnis, es ist also von Bach, gell, Sie haben sich immer verlesen und gedacht, diese Stücke wären von BMW gesponsert…) Also, ich höre diesen wunderbaren g-duresken Dreivierteltakt, und denke, dass da ja auch keine gerade Linie drin ist, das umspielt und trillert, das läuft und verziert, das diminuiert und akkordzerlegt, eine reine Reduktion auf die Stammtöne wäre kotzlangweilig.
Übrigens ist ja auch der 3/4-Takt eine kurvige Sache, man kann dazu nicht marschieren, das ist ja meistens geradlinig und geradeaus. Zu einem solchen Takt muss man tanzen – ja, und das in Kurven, wie auch zu Donau, so blau, pling-pling, pling-pling…

Lasst uns also unser Leben ein wenig kurvertieren! Ein wenig. Lasst uns ein wenig mehr in Schlingen und Schlaufen, in Kurven und Mäandern leben.

Und wenn Sie mir jetzt sagen, der Text heute wäre ein bisschen konfus, würde ein wenig eiern und kurven und hätte keine Stringenz (was für ein scheussliches Wort), ja er wäre nicht geradlinig…

Damit machen Sie mir das grösste Kompliment.    

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