Dienstag, 2. Juli 2019

Das Zuchwil-Modell: Einweihen ohne Eröffnen


Der Galerist Remo Hubbli von der Galerie In Dubio Pro Arte in Zürich hat Sorgen: Gestern hat ihm die Künstlerin Anna Revalia mitgeteilt, dass die Arbeiten ihrer neuen Reihe herzschmerzscherz wahrscheinlich bis zur Vernissage am 13.7. nicht fertig werden. Eine Katastrophe. Ein Desaster, denn die Einladungen sind nicht nur gedruckt, sondern auch schon verschickt, das Catering, die Combo und der Redner sind bestellt, und auch in den Zeitungen und Veranstaltungskalendern steht schon das Datum. Was tun?  

Die Leitung des Humboldt Forums in Berlin hat ein umgekehrtes Problem: Die Eröffnungs-Ausstellung ist organisiert und gebucht, alles ist in Vorbereitung, aber das verdammte Stadtschloss wird wahrscheinlich (wie alle Bauten in Deutschland) nicht rechtzeitig fertig werden.
Und was macht man mit dem Flughafen? Kann man es wagen, z. B. auf den 3. April 2024 eine Eröffnung zu legen? Aber wenn er dann immer noch Baustelle ist, was dann? Schliesslich werden ziemlich viele gekrönte und ungekrönte Häupter kommen. Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon Königin Maxima mit Macron anstossen, beide mit Sekt in der Hand und Bauhelm auf dem Kopf.  

Aber nun gibt es Lösungen!
Die kleine Gemeinde Zuchwil bei Solothurn macht es vor, und sie hat das erfunden, was als Zuchwiler Formel in die Geschichte eingehen wird. (Und, Leute, das ist wirklich wahr, Sie können es nachlesen, ich erfinde das nicht)
Die Zuchwiler Formel lautet schlicht und einfach:
EINWEIHUNG MUSS NICHT ERÖFFNUNG BEDEUTEN

Die Geschichte geht folgendermassen:
Vor einigen Jahren beschloss der Gemeinderat von Zuchwil, den Freibadbereich des Sportzentrums ab Herbst 2018 gründlich zu sanieren. Der Termin der Wiedereröffnung wurde auf den 1. Juni gesetzt. Dummerweise stellte man fest, dass die Sanierungsarbeiten sich aber bis Anfang Juli hinziehen würden.
Und nun kam das, was in Solothurn und Umgebung als Schildbürgerstreich, als Eugenspiegelei empfunden wurde, in Wirklichkeit aber ein obergenialer Schachzug ist, der unbedingt Schule machen sollte:
 
Die Einweihungsfeier wurde am Samstag trotzdem durchgeführt. Man hatte schliesslich Landammann Roland Fürst eingeladen und auch die Einladungskarte war schon gedruckt. In einem kleinen Kreis weihte man – ja was eigentlich – ein? «Wir weihen ein, was vorhanden ist», bleibt Gemeindepräsident Stefan Hug pragmatisch. Die nicht anwesende Bevölkerung werde dann an der Eröffnung des Freibads das erhalten, was sie am vergangenen Samstag hätte erhalten sollen.
(Quelle: Solothurner Zeitung vom Montag, 3. Juni 2019)

Man kann also Party machen, ohne etwas zeigen zu müssen, es kann Häppchen und Schnittchen und Schampus geben, ohne dass sich daraus irgendeine Konsequenz ergeben muss.
Die Eröffnung des Berliner Flughafens kann also getrost schon auf den 3. April 2022 (zwei Jahre früher als oben geschrieben) gelegt werden, und man muss keine Bauhelme verteilen. Maxima und Macron können in irgendeinem Raum anstossen und Schnittchen essen (irgendein Raum wird ja wohl schon fertig sein?!?!?!?!?!?!) und es muss nicht heissen, dass am nächsten Tag schon ein Flugzeug geht.

«Wir weihen ein, was vorhanden ist.»
Welch ein Satz, für diese bahnbrechende Lösung sollte Herr Hug den Orden des Vaterlandes bekommen.
In Zukunft werden wir Eisenbahntunnel mit Stromleitungen, aber ohne Gleise und solche mit Gleisen ohne Strom, wir werden Häuser ohne Dach und Kirchen ohne Boden, wir werden Museen ohne Exponate und Restaurants ohne Küchen, wir werden Stadien ohne Sitze und Wälder ohne Bäume einweihen.
Eben:
Das, was vorhanden ist.

Der Galerist Remo Hubbli von der Galerie In Dubio Pro Arte in Zürich hat bald keine Sorgen mehr: Gestern hat ihm zwar Anna Revalia mitgeteilt, dass die Arbeiten ihrer neuen Reihe herzschmerzscherz wahrscheinlich bis zur Vernissage am 13.7. nicht fertig werden, aber nach der Zuchwil-Formel kann er die Vernissage durchführen schliesslich sind die Einladungen nicht nur gedruckt, sondern auch schon verschickt, das Catering, die Combo und der Redner sind bestellt, und auch in den Zeitungen und Veranstaltungskalendern steht schon das Datum.
Hubbli wird kleine Zettelchen wie diesen an die Wände pinnen:

Hier wird ab dem 31.7. hängen:
Herz/Schmerz VVI
Öl auf Karton
6000.-

Und da Anna Revalia eine grosse Fangemeinde hat, wird es die erste Vernissage werden, auf der nichtexistierende Bilder verkauft werden.  



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