Dienstag, 9. Juli 2019

Schüler und das schlechte Deutsch der Lehrer


Wir machen mal wieder ein kleines Quiz: Was ist das für ein Text?

Es war nicht zu übersehen, dass der See mit Sternen übersät war. Es war, als hätte eine Fee das Wasser mit hellen Flecken angeweht. Während ich bewegt auf die Wellen spähte, wurde es spät. Die Helle und Wärme des vom Mond belegten Wassers war überwältigend. Wäre es nicht Sommer, sondern Herbst gewesen, hätte ich gehen müssen. So blieb ich am See stehen.
Ein Heer von Libellen schwebte über die hehre Szene. Sie regten sich hin und her. Märchenhaft flogen die Tiere über das kleine Meer. Wer wollte ihnen wehren?
Mein Kopf wurde leer. Das Leben lehrt uns die besten Dinge.

Genau. Das ist ein Diktat. Kennen Sie alle aus Ihrer Schulzeit, man versucht, in einem kurzen Text möglichst viele Wörter, die eine bestimmte Problematik haben, unterzubringen, hier die Setzung von e, ee, eh, ä und äh. Als ich den Text in meiner Klasse vorlas (er ist von mir selber), ging ein lautes kollektives Stöhnen durch den Raum. Ich grinste mein breitestes Grinsen: «Da habe ich mich wieder mal selber übertroffen, gell?» Die Jungen und Mädchen nicken heftig und schüttelten sich noch einmal vor Grauen.

Gut, bei Diktaten ist solch ein Blödsinn wahrscheinlich nicht vermeidbar. Aber warum werden Schülerinnen und Schüler permanent mit so schlechten Texten und schlechter Sprache konfrontiert?
Sie wollen Beispiele? Bitte:

Ich lerne gerade Französisch mit der DUOLINGUO®-App. Ich bin insgesamt hochzufrieden, aber bei einigen Sätzen, die ich vorlesen, ergänzen, zusammenstellen oder übersetzen muss, stellen sich mir alle Nackenhaare auf und ich bekomme leichte Würgereize:
Je suis une tortue.
Je suis une abeille.
Je mange la souris.
Le cochon s’appelle Madame Morel.
Ich bin weder eine Biene noch eine Schildkröte, ich esse keine Mäuse und ein Schwein heisst sicher nicht Frau Morel.

Bei der sogenannten Hunde-Probe wird ein Nomen durch «Hund» ersetzt, um den Fall zu bestimmen, weil man nur bei einem männlichen Nomen den Kasus eindeutig am Artikel erkennt:
Ich fahre mit der Bahn. / Ich fahre mit dem Hund (dem=Dativ)
Sprachaffine Schülerinnen und Schüler haben Mühe mit dem Verfahren, weil es ständig unsinnige Sätze produziert. Warum nimmt man nicht ein Nomen aus dem gleichen Wortfeld? (Ich fahre mit dem Zug.)

Ein Bauer verkauft ein Kilo Äpfel für 6 Franken. Wenn er 7 Kilo verkauft, wie viel Geld hat er dann eingenommen? Wie viel Geld nimmt er ein, wenn er das Kilo für 5 Franken verkauft und 8 Kilo verkauft?
Was denn nun? Kosten die Früchte jetzt 6 Franken oder 5 Franken und wie viel verkauft er jetzt denn wirklich? Müsste man da nicht irgendwie mit dem Konjunktiv arbeiten? Es gibt Studien, die zeigen, dass die Matheaufgaben und Mathebücher oft deshalb so schwierig sind, weil die Mathematikdidaktiker kein Deutsch können.

Aber man darf in der Schulzeit ja auch lesen. Zum Beispiel Die Insel der blauen Delphine, das wohl ödeste und langweiligste Buch, das je geschrieben wurde, das aber aus den Schulbibliotheken nicht weg zu kriegen ist. Kurz gesagt ist es eine 150seitige Robinsonade, allerdings ohne Freitag, sodass wir das Mädchen, das allein auf dem Eiland ist, bei vielen einsamen Tätigkeiten begleiten, sie macht Feuer, sie baut eine Hütte, sie isst Fisch, alles öde und detailliert beschrieben. Einer Schülerin oder einem Schüler, der die Klassenlektürenbibliothek unter Wasser setzt oder anzündet, sollte man keinen Schulverweis erteilen, sondern einen Orden verleihen.

Und dann alle die Schriften, die von der Schulleitung kommen! Ich erinnere mich: Einmal, ein einziges Mal, und zwar im Schuljahr 2012/2013 enthielt das ABC der Sekundarschule A. keinen Fehler. Da dachte man schon, jetzt sei endlich ein gewisses Niveau erreicht, aber schon 2013/2014 las man wieder schon auf Seite 2 beim Motto
Mann lernt nur mit dem herzen gut.

Eine sprachgewandte Schülerin oder ein sprachgewandter Schüler hat es schwer. Am Anfang wird er sich noch auflehnen, wird rebellieren, sie wird schreien und toben und innerlich Transparente entrollen:
GEBT MIR GUTES DEUTSCH! GEBT MIR GUTE SPRACHE!
Aber irgendwann wird er oder sie einknicken, und unsinnige und falsche Sprache, schlechte und langweilige Texte einfach akzeptieren.
Und dann Germanistik studieren.
Und dann 20 Jahre später im Lektorat bei Klett oder Cornelsen arbeiten.    

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