Freitag, 5. Juli 2019

Parkbank in Kiel zerstört (...von unwichtigen News)


PARKBANK ZERSTÖRT
Bei Baumfällarbeiten in Gaarden wurde gestern eine Parkbank durch herabfallende Äste fast völlig zerstört, zum Glück hatten die Arbeiter die Zone gut abgesperrt. Die Parkbänke werden immer wieder von Prostituierten genutzt, die dort auf ihre Freier warten.
(aus den News auf den Bus-Bildschirmen der Kieler Verkehrsbetriebe)

Habe ich nicht erfunden, ehrlich.
Ich habe den ganzen Tag in Kiel über diese Botschaft nachgedacht: Was wollten uns die Macher dieses Textes – ich wage es nicht, bei diesen Flachbild-News von Journalisten zu reden – damit sagen wollen? Wollten Sie damit andeuten, dass die Kieler Forstwarte schlampig und fahrig arbeiten (weil da Sachen kaputtgehen) oder eben gerade umsichtig und klug (weil man absperrt)? Wollten sie damit andeuten, dass die Nutte Nadaschja einer grossen Gefahr entgangen ist (es sind schon Literaten durch herabfallende Äste getötet worden) oder wollten sie eben dieses Dem-Tod-von-Schaufel-gesprungen-sein bedauern? Wollten Sie schreiben, dass es schlimm sei, dass jetzt Nutten im Stehen auf ihre Klienten warten müssen (tun das nicht die meisten?) oder wollten sie sagen, dass es den Damen Nadaschja, Xenika, Lola und Fargolla ganz Recht geschieht? War das ein Aufruf zur Zerstörung der Parkinfrastruktur, damit sich Rotlicht wieder in die Innenstadt kommt? Aber hatte man nicht eher die Puffs auf die grüne Wiese verlegt? (In München steht ein Hofbräuhaus, doch Freudenhäuser müssen raus… …und draussen vor der grossen Stadt steh’n die Nutten sich die Füsse platt…)

Wahrscheinlich ist die Lösung viel einfacher: Die völlig, total, aber wirklich extrem banale Nachricht wird mit dem pikanten Hinweis auf die Damen der Halbwelt ein bisschen, ein wenig, 7,1 % spannender gemacht, sie wäre sonst wirklich zu öde.
Solche 4 Zeilen-News waren früher auf den letzten Seiten von Tageszeitungen unter dem schönen Titel «Vermischtes». Heute bekommt man sie im Bus oder im Tram vorgespielt, und da haben sie den grossen Nachteil, dass man sie nicht wie in Zeitungen früher überblättern kann.

Rolf Dobelli warnt in seinem Denkfehler-Buch ausdrücklich vor dem Lesen dieser Nachrichten. Im Interview sagt der Zürcher Autor:
«Keine News. Ich weiss nicht, was läuft in der Welt. Wenn ich die Inhalte auswählen könnte, würde ich sehr gerne Zeitungen abonnieren. Zum Beispiel das Feuilleton der FAZ, die Wissenschaftsbeilage der NZZ. Aber reine News brauche ich nicht. Das ist wie Zucker fürs Hirn. Ich habe nichts gegen Zeitungen und nichts gegen gut recherchierte Storys. Aber ich habe etwas gegen den leeren Newslärm. Ich lebe seit einem Jahr ohne Newskonsum und es geht mir blendend, ich habe noch nie etwas Wichtiges verpasst.»

Aber gehen wir noch ein Stück weiter. Welche dieser News macht sie eher betroffen?

FAHRERIN VERLETZT
Am letzten Samstag wurde in (Dorf nahe bei Ihrem Wohnort einsetzen) eine 45jährige Autofahrerin bei einem Selbstunfall verletzt und musste ins Spital gebracht werden.

FAHRERIN VERLETZT
Am letzten Samstag wurde in San Pobilios (Paraguay)  eine 45jährige Autofahrerin bei einem Selbstunfall verletzt und musste ins Spital gebracht werden.

Das erste geht näher, gell? Dabei ist das vollkommen zynisch: Die hiesige Fahrerin ist wahrscheinlich total versorgt, sie hat eine Krankenversicherung, sie hat Lohnfortzahlung, selbst wenn sie invalid würde – was natürlich schrecklich wäre – würden irgendwelche Gelder gezahlt.
Maria Domingues, die verunfallte Frau in Paraguay hat nichts von alledem, für sie bedeutet der sechswöchige Spitalaufenthalt den Ruin. Da sie in dieser Zeit nicht als Zimmermädchen arbeiten kann und das Spital einen gewissen Anteil der Kosten verlangt, ist sie wirtschaftlich am Ende.

Dennoch geht uns die erste Geschichte näher, einfach weil sie aus der Nähe kommt.     
Und vielleicht ist das auch eine Erklärung der Kiel-Story: Sie interessiert uns, weil
·         wir die Forstarbeiter kennen
·         wir die zerstörte Parkbank kennen (kannten)
·         wir schon auf der Bank gesessen haben
·         wir die Damen Nadaschja, Xenika, Lola und Fargolla kennen und sie eben auf dieser Parkbank angesprochen haben

Ich muss Schluss machen, der Mann schräge gegenüber im IC 7 hat mir eben die Zunge herausgestreckt. Ich werde im eine knallen. Vielleicht schafft eine handfeste Prügelei im Frühzug es ja in die Bus/Tram-News.

GLOSSIST SCHLÄGT MITREISENDEM ZAHN AUS. 



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