Mit vier
Jahren zerrte man mich aus meinem Bett und setzte mich auf das Sofa vom Ehepaar
Bolay. Tante und Onkel Bolay (wie ich sie nannte) besassen den einzigen
Fernseher im Haus und man war der Meinung, in diesem Gerät erschiene etwas, was
der kleine Rolf nicht verpassen dürfte. Ich starrte die ganze Zeit in das
schwarzweisse Geflimmer und weinte, weinte, weil ich müde war, weil ich zurück
ins Bett wollte, weinte, weil ich den Sinn dieser Aktion nicht verstand.
Erst Jahre
später wurde mir klar, dass ich die Mondlandung geguckt hatte und dass
wahrscheinlich die berühmten Schritte von Armstrong eine der ersten realen
Erinnerungen sind, die ich habe – alle anderen, die aus den ersten
Lebensjahren, sind ja keine echten. Inzwischen weine ich nicht mehr, wenn ich
mir die berühmten Bilder ansehe, ich bin 54, da weint man bei anderen Sachen,
ich weine nicht mehr, aber den Sinn der Aktion habe ich auch nach 50 Jahren
noch nicht verstanden.
Oh, bitte!
Kommen Sie mir nicht mit dem Teflon® und dem Kugelschreiber und so Sachen, mit
allen den Dingen, die wir der Weltraumfahrt verdanken! Man hätte das Teflon®
auch erfinden können, ohne Milliarden für eine Reise zum Erdtrabanten
auszugeben; das wäre ja wie wenn jemand sich ein Ticket für die
Eröffnungspremiere auf dem Grünen Hügel besorgt, damit er endlich mal zum
Friseur geht und sich eine neue Hose kauft, einen Termin bei Coiffure Giacomo®
kann er auch ohne Wagner machen und Hosen hat es in der Stadt genug, da muss
man nicht zu Tannhäuser. Das wäre genauso, wie wenn jemand eine Reise nach
Usbekistan bucht, damit er endlich seinen Pass verlängert oder wie wenn jemand
den Umzugswagen bestellt, weil er sonst die Fenster putzen müsste.
Ich habe den
Sinn der Mondladung nie verstanden und ich werde ihn auch nie verstehen. Ich
weine nicht mehr, nein, das Flennen hat aufgehört, aber ich stehe der Aktion
genauso ratlos, genauso baff, stehe ihr genauso skeptisch und zögernd gegenüber
wie 1969.
Das Groteske
ist, dass ja auf einmal wieder über Flüge zum Mond geredet wird, und die beiden
alten Konkurrenten haben Konkurrenz bekommen: Nicht nur die USA und die Russkis
wollen zu Frau Luna, nein auch Indien und (natürlich! natürlich! natürlich!)
China. Habe ich jemand vergessen? Übersehen? Oder sind die Weltraumprogramme
von Korea, Iran und Irak noch im Geheimen? Warum plant man eigentlich nicht ein
gemeinsames Programm, wenn man schon den verrückten Gedanken einer erneuten
Mondlandung pflegt? Wäre doch logisch – aber logisch ist in dieser Welt ja eh
nichts.
Das Beste
für die Welt wäre es natürlich, wenn man einen Staat damit beauftragte, eine
Mondfahrt zu planen, zu organisieren und durchzuführen. Dieser Staat würde in
einem UNO-Mandat die Jubiläumsreise verantworten. Dieser Staat müsste ein
neutraler und unverdächtiger sein – und er müsste Geld haben.
Sie ahnen,
von welchem Land ich rede?
Von den
Eidgenossen natürlich.
Wäre das
nicht wunderschön? Die Schweizer auf dem Mond? «E chlii Schritt für e Mönsch, e
grosser Schritt für d’Mönscheit»? Einziges Problem ist es, dass bevor wir die
Raketenabschussrampe zwischen Eiger, Mönch und Jungfrau errichten können, die
Bevölkerung noch abstimmen müsste, denn in der Eidgenossenschaft herrscht
Volksdemokratie, und die Erfahrung hat gezeigt, dass die Walliser, Bündner und
Tessiner, dass die Zürcher, Luzerner und Basler, dass die Aar- und Thurgauer,
Genfer und Jurassier, Urner und Schwyzer Grossprojekten skeptisch gegenüber
stehen. Es wäre also viel Überzeugungsarbeit nötig, um Regionen, die nicht
einmal Olympia wollten, ein Raketenprogramm schmackhaft zu machen…
Vielleicht
ist es aber auch anders:
Geheimdokumente
belegen, dass Donald Trump auf dem Mond einen 51. Bundesstaat einrichten will,
in den er Meckerer und Motzer schicken will – besser gesagt: Meckerinnen und
Motzerinnen. Da man Damen, die nach seiner Ansicht «Amerika hassen», ja nicht
einfach «heimschicken» kann – sie sind dummerweise US-Bürgerinnen – kann man
ihnen vielleicht einen Wohnsitz im neuen Bundesstaat «Moon» nahelegen. Man
müsste es nur so formulieren, dass es eine Ehre ist.
1969 riss
man mich aus meinem Bett und setzte mich auf die Couch des Ehepaars Bolay.
Nenntante und Nennonkel Bolay besassen den einzigen Fernseher im Haus und man
war der Ansicht, in diesem Gerät erschiene etwas, was der kleine Rolf nicht
verpassen dürfte. Ich weinte die ganze Zeit, weil ich wieder in die Heia
wollte, weil das Geflimmer keinen Sinn machte, weil alles so verschwommen und
undeutlich war, ich weinte, weil ich müde war und nicht schlafen durfte. Ich
weinte, weil ich den Sinn der Aktion nicht verstand.
Ich weine
nicht mehr.
Aber ich
habe den Sinn der Aktion auch nach 50 Jahren nicht verstanden.
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