Als ich am Samstag
aus dem Hause wollte, fiel auf einmal Wasser vom Himmel.
Wasser vom
Himmel?
Ich erschrak
fürchterlich, das musste der Jüngste Tag sein, das Jüngste Gericht, stand nicht
im Propheten Frojim Und es wird Wasser
vom Himmel stürzen und Feuchte aus der Höhe; es werden die Schleusen geöffnet
werden und die Sturzbäche herabkommen (Frojim 12, 34+35)? Ich dachte also
an die Apokalypse, ich dachte an die Endzeit, ich dachte an Armageddon und
Ragnarök, ich dachte an die Götterdämmerung und das Ende des Kalenders, ich
überlegte, wie es mit meinem Sündenregister und meinem Karma aussieht, ich
erwog, noch geschwind den Zeugen Jehovas oder den Amish, den Methodisten oder
den Salafisten beizutreten, bis mir einfiel, dass ich das Phänomen unendlich
lange her schon einmal erlebt hatte. Ich hatte, das fiel mir auf einmal ein,
sogar den Namen für dieses Ereignis gekannt; nun hatte ich ihn vergessen.
Es war
irgendetwas mit zwei E.
Nebel? Nein,
Nebel war Bodendunst und den hatte es aber morgen gehabt, aber die Feuchtigkeit
war von unten nach oben gestiegen und nicht umgekehrt.
Wesen?
Leben? Hebel?
Delle?
Schwelle?
Leber?
Ein G war in
der Mitte, das wusste ich plötzlich wieder.
Regel?
Pegel? Flegel?
Heger?
Feger?
…………………………..
Regen!
Heureka! Das Phänomen hiess Regen! Das mir das entfallen war! Aber es hatte ja
so lange nicht geregnet, dass ich einerseits in völlige Panik gefallen war und
an den Propheten Frojim und an das Armageddon gedacht hatte und andererseits
den Namen vergessen gehabt hatte.
Was tut man
aber, wenn es regnet? Der letzte Regen war so lange her, dass auch diese Info
meinem Hirn entwichen war. Es musste etwas geben, denn es konnte ja nicht sein,
dass man völlig durchnässt am Ziele ankommt. Ich hielt meine Aktentasche über
meinen Kopf und überlegte. Es gab da, so kam eine Erinnerung langsam aus den
Tiefen meiner grauen Zellen zum Vorschein, einen Gegenstand, den man irgendwie
aufspannen konnte und der mit seinem Stoff wie ein Zelt über den Kopf gehalten
wurde.
Regenbaldachin?
Nein, so hiess das nicht.
Regenzelt?
Nein, auch nicht.
Regenschutz?
Regenplane? Regenstoff?
Regentuch?
………………………..
Regenschirm!
Natürlich, ein Regenschirm wäre jetzt von Nutzen, und plötzlich wusste ich
auch, dass ich einen besass. Ich stürmte also ins Haus, um meinen Regenschirm
zu suchen. Wo aber befindet sich eine Sache, die man gefühlte Äonen, die man
Jahrzehnte und Jahrhunderte, die man Ewigkeiten nicht benutzt hat? Sicher nicht
an der Garderobe, das wäre zu einfach, auch nicht im Flurschrank und nicht an
der Türe. Irgendwo versteckt.
Ich
durchforstete und durchkämmte meine Wohnung wie die Frau im Evangelium, die
ihre Münze sucht, und ich fand einige längst verloren geglaubte Dinge:
- den
Mitgliedsausweis der Gesellschaft zur Förderung der Philosophie Wittgensteins
- den Haltebolzen für meine Küchenmaschine
- die Fotos von den Azoren (Papierfotos! Wie
lange war das her?)
- meine grün-weisse Badehose, in der ich so
sexy aussehe
- meine Velopumpe
- drei Tuben Haargel Marke Zumblid® - die gab
es nicht mehr in der Drogerie
- meinen Reisepass
Einen
Regenschirm fand ich nicht.
So musste
ich wohl oder übel ohne Schutz aus dem Haus und wurde gehörig nass.
Es ist aber
schon interessant, dass wir uns an Zustände so gewöhnen, dass wir uns einen
anderen gar nicht mehr vorstellen können. Nach sechs Wochen Ferien haben wir
vergessen, zu welcher Uhrzeit wir normalerweise aufstanden, haben unseren
Wecker verlegt und wissen nicht mehr, welches Tram wir nehmen müssen. Nach
längerer Krankheit können wir uns gar nicht mehr vorstellen, zwei Stunden auf
den Beinen zu sein.
Und wenn es
eben so lange nicht geregnet hat, wie es jetzt der Fall war, dann ist ein
Regentag ausserhalb aller Phantasie und ausserhalb aller Vorstellungskraft.
Ja, wir
haben vergessen, wie Wasser vom Himmel heisst.
Und wir
finden unseren Regenschirm nicht mehr.
Mussten Sie
am Wochenende nicht auch suchen?
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