Dienstag, 21. November 2017

Lebensläufe



Ich habe eigentlich wenig Bedarf an Solisten, wenn ich eine Messe oder ein Konzert vorbereite, verlasse ich mich auf meine Stammtruppe. Dennoch flattern mir ständig Lebensläufe und CDs ins Haus von Leuten, die mir vorsingen wollen. Gestern war wieder so etwas im Briefkasten:

XYZ begann seine Studien bei Prominenter Name und setzte sie bei Prominenter Name und Prominenter Name fort. Nach seinem Abschluss machte er bei Prominenter Name die Ausbildung zum Konzertsänger.
Meisterkurse bei Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name und Prominenter Name.
Zusammenarbeit mit Orchestern wie Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name und Prominenter Name und Dirigenten wie Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name, Prominenter Name und Prominenter Name.
Engagements am Stadttheater Trier («Figaro» unter Prominenter Name, «Zauberflöte» unter Prominenter Name) und am Stadttheater Ulm («Aida» unter Prominenter Name).
Intensive Arbeit im Lied- und Oratorienfach. Zusammenarbeit mit Prominenter Name, Prominenter Name und Prominenter Name als Begleiter.

Wer will so etwas lesen?
Niemand.
Doch, Organisationen wie die Schlumpf-Stiftung, die Beckler-Stiftung, die Stiftung Dr. Blödhorn und die Stiftung Franziella Wiebel-Damhorst, Institutionen wie die Studienförderung Hessen-Nassau, die Studienstiftung Husum-Eiderstedt und die Begabtenförderung Südlicher Odenwald wollen genau solche Curricula.

Ich nicht.

Bestenfalls stimmt alles, das wäre schon mal ein kleines Plus. Es wird nämlich nirgends so geschönt, gefälscht, es wird nirgends so gelogen und geschwindelt, so geflunkert und betrogen wie bei CVs. Da hat man zweimal ein Orchester dirigiert und ist schon «Ständiger Gastdirigent»; oder das «Sinfonieorchester Jüterbog» ist eigentlich ein Ad-hoc-Haufen. Je weiter weg die Sache, umso mehr kann man lügen. Haben Sie jemals nachkontrolliert, ob das Filhrrmnotschik Oketradsa Lutenblag überhaupt existiert? Oder die Oppraera Kommischke in der Molwanîschen Hauptstadt?
Ganz nett wird es bei den Rollen. XY hat im Figaro gesungen. Aber was? Den Conte Almaviva oder die Nebenrolle des betrunkenen Gärtners? Was war er in der Zauberflöte? Sarastro oder Zweiter Priester?
Ich konnte einmal wirklich einen solchen Schwindel aufdecken. Da schrieb ein Tenor, der echt nicht singen konnte, er habe in einer deutschen Grossstadt in einer Produktion der «L'incoronazione di Poppea» mitgewirkt, und da mein Dirigierlehrer die Aufführungen leitete und ich auch zuhören konnte, wusste ich, was jener T.o.h.R. (Tenor ohne hohe Register) dort gesungen hatte: Den dritten Freund des Seneca, eine Partie, die an Kürze und Schlichtheit nicht zu überbieten ist und auch von meinem Postboten interpretiert werden könnte. (Oh, unterschätzen Sie meinen Postboten nicht! Er singt im Basler Gesangsverein und hat sich letzte Weihnachten mit einer ganz gelungenen Interpretation des Frohe Hirten, eilet, ach eilet für das Trinkgeld bedankt.)   

Wenn nun aber alles stimmt, macht es doch die Sache nicht besser. Die Curricula sind einfach langweilig. Sie fesseln nicht. Und wenn dann noch ein Oratorium aufgeführt wird, haben Sie sechs solcher Dinger vor sich: Sopranistin, Altistin, Tenor, Bass, Choreinstudierung und Gesamtleitung.
Was wäre aber nun besser?
Dinge zu schreiben, die wirklich spannend sind.
Mit wem hat die Sopranistin alles Affären gehabt?
Warum hat die Altistin von Prominenter Name zu Prominenter Name gewechselt? Künstlerische Gründe oder Zickenkrieg?
Ist der Tenor so schwul, wie er auf dem Foto aussieht?
Ist der Bass Alkoholiker?
Es würde einen doch viel mehr interessieren, wie viele Vorstrafen der Chorleiter hat, als die Anzahl der Einstudierungen.
Es würde einen viel mehr erfreuen zu wissen ob der Dirigent exotische Haustiere hat (und welche) als zu erfahren, dass er das eine oder andere Orchester in exotischen Ländern leitete. (Falls diese überhaupt existieren, siehe oben.)

Was wir bräuchten, wäre die gute alte Tradition des Fragebogens statt Curricula. Wenn die Fragen richtig gestellt sind, erfährt man alles über die Person. Gell, das ist klar: Ich meine solche à la Max Frisch und nicht die in der Partnersuchspalte des BLICK AM ABEND.

P.S.:

Molwanien und Lutenblag gibt es natürlich nicht wirklich, aber es gibt einen Reiseführer für Urlaube dort Molwanîen – das Land des schadhaften Lächelns. Ein absolut lesenswerter Klamauk! Übrigens hat Molwanîen inzwischen auch eine Homepage.

P.P.S.:
Der Gag mit der Prominenter-Name-Wiederholung ist vom Freiburger E-Musik-Kabarett Bos-Art- Trio.


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