Montag, 6. November 2017

Brauchen Museen Toiletten?



Die Baukommission für das Projekt «Neue Kunsthalle» in Boderstätt ist vorgestern geschlossen zurückgetreten. Vorangegangen waren etliche Diskussionen, in denen der Vorwurf, die Mitglieder hätten sich «von banalen Alltagsdingen leiten» lassen und seien «unfähig, einen grossen architektonischen Wurf zu erkennen» erhoben wurde. Wortführer der Kommissionsgegner waren vor allem Dr. Hubbler, der Feuilletonchef der Boderstätter Allgemeinen und der Oberbürgermeister Dr. Schmidt, die sich für die Neue Kunsthalle etwas Spezielles, Futuristisches, etwas Genialisches und Aufsehenerregendes wünschten.

Was geschah nun im Einzelnen?

In die engere Auswahl waren folgende Entwürfe gekommen:
·         Ein kreuzförmiger Stahlbau des Büros Graf & Bonvivant
·         Ein Holzquadrat des Büros Fossiebär
·         Ein Natursteindreieck des Büros Butter
·         Ein schlichter Betonbau des (unbekannten! schrecklich unbekannten!!!!) Büros Schulz

Nun wurde relativ bald gemunkelt, dass die Baukommission dem angeblich langweiligen und uninspirierten Entwurf des No-Name-Büros Schulz den Zuschlag geben wollten. In einer Presserklärung gaben die Mitglieder noch einmal bekannt, was sie – ausser architektonischem Gesamteindruck und Aufteilung der Ausstellungsräume – ebenfalls für wichtig hielten:
·         Genügend und erreichbare Toiletten
·         Genügend und erreichbare Schliessfächer
·         Einen passenden grossen Raum für einen Museumsshop
·         Einen passenden grossen Raum für ein Museumscafé

Und hier hatten doch die eingereichten Entwürfe der grossen Unternehmen etliche Schwächen an den Tag gelegt. Im Stahlbau des Büros Graf & Bonvivant zum Beispiel waren die Spinde, in denen man seine Taschen einschliessen wollte – eigentlich musste, denn mit Tasche wird ja niemand mehr in eine Ausstellung gelassen – im obersten Stock untergebracht, was für die Besucher vor dem Betreten der Räume im Erdgeschoss eine nette kleine Liftfahrt in das fünfte Geschoss mit sich brächte. Fossiebär hatte WC-Anlagen schlicht und einfach weggelassen. In seinen Holz-Kulturtempel passte die Idee von gekachelten, putzbaren, nüchternen und weissen Räumen ganz simpel nicht hinein. Im Butter-Entwurf schliesslich war der Shop in einem dreieckigen Raum untergebracht, was die Stellfläche für Regale natürlich aufs Schmerzlichste verringert. In allen drei Versionen war zwar ein Cafè vorgesehen, aber entweder zu klein (Graf), zu weit abgelegen (Fossiebär) oder ebenfalls wieder dreieckig (Butter).

Trotz dieser Presseerklärung tobte der Kampf weiter. Feuilleton und Bürgermeisteramt schossen mit übelsten Kampagnen gegen die Baukommission. Phrasen wie WC-Bauer, Spind-Architektur, Wörter wie Shop-Errichter und Caféismus machten da die Runde. Es gipfelte in der Aussage von Dr. Hubbler: „Wer Klos und Schliessfächer will, soll Bahnhöfe bauen.» und in dem Ausruf von Dr. Schmidt: «Wir verschenken keine Vision, weil jemand Kaffee trinken und Bücher kaufen will.»
Natürlich handeln die zwei nicht ganz uneigennützig; Schmidt, drei Jahre vor seiner Pensionierung, muss sich noch ein Denkmal setzen, und Hubbler erhofft sich durch die Eröffnung einen Karriere-Sprung, eventuell darf er auch überregional von der Einweihung berichten.

Nun ist die Baukommission also zurückgetreten, und man muss kein Hellseher sein, um zu wissen, was kommen wird: Die neue Gruppe wird gemäss dem Wunsch von oben entscheiden und einen der Entwürfe leicht abändern. So gibt es dann entweder Graf & Bonvivant mit 10 Spinden im EG als Alibi und den Rest oben, oder es gibt Fossiebär mit Dixie-Klos im Hinterhof oder es gibt Butter mit einem Shop, der aus einem riesigen Büchertisch im Dreiecksraum besteht. Kaffee trinkt man dann überall im Café Popel gegenüber, dessen Besitzer Mannie Popel übrigens auch gegen den Schulz-Entwurf wettert, Kunststück.

Was wäre nun aber die Lösung für solche Miseren?

Wir brauchen das Architektur-Genre des Leerbaus!
Ja, Sie haben richtig gelesen.
Wir brauchen im Stadtbild leere Häuser, in denen sich Büros wie Graf & Bonvivant, Fossiebär und Butter visionär, künstlerisch, in denen sie sich futuristisch und maximalarchitektonisch austoben können, ohne dass sie an so Lächerlichkeiten wie WC oder Garderobe denken müssen. Wir brauchen grosse, völlig leere Bauten, mit denen sich die Stadtväter und Kulturpäpste verwirklichen können, bei denen man solche Hemmschuhe wie Shop, Café, aber auch solche Hindernisse wie Barrierefreiheit oder Heizung einfach weglässt.
(Wussten Sie, dass in der Elbphilharmonie die Bühne zu wenig beheizt wird und die Musiker bei den Proben drei Pullis anziehen müssen? Hat auch niemand dran gedacht – bei einem Kostenvolumen von fast 900 Millionen…)

Mit den ersparten Kosten, denn ein Leerbau ist natürlich viel billiger, ohne Zwischenböden, ohne Treppen, ohne Sanitäres und Elektrisches, baut man dann noch einen kleinen Bau, der seinen Zweck schlicht und einfach erfüllen wird.

Wann also kommt die erste Ausschreibung?
Graf & Bonvivant, Fossiebär und Butter stehen schon in den Startlöchern.  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen