Die
Baukommission für das Projekt «Neue Kunsthalle» in Boderstätt ist vorgestern
geschlossen zurückgetreten. Vorangegangen waren etliche Diskussionen, in denen
der Vorwurf, die Mitglieder hätten sich «von banalen Alltagsdingen leiten»
lassen und seien «unfähig, einen grossen architektonischen Wurf zu erkennen» erhoben wurde. Wortführer der Kommissionsgegner waren vor allem Dr. Hubbler, der
Feuilletonchef der Boderstätter Allgemeinen und der Oberbürgermeister Dr.
Schmidt, die sich für die Neue Kunsthalle etwas Spezielles, Futuristisches,
etwas Genialisches und Aufsehenerregendes wünschten.
Was geschah
nun im Einzelnen?
In die
engere Auswahl waren folgende Entwürfe gekommen:
·
Ein kreuzförmiger Stahlbau des Büros Graf &
Bonvivant
·
Ein Holzquadrat des Büros Fossiebär
·
Ein Natursteindreieck des Büros Butter
·
Ein schlichter Betonbau des (unbekannten! schrecklich
unbekannten!!!!) Büros Schulz
Nun wurde
relativ bald gemunkelt, dass die Baukommission dem angeblich langweiligen und
uninspirierten Entwurf des No-Name-Büros Schulz den Zuschlag geben wollten. In
einer Presserklärung gaben die Mitglieder noch einmal bekannt, was sie – ausser
architektonischem Gesamteindruck und Aufteilung der Ausstellungsräume –
ebenfalls für wichtig hielten:
·
Genügend und erreichbare Toiletten
·
Genügend und erreichbare Schliessfächer
·
Einen passenden grossen Raum für einen
Museumsshop
·
Einen passenden grossen Raum für ein Museumscafé
Und hier
hatten doch die eingereichten Entwürfe der grossen Unternehmen etliche
Schwächen an den Tag gelegt. Im Stahlbau des Büros Graf & Bonvivant zum
Beispiel waren die Spinde, in denen man seine Taschen einschliessen wollte –
eigentlich musste, denn mit Tasche wird ja niemand mehr in eine Ausstellung
gelassen – im obersten Stock untergebracht, was für die Besucher vor dem
Betreten der Räume im Erdgeschoss eine nette kleine Liftfahrt in das fünfte
Geschoss mit sich brächte. Fossiebär hatte WC-Anlagen schlicht und einfach
weggelassen. In seinen Holz-Kulturtempel passte die Idee von gekachelten,
putzbaren, nüchternen und weissen Räumen ganz simpel nicht hinein. Im
Butter-Entwurf schliesslich war der Shop in einem dreieckigen Raum
untergebracht, was die Stellfläche für Regale natürlich aufs Schmerzlichste
verringert. In allen drei Versionen war zwar ein Cafè vorgesehen, aber entweder
zu klein (Graf), zu weit abgelegen (Fossiebär) oder ebenfalls wieder dreieckig
(Butter).
Trotz dieser
Presseerklärung tobte der Kampf weiter. Feuilleton und Bürgermeisteramt
schossen mit übelsten Kampagnen gegen die Baukommission. Phrasen wie WC-Bauer,
Spind-Architektur, Wörter wie Shop-Errichter und Caféismus machten da die
Runde. Es gipfelte in der Aussage von Dr. Hubbler: „Wer Klos und Schliessfächer
will, soll Bahnhöfe bauen.» und in dem Ausruf von Dr. Schmidt: «Wir verschenken
keine Vision, weil jemand Kaffee trinken und Bücher kaufen will.»
Natürlich
handeln die zwei nicht ganz uneigennützig; Schmidt, drei Jahre vor seiner
Pensionierung, muss sich noch ein Denkmal setzen, und Hubbler erhofft sich durch
die Eröffnung einen Karriere-Sprung, eventuell darf er auch überregional von
der Einweihung berichten.
Nun ist die
Baukommission also zurückgetreten, und man muss kein Hellseher sein, um zu
wissen, was kommen wird: Die neue Gruppe wird gemäss dem Wunsch von oben
entscheiden und einen der Entwürfe leicht abändern. So gibt es dann entweder
Graf & Bonvivant mit 10 Spinden im EG als Alibi und den Rest oben, oder es
gibt Fossiebär mit Dixie-Klos im Hinterhof oder es gibt Butter mit einem Shop,
der aus einem riesigen Büchertisch im Dreiecksraum besteht. Kaffee trinkt man
dann überall im Café Popel gegenüber, dessen Besitzer Mannie Popel übrigens
auch gegen den Schulz-Entwurf wettert, Kunststück.
Was wäre nun
aber die Lösung für solche Miseren?
Wir brauchen
das Architektur-Genre des Leerbaus!
Ja, Sie
haben richtig gelesen.
Wir brauchen
im Stadtbild leere Häuser, in denen sich Büros wie Graf & Bonvivant,
Fossiebär und Butter visionär, künstlerisch, in denen sie sich futuristisch und
maximalarchitektonisch austoben können, ohne dass sie an so Lächerlichkeiten
wie WC oder Garderobe denken müssen. Wir brauchen grosse, völlig leere Bauten,
mit denen sich die Stadtväter und Kulturpäpste verwirklichen können, bei denen
man solche Hemmschuhe wie Shop, Café, aber auch solche Hindernisse wie
Barrierefreiheit oder Heizung einfach weglässt.
(Wussten
Sie, dass in der Elbphilharmonie die Bühne zu wenig beheizt wird und die
Musiker bei den Proben drei Pullis anziehen müssen? Hat auch niemand dran
gedacht – bei einem Kostenvolumen von fast 900 Millionen…)
Mit den
ersparten Kosten, denn ein Leerbau ist natürlich viel billiger, ohne
Zwischenböden, ohne Treppen, ohne Sanitäres und Elektrisches, baut man dann
noch einen kleinen Bau, der seinen Zweck schlicht und einfach erfüllen wird.
Wann also
kommt die erste Ausschreibung?
Graf &
Bonvivant, Fossiebär und Butter stehen schon in den Startlöchern.
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