Der kleine
Herr Christoff war ferienreif. Er hatte zig Projekte gestemmt, hatte die
Reorganisation seiner Abteilung überlebt, er hatte gefühlte 250 Meetings und
gefühlte 300 Präsentationen hinter sich, Mails waren geschrieben und
Nachrichten gelesen worden, er hatte sich die Augen am Bildschirm und die Ohren
am Handy wundgerieben. Nun hatte er also für eine Woche ein kleines Ferienhaus
an der Ostsee gemietet, ungewöhnlich, denn es war Winter, aber der kleine Ort
hatte auf seiner Homepage einladend ausgesehen und vor allem nach dem, was der
kleine Herr Christoff brauchte: Ruhe. Der kleine Herr Christoff wollte gar
nicht Gott und die Welt sehen, er wollte ein wenig die Nase in den Seewind
strecken und dann in der gemütlichen Kate die Heizung anwerfen, Grog trinken,
er wollte lesen und Patiencen legen, er wollte das tun, was seine Neffen als
«chillen» bezeichnet hätten.
Als der
kleine Herr Christoff drei Tage vor der Reise an seinem Wohnzimmerfenster stand
und hinunterspähte, ob die Müllabfuhr schon gekommen sei, sprach das Fenster zu
ihm: «Was willst du eigentlich da an der rauen See?» «Chillen», sagte der
kleine Herr Christoff, «lesen, warm haben, auf dem Sofa liegen.» «Kannst du
alles auch hier», sprach das Fenster, «dazu musst du keine 1000 Kilometer durch
die Lande fahren. Du kannst die bescheuerte Tour immer noch canceln.»
Ein paar
Stunden später öffnete der kleine Herr Christoff seinen Flurschrank um etwas
Schuhcreme herauszufischen. Da begann der Schrank zu reden: «Ostsee! Nachts
minus 13 und tags plus 4. Und immer Wind. Da wirst du höchstens anderthalb
Stunden draussen sein, den Rest «chillst» du in einem winzigen Häuschen, dessen
Rieddach wahrscheinlich nicht einmal dicht ist. Bleib hier! Patiencen legen
kannst du auch zuhause.»
Auch die
Badezimmerkachelwand fragte, als der kleine Herr Christoff eine Dusche nahm,
denselben nach dem Grund seiner Fahrt. Und als er die Liste der Vorhaben wieder
herunterleierte, Strandspaziergänge, Sofa liegen, chillen, gut essen, viel
schlafen, fiel die Badezimmerkachelwand in den Chor der Dinge mit ein und
beschwor ihn wie Wohnzimmerfenster und Flurschrank, doch die beschwerliche
Reise sein zu lassen und zuhause zu bleiben. Der kleine Herr Christoff
beschloss aber, erst einmal eine Nacht drüber zu schlafen und notfalls morgen
die nötigen Schritte zu unternehmen.
In der Nacht
erwachte der kleine Herr Christoff von einem Raunen und Maunzen, das durch
seine Wohnung strömte. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, was da vor sich
ging: Die Dinge unterhielten sich, leise, windhaft, säuselnd, mit geisterigen
Stimmen.
…wir haben
ihn fast soweit…
…er wird
canceln, weil er denkt, dass er sich auch zuhause erholen kann…
…der
dummkopf…
….hihihihihihihi…
….und wenn
er dann da ist, ist es ein leichtes, ihn davon zu überzeugen, dass man doch ein
paar wenige dinge in der wohnung tun könnte…
…es bleibt
ja immer noch genug zeit zum chillen…
…hihihihihihi…
…und dann
wird endlich einmal das fenster geputzt und die kachelwand entkalkt…
…und der
flurschrank aufgeräumt…
…und…und…und…und…
Der kleine
Herr Christoff sass aufrecht im Bett. Das war es also, was die bösen Dinge
wollten! Die wollten, dass er dablieb, um jeden Tag 8 Stunden in der Wohnung zu
schuften! Denn wenn er den Flurschrank aufgeräumt hätte, würden sofort der
Schlafzimmerschrank, der Wohnzimmerschrank und der Küchenschrank auf
Gerechtigkeit pochen. Würde er die Badezimmerkachelwand von Kalk befreien,
würde die Küchenkachelwand stante pede die gleiche Behandlung verlangen. Von
den Fenstern ganz zu schweigen! Das sah ja auch nicht aus, wenn ein einziges
geputzt würde…
Der kleine
Herr Christoff begriff zum ersten Male wirklich, warum man in Urlaub fährt.
«Tapetenwechsel» hatte das seine Mutter immer genannt, und er verstand nun, was
sie damit gemeint hatte: mal raus aus dem Trott, abschalten, nichts Zutuendes
vor sich haben, keine Verpflichtungen und keine Vorhaben.
Am nächsten
Tag hielt der kleine Herr Christoff seinen Dingen eine Standpauke: «Ihr Bösen!
Ich habe euch heute Nacht gehört! Ihr wollt nur deshalb, dass ich dableibe,
damit ich hier arbeite! Aber nix da!
Ich fahre!
Ihr kommt schon noch irgendwann dran.»
Und so fuhr
der kleine Herr Christoff an die Ostsee und hatte tolle Ferien und erholte sich
prächtig. Und Sie sollten es genauso halten.
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