Freitag, 10. Februar 2017

Im Urlaub wegfahren, sonst putzt man nur die Wohnung



Der kleine Herr Christoff war ferienreif. Er hatte zig Projekte gestemmt, hatte die Reorganisation seiner Abteilung überlebt, er hatte gefühlte 250 Meetings und gefühlte 300 Präsentationen hinter sich, Mails waren geschrieben und Nachrichten gelesen worden, er hatte sich die Augen am Bildschirm und die Ohren am Handy wundgerieben. Nun hatte er also für eine Woche ein kleines Ferienhaus an der Ostsee gemietet, ungewöhnlich, denn es war Winter, aber der kleine Ort hatte auf seiner Homepage einladend ausgesehen und vor allem nach dem, was der kleine Herr Christoff brauchte: Ruhe. Der kleine Herr Christoff wollte gar nicht Gott und die Welt sehen, er wollte ein wenig die Nase in den Seewind strecken und dann in der gemütlichen Kate die Heizung anwerfen, Grog trinken, er wollte lesen und Patiencen legen, er wollte das tun, was seine Neffen als «chillen» bezeichnet hätten.

Als der kleine Herr Christoff drei Tage vor der Reise an seinem Wohnzimmerfenster stand und hinunterspähte, ob die Müllabfuhr schon gekommen sei, sprach das Fenster zu ihm: «Was willst du eigentlich da an der rauen See?» «Chillen», sagte der kleine Herr Christoff, «lesen, warm haben, auf dem Sofa liegen.» «Kannst du alles auch hier», sprach das Fenster, «dazu musst du keine 1000 Kilometer durch die Lande fahren. Du kannst die bescheuerte Tour immer noch canceln.»
Ein paar Stunden später öffnete der kleine Herr Christoff seinen Flurschrank um etwas Schuhcreme herauszufischen. Da begann der Schrank zu reden: «Ostsee! Nachts minus 13 und tags plus 4. Und immer Wind. Da wirst du höchstens anderthalb Stunden draussen sein, den Rest «chillst» du in einem winzigen Häuschen, dessen Rieddach wahrscheinlich nicht einmal dicht ist. Bleib hier! Patiencen legen kannst du auch zuhause.»
Auch die Badezimmerkachelwand fragte, als der kleine Herr Christoff eine Dusche nahm, denselben nach dem Grund seiner Fahrt. Und als er die Liste der Vorhaben wieder herunterleierte, Strandspaziergänge, Sofa liegen, chillen, gut essen, viel schlafen, fiel die Badezimmerkachelwand in den Chor der Dinge mit ein und beschwor ihn wie Wohnzimmerfenster und Flurschrank, doch die beschwerliche Reise sein zu lassen und zuhause zu bleiben. Der kleine Herr Christoff beschloss aber, erst einmal eine Nacht drüber zu schlafen und notfalls morgen die nötigen Schritte zu unternehmen.

In der Nacht erwachte der kleine Herr Christoff von einem Raunen und Maunzen, das durch seine Wohnung strömte. Er brauchte eine Weile, bis er begriff, was da vor sich ging: Die Dinge unterhielten sich, leise, windhaft, säuselnd, mit geisterigen Stimmen.
…wir haben ihn fast soweit…
…er wird canceln, weil er denkt, dass er sich auch zuhause erholen kann…
…der dummkopf…
….hihihihihihihi…
….und wenn er dann da ist, ist es ein leichtes, ihn davon zu überzeugen, dass man doch ein paar wenige dinge in der wohnung tun könnte…
…es bleibt ja immer noch genug zeit zum chillen…
…hihihihihihi…
…und dann wird endlich einmal das fenster geputzt und die kachelwand entkalkt…
…und der flurschrank aufgeräumt…
…und…und…und…und…

Der kleine Herr Christoff sass aufrecht im Bett. Das war es also, was die bösen Dinge wollten! Die wollten, dass er dablieb, um jeden Tag 8 Stunden in der Wohnung zu schuften! Denn wenn er den Flurschrank aufgeräumt hätte, würden sofort der Schlafzimmerschrank, der Wohnzimmerschrank und der Küchenschrank auf Gerechtigkeit pochen. Würde er die Badezimmerkachelwand von Kalk befreien, würde die Küchenkachelwand stante pede die gleiche Behandlung verlangen. Von den Fenstern ganz zu schweigen! Das sah ja auch nicht aus, wenn ein einziges geputzt würde…

Der kleine Herr Christoff begriff zum ersten Male wirklich, warum man in Urlaub fährt. «Tapetenwechsel» hatte das seine Mutter immer genannt, und er verstand nun, was sie damit gemeint hatte: mal raus aus dem Trott, abschalten, nichts Zutuendes vor sich haben, keine Verpflichtungen und keine Vorhaben.

Am nächsten Tag hielt der kleine Herr Christoff seinen Dingen eine Standpauke: «Ihr Bösen! Ich habe euch heute Nacht gehört! Ihr wollt nur deshalb, dass ich dableibe, damit ich hier arbeite! Aber nix da!
Ich fahre! Ihr kommt schon noch irgendwann dran.»

Und so fuhr der kleine Herr Christoff an die Ostsee und hatte tolle Ferien und erholte sich prächtig. Und Sie sollten es genauso halten.
  

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen