Dienstag, 16. August 2016

Die juristisch erkämpften Triumphe - ein Trauerspiel

Ich erzähle Ihnen jetzt mal eine Geschichte:
Als die Pianisten Sandra Beule (Name von der Red. geändert) mit Ach und Krach und Hängen und Würgen die Abschlussprüfung der Künstlerischen Ausbildung an der Musikhochschule Frankfurt (Name von der Red. geändert) geschafft hatte, ritt sie der Teufel und sie bewarb sich für die nächste Stufe, das Solistenexamen. Da man sie eigentlich schon bei der vorigen Stufe nur aus Gnade hatte durchkommen lassen, liess man sie jetzt durchfallen. Dummerweise machte man bei der Aufnahmeprüfung einen Formfehler. Solche Formfehler sind an Konservatorien häufig, weil die Professoren Künstler und Künstler eben keine Juristen sind. So kann es z.B. geschehen, dass man bei einem Pflichtstück, für das es laut Satzung 30 Minuten Vorbereitung gibt, den oder die zu Prüfende um 10.30 ins Übezimmer schickt und schon um 10.59 holt. Eigentlich geschenkt, aber formaljuristisch keine dreissig Minuten. Solch einen Fehler gab es, und Beule klagte. Klagte und bekam Recht, sie hatte sich also einen Studienplatz erfochten. Nun ist der Sinn einer Solistenausbildung eigentlich, sich bei einem anerkannten Konzertkünstler den letzten Feinschliff zu holen; die internationalen Pianistinnen und Pianisten in Frankfurt hatten aber alle keine Lust, Beule zu unterrichten. Erstritten hatte sie sich allerdings nur einen Platz, nicht einen bestimmten Lehrer oder eine bestimmte Lehrerin. Der, der sie aufnahm, war Fleischer, der Prof für Schulpraktisches Klavierspiel, also jemand, der sonst Schulmusikern beibringt, wie man nett und flott einen Song begleitet, von Rachmaninoff hat so jemand keine Ahnung. Bei Fleischer dümpelte sie nun 24 Monate dahin, bis sie mit Beethoven Nr. 5 ihr Examen in einem Orchesterkonzert ablegte. (Üblich ist hier normalerweise mindestens Tschaikowski 1.) Dieses Examen bestand sie nicht, man liess Beule hochgradig durchfallen, wobei drei Juristen den Prüfungsprozess begleiteten.

Was man sich nun fragt, ist doch das Folgende:
Was hat das Ganze gebracht? Wie muss so eine Person gestrickt sein, die zwei Jahre an einer Muho dahinvegetiert, von den anderen Studenten verlacht, von den Dozenten begrinst, von den Putzfrauen bemitleidet und dann erst nix hat? Was ist das für ein Mensch?
Die andere Frage ist, ob Sie das könnten? Ich könnte das nicht.
Könnten Sie auf einer Party erscheinen, zu der man Sie ausdrücklich nicht eingeladen hat?
Könnten Sie mit Freude einen Job antreten, für den Sie den Konkurrenten rausgemobbt haben?
Könnten Sie ein geklautes Bild in Ihrem Wohnzimmer aufhängen?
Ich nicht.
Aber es gibt so Leute, Leute, bei denen ich mich immer wieder frage, was da schiefgelaufen ist…

Bei Olympia 2016 haben wir ja auch so Fälle. Da erstreitet jemand seine Teilnahme vor Gericht, obwohl er oder sie offensichtlich in der Vergangenheit gedopt hatte. Am Wettkampfort wird man von allen anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmern ignoriert, vom Publikum ausgepfiffen, man schwimmt, läuft, springt oder wirft in eiseskalter Atmosphäre, und wenn man doch eine Medaille erringt, wird man mit Buh-Rufen auf dem Treppchen empfangen, sofern überhaupt noch jemand in der Halle ist…

Was hat der oder die von so einem Auftritt?
Ich habe mich lange gefragt, ob das genetisch bedingt ist, ob also bei solchen Leuten einfach ein Scham-Gen fehlt, ob ein Gen für das Ich-will-nicht-etwas-erreichen-wenn-mich-alle-hassen nicht vorhanden ist. Da muss doch ein erblicher Defekt vorliegen, wenn man irgendwo hineinstolziert, obwohl niemand einen dort haben will.

Als ich den Post schrieb, ich schrieb ihn im Zug, haben mich Kinder eines Besseren belehrt: Am Nachbar-Vierer waren die Plätze zu verteilen, und jeder der beiden Jungs (6 und 8) wollte neben der Grossi sitzen. Als keine Lösung in Sicht war, machten sie Schere-Stein-Papier. Das heisst aber, Kinder haben noch eine klare Vorstellung davon, was wem zusteht und wie man solche Sachen löst. Natürlich hätte der 8jährige dem Kleinen einfach eine Faust geben können, aber dann – das wusste er – hätte er allen dreien den Tag versaut. Kinder haben da also noch irgendwie ein Bewusstsein. Wann aber geht es verloren?

Wann klage ich eine Olympia-Teilnahme ein und marschiere dann ohne Scham in die Schwimmhalle oder aufs Sportfeld?

An das Konzert von Frau Beule kann ich mich übrigens noch gut erinnern. Es war der uninspirierteste, schlechteste, langweiligste, ödeste und einschläferndste Beethoven, den ich bis dahin gehört hatte. Abgesehen davon, dass sie nicht Klavier spielen konnte, war daran sicher auch der Beta-Blocker schuld, mit anderen Worten: Sie war gedopt. Nur wird bei solch einer Prüfung keine Doping-Kontrolle durchgeführt. Die/der Künstler(in) straft sich selber, wenn er oder sie jede Emotion einfach wegpfeffert.


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