Freitag, 19. August 2016

Achtung Bakterien!

Sie haben es vielleicht nicht mitbekommen, aber am Montag war Schulstart. Ein Tag voller Wunder. Von allen wunderbaren Wundern war das grösste Wunder, dass die neuen Computer, die im Vorbereitungszimmer stehen, auch wirklich funktionierten. Nein, das grösste Wunder war eigentlich, dass sie besser funktionierten als die alten, zum Beispiel kann man jetzt endlich Passwörter speichern, was die Arbeit doch sehr erleichtert, Sie kennen sicher das Problem. (War es jetzt Rom753 oder 753Rom oder rom753 oder 753rom oder gar 7R5o3m bzw. r7o5m3? Die mathematisch Begabten unter meinen Followern können ja mal alle Kombinationen ausrechnen, JM, eventuell a job for you?) Die witzigste Neuerung aber war ein laminierter Zettel, auf dem vor den Bakterien auf Maus und Tastatur gewarnt wurde. Und zwar richtig klischeemässig, da wurde ein Mikroskopbild einer «sauberen» Oberfläche einem Mikroskopbild einer Tastatur gegenübergestellt. Und siehe da: Auf dem Computer wimmelte es von hässlichen kleinen Biestern! Dazu die Anzahlen der winzigen Ekelmonster, auf der Tastatur sind es 1000x mehr als auf einer «normalen» Oberfläche. Gekrönt wurde der Zettel mit der Bitte
VOR DER BENUTZUNG DER TASTATUR UND DER MAUS BITTE DIE HÄNDE WASCHEN.

Auf dem Heimweg schlug ich kurz eine Wurfzeitung auf, und auch hier überfiel mich der Hinweis, dass auf irgendeiner Sache Milliarden, Trilliarden von Bakterien gesichtet worden waren, ich habe vergessen, was es war. Waren es Haltegriffe in Trams, waren es Geldautomaten, waren es Schuhsohlen? Oder waren es Kugelschreiber?

Am Dienstagmorgen bemerkte ich an mir schon eine kleine Veränderung. Ich sass im Zug nach Moutier und auf einmal konnte ich die Winzbestien sehen. Also natürlich nicht wirklich, aber vor meinem geistigen Auge krabbelten sie auf den Sitzen, hüpften auf den Polstern, sie fielen von der Decke und sie wälzten sich am Boden. Alles, alles schien übersät mit Legionellen, Fontanellen, Sardellen, mit Tuberkeln und Ferkeln, mit Streptokokken und Pokken und Ringelsokken, wobei mit dann durchaus einfiel, dass die meisten gar keine Bakterien sind.
Ich verspürte den unwiderstehlichen Drang, zum WC zu rennen und mir die Hände zu waschen, allerdings fiel mir dann ein, dass natürlich eine Zugtoilette auch wiederum ein Hort für Kokken und Legionellen ist. Ein schreckliches Dilemma. Die nächste Idee, in Delémont aus dem Zug zu steigen und Desinfektionsmittel zu kaufen, scheiterte an der frühen Stunde, es war erst 6.41. Ich bekam mich dadurch in den Griff, dass ich statt etwas Sinnvolles zu arbeiten, monoton den Satz in meine Tastatur hämmerte:
ich habe ein immunsystem ich habe ein immunsystem ich habe ein immunsystem…
Wie ein Mantra, eine Litanei schrieb ich die Worte permanent bis Moutier, dann ging es wieder einigermassen.

Wann haben wir eigentlich vergessen, dass wir Abwehrkräfte haben? Und zwar ziemlich gute. Das merkt jede(r), der oder die eine Transplantation hinter sich hat. Er oder sie muss nämlich jeden, wirklich jeden Tag Medikamente schlucken, damit sein oder ihr Körper das neue Organ nicht einfach bekämpft und vernichtet.
Wir haben ein Immunsystem, und entgegen allem, was uns die Pharmaindustrie weismachen will, funktioniert es auch ohne fremde Hilfe. Nach vorsichtigen Schätzungen gibt es 4700 Präparate, die mir meine Abwehrkräfte stärken, und da ist Echinacea noch das harmloseste davon. Zu den 4700 Präparaten kommen noch 6000 Gesundheitstipps, wie wir unsere Immunabwehr auf Trab bringen: Kaltwasser, Frischluft, Kopfstand, Handstand, Zunge knoten, Nase rubbeln usw. Wäre ich in der Immunabwehr tätig, ich wäre stockbeleidigt. So ein Immunteilchen muss sich doch verschaukelt vorkommen, den ganzen Tag schuftet man wie blöde, man IST auf Trab, auf Zack, man hat alle Power der Welt und dann denkt es da oben im Gehirn ständig nach wie man die Truppe verbessern könnte. Nein, lassen sie Ihre Abwehr mal unbehelligt. Wobei Obst und Gemüse, Sport und Kaltwasser nix schaden, im Gegensatz zu IMMUNOSOL®, IMMUNOVIP®, NOVAIMM® und VEROIMM®, da weiss nämlich keine Sau, was da wirklich drin ist.

Sie müssen Ihr Immunsystem also nicht auf Teufel-komm-raus stärken, aber Sie können vermeiden, es zu schwächen. Wenn Sie nämlich nach einer Party bei einem Kollegen übernachten und dann nach zwei Stunden Schlaf morgens zur Arbeit gehen und es hat einen Wettersturz gegeben, ja dann latschen Sie übernächtig, restalkoholisiert und frierend durch den Regen und wundern sich, warum Sie irgendwann krank sind. (Das gehört wieder in unser Thema von neulich mit den Glasscherben: «Ich weiss genau, dass man das nicht macht und mache es dennoch.»)

Das ständige Händewaschen kann übrigens böse Folgen haben, und damit meine ich nicht, dass Ihnen irgendwann die Haut abgeht. Wenn Sie die Pfoten jedes Mal, wenn Sie irgendetwas angefasst haben, unter den Hahnen halten, dann bekommen Sie das, was die Psychiatrie als Waschzwang bezeichnet, eine relativ unschöne Manie, deren Behandlung auch relativ lange dauert.

Am Montag war Schulstart. Mit neuem – toll funktionierendem! – Mac und dem neuen Hinweis, sich vor Bedienung doch bitte die Hände zu waschen.
Ich habe es natürlich nicht getan.
Denn gerade Lehrerinnen und Lehrer haben nicht nur Nerven wie Stahlseile, sondern auch Immunsysteme wie Bollwerke. Sonst könnten sie Ihren Job nämlich nicht machen. Die Schülerinnen und Schüler waschen sich auch nicht permanent die Hände, bevor sie einem die Hand geben.
By the way:
Vielleicht verweigern die Therwiler Schüttelgegner deshalb den Händedruck?
Weil sie so dreckige Pfoten haben?
Who knows.






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