VOR DER BENUTZUNG DER TASTATUR UND DER MAUS BITTE DIE HÄNDE WASCHEN.
Auf dem Heimweg schlug ich kurz eine Wurfzeitung auf, und auch hier überfiel mich der Hinweis, dass auf irgendeiner Sache Milliarden, Trilliarden von Bakterien gesichtet worden waren, ich habe vergessen, was es war. Waren es Haltegriffe in Trams, waren es Geldautomaten, waren es Schuhsohlen? Oder waren es Kugelschreiber?
Am
Dienstagmorgen bemerkte ich an mir schon eine kleine Veränderung. Ich sass im
Zug nach Moutier und auf einmal konnte ich die Winzbestien sehen. Also
natürlich nicht wirklich, aber vor meinem geistigen Auge krabbelten sie auf den
Sitzen, hüpften auf den Polstern, sie fielen von der Decke und sie wälzten sich
am Boden. Alles, alles schien übersät mit Legionellen, Fontanellen, Sardellen,
mit Tuberkeln und Ferkeln, mit Streptokokken und Pokken und Ringelsokken, wobei
mit dann durchaus einfiel, dass die meisten gar keine Bakterien sind.
Ich
verspürte den unwiderstehlichen Drang, zum WC zu rennen und mir die Hände zu
waschen, allerdings fiel mir dann ein, dass natürlich eine Zugtoilette auch
wiederum ein Hort für Kokken und Legionellen ist. Ein schreckliches Dilemma.
Die nächste Idee, in Delémont aus dem Zug zu steigen und Desinfektionsmittel zu
kaufen, scheiterte an der frühen Stunde, es war erst 6.41. Ich bekam mich
dadurch in den Griff, dass ich statt etwas Sinnvolles zu arbeiten, monoton den
Satz in meine Tastatur hämmerte:ich habe ein immunsystem ich habe ein immunsystem ich habe ein immunsystem…
Wie ein Mantra, eine Litanei schrieb ich die Worte permanent bis Moutier, dann ging es wieder einigermassen.
Wann haben
wir eigentlich vergessen, dass wir Abwehrkräfte haben? Und zwar ziemlich gute.
Das merkt jede(r), der oder die eine Transplantation hinter sich hat. Er oder
sie muss nämlich jeden, wirklich jeden Tag Medikamente schlucken, damit sein
oder ihr Körper das neue Organ nicht einfach bekämpft und vernichtet.
Wir haben
ein Immunsystem, und entgegen allem, was uns die Pharmaindustrie weismachen
will, funktioniert es auch ohne fremde Hilfe. Nach vorsichtigen Schätzungen
gibt es 4700 Präparate, die mir meine Abwehrkräfte stärken, und da ist
Echinacea noch das harmloseste davon. Zu den 4700 Präparaten kommen noch 6000
Gesundheitstipps, wie wir unsere Immunabwehr auf Trab bringen: Kaltwasser,
Frischluft, Kopfstand, Handstand, Zunge knoten, Nase rubbeln usw. Wäre ich in
der Immunabwehr tätig, ich wäre stockbeleidigt. So ein Immunteilchen muss sich
doch verschaukelt vorkommen, den ganzen Tag schuftet man wie blöde, man IST auf
Trab, auf Zack, man hat alle Power der Welt und dann denkt es da oben im Gehirn
ständig nach wie man die Truppe verbessern könnte. Nein, lassen sie Ihre Abwehr
mal unbehelligt. Wobei Obst und Gemüse, Sport und Kaltwasser nix schaden, im
Gegensatz zu IMMUNOSOL®, IMMUNOVIP®, NOVAIMM® und VEROIMM®, da weiss nämlich
keine Sau, was da wirklich drin ist.
Sie müssen
Ihr Immunsystem also nicht auf Teufel-komm-raus stärken, aber Sie können
vermeiden, es zu schwächen. Wenn Sie nämlich nach einer Party bei einem
Kollegen übernachten und dann nach zwei Stunden Schlaf morgens zur Arbeit gehen
und es hat einen Wettersturz gegeben, ja dann latschen Sie übernächtig,
restalkoholisiert und frierend durch den Regen und wundern sich, warum Sie
irgendwann krank sind. (Das gehört wieder in unser Thema von neulich mit den
Glasscherben: «Ich weiss genau, dass man das nicht macht und mache es
dennoch.»)
Das ständige
Händewaschen kann übrigens böse Folgen haben, und damit meine ich nicht, dass
Ihnen irgendwann die Haut abgeht. Wenn Sie die Pfoten jedes Mal, wenn Sie
irgendetwas angefasst haben, unter den Hahnen halten, dann bekommen Sie das,
was die Psychiatrie als Waschzwang bezeichnet, eine relativ unschöne Manie,
deren Behandlung auch relativ lange dauert.
Am Montag
war Schulstart. Mit neuem – toll funktionierendem! – Mac und dem neuen Hinweis,
sich vor Bedienung doch bitte die Hände zu waschen.
Ich habe es
natürlich nicht getan. Denn gerade Lehrerinnen und Lehrer haben nicht nur Nerven wie Stahlseile, sondern auch Immunsysteme wie Bollwerke. Sonst könnten sie Ihren Job nämlich nicht machen. Die Schülerinnen und Schüler waschen sich auch nicht permanent die Hände, bevor sie einem die Hand geben.
By the way:
Vielleicht verweigern die Therwiler Schüttelgegner deshalb den Händedruck?
Weil sie so dreckige Pfoten haben?
Who knows.
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