Als ich an
einem Sonntagabend vor einiger Zeit heimkam, sass die Walküre auf meinem Sofa.
Sie trank Whiskey-Cola, las in einer Motorradzeitschrift und hörte Heavy Metal.
Nachdem ich kurz meine Verdutzung heruntergeschluckt und sie begrüsst hatte,
fragte ich höflich, ob wir nicht auf SWR2 umschalten könnten, dort käme nämlich
quasi sie in einer Übertragung aus Bayreuth (Marek Janowski), sie meinte aber
nur lapidar, dass sie keinen Wagner möge, ausserdem würde sie die Musik jetzt
sowieso abstellen, sie habe Ernstes mit mir zu bereden.
Ich hatte
schon geahnt, dass Besuche von Walküren nichts Gutes beinhalten. Und die
Walküre hub an: «Nächste Woche wirst du sterben und nach Walhall reisen. Die Asen haben aber dir die Gnade gewährt, dass du aus einer gewissen Auswahl aussuchen kannst.»
«Auswahl?», stammelte ich verdutzt. «Ja, Auswahl, du kannst entscheiden, ob du von einem Islamisten oder von einem Separatisten aus dem Berner Jura in die Luft gesprengt werden wirst, ob dich dein durchgeknallter Nachbar mit dem Sturmgewehr erschiessen wird oder einfach ein betrunkener Autofahrer plattmachen wird.» «Es gibt militante Separatisten im Berner Jura, also Leute, die die Loslösung von Moutier mit Gewalt erkämpfen wollen?» «Ja», antwortete die Walküre, «aber es ist nur eine Mini-Splitter-Gruppe. Konkret: drei Leute. Item. Wie entscheidest du dich?» Ich gab zu bedenken, dass, wenn mich jemand umbringt, mir es eigentlich egal sei, aus welchen Gründen der Verrückte handele, weil tot sei ja schliesslich immer tot…» Die Walküre liess solche Einwände nicht gelten. Ich dürfe mich entscheiden und ich müsse mich aber auch entscheiden. Seltsam. Ich habe verschiedenste Terror-Zeiten mitbekommen, die IRA in England, die RAF in der BRD, die Basken in Spanien und jetzt die Islamisten in der Neuzeit, und ich hatte immer die gleiche Angst – oder besser gesagt, die gleiche Angst nicht. Wenn’s passiert, so sagte ich mir immer, dann passiert’s und es war mir eigentlich egal, wer mich dann auf dem Gewissen hat. Am nächsten dran war ich übrigens nicht in Deutschland, sondern am 20.7.1982, als die Ir(r)en die Horse-Guards in London in die Luft jagten, genauer gesagt 500 Meter.
Die Walküre
giesst sich noch einmal Whiskey-Cola nach und murmelt dann: «Du bist ein
komischer Kauz, für die meisten ist auf jeden Fall völlig klar, dass sie nicht
Akt eines Terroranschlags werden wollen und wenn, dann sicher nicht von einem
Muslim.»
Ich muss nun
noch einmal nachhaken und stelle ein paar Fragen.«Gibt es nicht die Möglichkeit, sich einfach ins Bett zu legen und einzuschlafen?»
«Gibt es nicht.»
«Sind alle Todesarten kurz und schmerzlos?»
«Kurz und schmerzlos.»
«Welche Konsequenzen wird es jeweils geben?»
«Im Fall 1 Schliessung diverser islamischer Zentren, Ausweisung diverser Muslime, in Fall 2 Verbot sämtlichen separatistischen Denkens im Jura Bernois, Fall 3 und 4 haben keine Konsequenzen.»
Das ist wieder einmal typisch! Man könnte doch nun endlich einmal alle Sturmgewehre einziehen, wenigstens im grossstädtischen Raum, man könnte doch auch endlich über die Autos nachdenken, die nur fahren, wenn man gepustet hat. Aber nein.
«Wird es wenigstens Diskussionen geben?»
«Diskussionen wird es in allen Fällen geben.»
Ich wählte
Möglichkeit 4.
Denn die
Diskussion muss geführt werden. Es ist ja unverständlich, dass alle Menschen
eine Höllenpanik vor Selbstmordattentäter haben, manche schon
Grossveranstaltungen und Bahnhöfe meiden, manche nicht mehr auf Marktplätze
oder in Kaufhäuser gehen, aber niemand, niemand Angst hat, sich an den
gefährlichsten Ort zu begeben, den Mitteleuropa bietet: Die Autobahn. Immer
noch sterben dort die meisten Leute. Weil die Fahrer unter Drogen stehen. Weil
sie Alkohol getrunken haben. Weil sie telefonieren. Weil sie essen. Oder, und
das ist der häufigste Grund, weil sie einfach nicht fahren können.
Die Walküre
verschwand und ich sass noch immer da und sinnierte. Hatte ich richtig gewählt?
Oder war es überhaupt richtig zu wählen?
Dass wir uns nicht falsch verstehen: Ich verharmlose den islamistischen Terror nicht. Ich hätte – wie die meisten Menschen – gerne Sicherheit. Aber überall. Und die wird es nicht geben.
Aber wenn meine Stunde schlägt, dann ist mir herzlich egal, warum, aus welchen Gründen, mit welcher Ideologie und mit welchem Hintergrund irgendein Verrückter umlegt.
Oder anders formuliert: Ich habe keine Angst speziell vor Islamisten. Ich habe Angst vor Spinnern, ob sie als IS oder Schwulenhasser, ob sie als linke oder rechte Politterroristen auftreten. Ich habe Angst vor Spinnern, die sich in etwas verrennen, aber auch Angst vor Spinnern, die einfach zu viel Alkohol trinken oder meinen, ihr Wagen darf aus technischen Gründen nie unter 150 km/h geraten. Und deshalb gestehe ich mir etwas ein, was ich in meinen wilden jungen Demo-Jahren nie für möglich gehalten hätte: Ich bin für eine gewisse Polizeipräsenz. Wenn wirklich die Chance besteht, dass ein Ordnungshüter bewirkt, dass der Typ neben mir an seiner Mordtat gehindert wird, ist es nämlich wiederum völlig wurscht, aus welchem Grund er mich abmurksen wollte.
Ein paar
Tage später las ich übrigens in den Kleinnachrichten, dass am Sonntagabend sich
eine Rockerlady im Kleinbasel einer polizeilichen Kontrolle – die Basler
Polizei ist auf Zack! – auf ungeklärtem
Wege entzogen habe. Es sei, so Wachtmeister Burckhardt, auf einmal ein Pferd
dagewesen und er habe so komische Musik gehört. (Walküren reiten immer zu Wagner, auch wenn sie eigentlich AC DC hören...)
Dummerweise
glaubte man ihm nicht…