Nein, also verlegt man sich auf Strandtage,
Sonnenuntergänge, Ausflüge und Wandertouren, die nichts hergeben, weil so wenig
passiert. Natürlich kann man einen Sonnenuntergang, ein Ankommen auf dem
Gipfel, einen Tag am Meer herrlich poetisch beschreiben, aber nicht, wenn man
11 ist. (Selbst gute Autoren scheitern regelmässig an Sonnenuntergängen und
Bergblicken.)
Aber das wollte ich ja gar nicht alles erzählen. Der Filius sitzt also über seinem Heft und der Vater, obwohl er es eigentlich nicht soll, lugt ihm heimlich über die Schulter.
Der Vater lächelt: „Sollte man vielleicht. Aber ich erkläre
dir mal, warum man das macht.“
Und er beginnt zu erzählen:„Vor langer Zeit gab es nur ein „s“, bei uns, die Deutschen hatten noch das Scharf-S, aber das ist eine andere Geschichte. Nun hatten viele Leute Geschäfte wie Blumenläden, Confiserien und Buchhandlungen, und weil sie Pia, Herbert oder Viviane hiessen, nannten sie diese Läden Pias Blumeninsel, Herberts Schoggiparadies und Vivianes Bücherbrunnen. Irgendwann machten in der Nähe von Blumen, Pralinen und Belletristik Kneipen auf, die sich englisch, irisch oder amerikanisch gaben, und weil – im Gegensatz zum Deutschen – bei den Engländern, Iren und Amerikanern im Genetiv, das ist der Wes-Fall, wie du weisst, das „s“ abgetrennt wird, hiessen die Läden Buffy’s Bar, Peter’s Pub oder Larry’s Lounge. Und weil Buffy’s Bar, Larry’s Lounge und Peter’s Pub so schrecklich aufregend aussah, taten es die Einheimischen es ihnen gleich, da hiess es auf einmal Pia’s Blumeninsel, Herbert’s Schoggiparadies und Viviane’s Bücherbrunnen, was damals im Deutschen einfach falsch war. Da aber so viele Leute englische Serien sahen und englische Musik hörten, fiel es vielen einfach nicht auf. Der Duden schäumte, der Duden tobte, der Duden versuchte, die Bastion noch ein paar Jahre zu verteidigen, aber im Jahre 2019 stand in der Online-Ausgabe:
§ 345f Das „s“ beim Genetiv Singular wird vom Wort abgetrennt.
Nun hatte sich, während der Kampf um den Genitiv tobte, schon eine weitere Unsitte eingeschlichen. Im Deutschen kann ein „s“ am Ende auch den Plural, die Mehrzahl anzeigen. Und weil viele von Grammatik keine Ahnung haben, fanden sich auf einmal Schilder wie NEUE UND GEBRAUCHTE AUTO’S oder FRISCHE MANGO’S. Man las von Mama’s, und Papa’s von Oma’s und Opa’s, man las von Känguru’s und Banjo’s. Dass dieses Plural-s auch im Englischen, Amerikanischen und Irischen NICHT abgetrennt wird (man schreibt nicht NEW AND USED CAR’S oder FRESH MANGO’S), spielte keine Rolle.
Der Duden war also – wie immer – hintendrein und musste im
Jahr 2021 klein beigeben:
§ 345f Das „s“ wird
beim Genetiv Singular und bei Pluralformen vom Wort abgetrennt.
Nun brachen die Dämme, man schrieb nicht nur Pia’s Blumeninsel und Frank’s tolle Auto’s, man schrieb auch Hau’s und Mau’s, man schrieb e’s und da’s – wobei hier absurderweise noch zwischen das’s und da’s unterschieden wurde.
Weil dieses Zeichen, ein „s“ mit einem Strich oben, einer 5
so ähnlich sah, schrieb man irgendwann Viviane5 Bücherbrunnen, man schrieb
GEBRAUCHTE AUTO5 und man schrieb Hau5, Mau5, man schrieb e5 und – immer noch
unterschieden! – da5 und das5.
Und daher steht in der 2024 neu herausgegebenen Printfassung
des DUDEN:
§ 345f Ein „s“ am Ende
eines Worte5, egal ob Teil des Grundworte5 oder durch Flexion entstanden, wird durch
die Zahl 5 ersetzt:
E5 gibt etwa5 Bessere5
al5 die Auto5 meine5 Bruder5.Jetzt weisst du, wie alles geschah.“
Der Filius schaut lange und bedächtig den Vater an:
„Manchmal sind Menschen richtig doof, nicht?“
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