Freitag, 22. Juli 2016

Warum schreiben wir Hau5 ?

Der Filius sitzt im August 2025 über seinen Hausaufgaben. Er muss – dümmste und älteste aller dummen und alten Aufgaben – einen Aufsatz über das Thema „Mein schönstes Ferienerlebnis“ schreiben. Alt deshalb, weil schon die Urgrosseltern dieses Thema bekamen, dumm deshalb, weil man gerade über die wirklich schönen Ferienerlebnisse den Erwachsenen nichts, aber auch gar nichts erzählen würde. Soll man wirklich berichten, wie einen die Tochter des Hoteliers, die schon 15 ist und wie 17 aussieht, an ihre Brüste fassen liess? Soll man wirklich erzählen, dass man mit dem Sohn der anderen Schweizer Familie, der schon 14 ist und wie 16 aussieht, abends am See Bier getrunken und Zigaretten geraucht hat? Oder soll man die spannende Story vom Unfall des Bruders erzählen – es ist eine wirklich gute Geschichte, peinlich ist nur, dass für einen der Sturz des ungeliebten Mitgeborenen mit späterem Gips wirklich das schönste Ferienerlebnis war…

Nein, also verlegt man sich auf Strandtage, Sonnenuntergänge, Ausflüge und Wandertouren, die nichts hergeben, weil so wenig passiert. Natürlich kann man einen Sonnenuntergang, ein Ankommen auf dem Gipfel, einen Tag am Meer herrlich poetisch beschreiben, aber nicht, wenn man 11 ist. (Selbst gute Autoren scheitern regelmässig an Sonnenuntergängen und Bergblicken.)



Aber das wollte ich ja gar nicht alles erzählen. Der Filius sitzt also über seinem Heft und der Vater, obwohl er es eigentlich nicht soll, lugt ihm heimlich über die Schulter.
„Du hast wieder Haus geschrieben, wir blieben im Haus, du weisst doch, dass es Hau5 heisst. Es heisst Hau5, aber häuslich, es heisst Mau5, aber mausen,  so wie es Krei5 und Prei5, aber Kreistag und Preisrichter heisst.“ Der Filius seufzt: „Warum müssen wir eigentlich diese saublöde 5 am Wortende schreiben, wenn wir doch „s“ sagen? Kann man das nicht abschaffen?“

Der Vater lächelt: „Sollte man vielleicht. Aber ich erkläre dir mal, warum man das macht.“
Und er beginnt zu erzählen:



„Vor langer Zeit gab es nur ein „s“, bei uns, die Deutschen hatten noch das Scharf-S, aber das ist eine andere Geschichte. Nun hatten viele Leute Geschäfte wie Blumenläden, Confiserien und Buchhandlungen, und weil sie Pia, Herbert oder Viviane hiessen, nannten sie diese Läden Pias Blumeninsel, Herberts Schoggiparadies und Vivianes Bücherbrunnen. Irgendwann machten in der Nähe von Blumen, Pralinen und Belletristik Kneipen auf, die sich englisch, irisch oder amerikanisch gaben, und weil – im Gegensatz zum Deutschen – bei den Engländern, Iren und Amerikanern im Genetiv, das ist der Wes-Fall, wie du weisst, das „s“ abgetrennt wird, hiessen die Läden Buffy’s Bar, Peter’s Pub oder Larry’s Lounge. Und weil Buffy’s Bar, Larry’s Lounge und Peter’s Pub so schrecklich aufregend aussah, taten es die Einheimischen es ihnen gleich, da hiess es auf einmal Pia’s Blumeninsel, Herbert’s Schoggiparadies und Viviane’s Bücherbrunnen, was damals im Deutschen einfach falsch war. Da aber so viele Leute englische Serien sahen und englische Musik hörten, fiel es vielen einfach nicht auf. Der Duden schäumte, der Duden tobte, der Duden versuchte, die Bastion noch ein paar Jahre zu verteidigen, aber im Jahre 2019 stand in der Online-Ausgabe:

§ 345f Das „s“ beim Genetiv Singular wird vom Wort abgetrennt.



Nun hatte sich, während der Kampf um den Genitiv tobte, schon eine weitere Unsitte eingeschlichen. Im Deutschen kann ein „s“ am Ende auch den Plural, die Mehrzahl anzeigen. Und weil viele von Grammatik keine Ahnung haben, fanden sich auf einmal Schilder wie NEUE UND GEBRAUCHTE AUTO’S oder FRISCHE MANGO’S. Man las von Mama’s, und Papa’s von Oma’s und Opa’s, man las von Känguru’s und Banjo’s. Dass dieses Plural-s auch im Englischen, Amerikanischen und Irischen NICHT abgetrennt wird (man schreibt nicht NEW AND USED CAR’S oder FRESH MANGO’S), spielte keine Rolle.

Der Duden war also – wie immer – hintendrein und musste im Jahr 2021 klein beigeben:

§ 345f Das „s“ wird beim Genetiv Singular und bei Pluralformen vom Wort abgetrennt.



Nun brachen die Dämme, man schrieb nicht nur Pia’s Blumeninsel und Frank’s tolle Auto’s, man schrieb auch Hau’s und Mau’s, man schrieb e’s und da’s – wobei hier absurderweise noch zwischen das’s und da’s unterschieden wurde.
Bei der Häufigkeit des Zusammentreffens von Trennstrich und s bildete sich eine sogenannte Ligatur, das heisst ein neues, festes Zeichen. (@, & und % sind z.B. Ligaturen, auch das deutsch-deutsche Scharf-S ist so entstanden.)

Weil dieses Zeichen, ein „s“ mit einem Strich oben, einer 5 so ähnlich sah, schrieb man irgendwann Viviane5 Bücherbrunnen, man schrieb GEBRAUCHTE AUTO5 und man schrieb Hau5, Mau5, man schrieb e5 und – immer noch unterschieden! – da5 und das5.
Und daher steht in der 2024 neu herausgegebenen Printfassung des DUDEN:

§ 345f Ein „s“ am Ende eines Worte5, egal ob Teil des Grundworte5 oder durch Flexion entstanden, wird durch die Zahl 5 ersetzt:
E5 gibt etwa5 Bessere5 al5 die Auto5 meine5 Bruder5.



Jetzt weisst du, wie alles geschah.“

Der Filius schaut lange und bedächtig den Vater an:
„Manchmal sind Menschen richtig doof, nicht?“

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