Montag, 25. Juli 2016

Spalten - die AfD folgt einer deutschen Tradition

Endlich hat der kleine Ort Wüstsand im Taunus eine Freikirche. Die Gemeinde WAHRES EVANGELIUM, ein Sammelbecken für alle, denen die Theologie der beiden Landeskirchen zu liberal ist. WAHRES EVANGELIUM betreibt eifrig Werbung, findet schnell Mitglieder, mietet Räume an und feiert fröhlich Gottesdienste. Dann allerdings – schon nach einem Jahr – kommt die Ernüchterung. Einige Gläubige stellen gewisse Inhalte der Bibel in Frage, zum Beispiel die Erschaffung der Erde in 6 Tagen, einige halten sich wörtlich an alles darin Geschriebene; es kommt wie es kommen muss, die Gemeinde spalten sich in zwei Kirchen, WAHRES EVANGELIUM und WAHRES BIBELTREUES EVANGELIUM. So weit so gut. Nun sind aber in beiden Glaubensgemeinschaften Charismatiker, die gerne mehr mit geschlossenen Augen singen, auf und ab hüpfen, in Zungen reden und geistheilen würden, was von den anderen als zu pfingstlerisch abgelehnt wird. Das nächste Schisma erscheint auf dem Plan, und nach vier Jahren hat Wüstsand vier Freikirchen: WAHRES EVANGELIUM, WAHRES BIBIBELTREUS EVANGELIUM, WAHRES GEISTERFÜLLTES EVANGELIUM und WAHRES BIBELTREUS UND GEISTERFÜLLTES EVANGELIUM.

Der Deutsche spaltet gerne. Er spaltet Holz und Schädel, er spaltet Haare und Vereine. Im Süden hatte das früher übrigens einen ganz praktischen Grund, der Hof wurde nicht dem Ältesten vererbt, sondern zwischen den Söhnen (Töchter wurden verheiratet) aufgeteilt, weshalb jeder Kataster aussah wie eine Patchworkdecke. Man spaltete aber nicht nur Land, die Spaltung der beiden grossen Kirchen geschah auf deutschem Boden und ein Bonner brachte die Abspaltung von Melodieteilen, die motivisch-thematische Arbeit zur Perfektion (gelernt hatte er sie bei seinem österreichischen Lehrer). Und wer hat die Kernspaltung entwickelt? Na sehen Sie.

Legendär ist die Spalterei bei den Linken in den Jahren 1968-1972. In den wilden Zeiten hatte ein junger Rebell in Berlin die Auswahl von gefühlten 1000 Splittergruppen, und dabei sind die nichtpolitischen Gemeinschaften wie die «Umherschweifenden Haschrebellen» gar nicht mitgezählt. Es gab Marxisten, Leninisten, Trotzkisten, Stalinisten, Maoisten, es gab kommunistische, sozialistische, anarchistische und hippieistische Gruppen, alle von sich endlos überzeugt – sehen Sie die Parallele zum WAHREN EVANGELIUM? – und untereinander spinnefeind. Natürlich waren in keiner der Gruppen Arbeiter, für die kämpfte man zwar, sie hätten bei der Diskussion über den Unterschied des orthodox-maoistischen und des liberal-leninistischen Gedankengutes nur gestört.
Wecker dichtete damals:
Alle lieg’n sie richtig / Alle ham sie recht
Jeder hat’s erfunden / Jeder liebt Bert Brecht
Jeder liebt auch Heine / Und wie schon betont:
Alle lieg’n sie richtig / Keiner wird verschont
um nach dem letzten Singen dieses Refrains anzufügen:
Und mein Onkel lacht sich eins, denn das weiss auch er:
Gegen diese Linke hat er es nicht schwer.
Scheisse.

Der Deutsche spaltet gerne. Und besonders bald kommt die Spaltung, wenn sich eine Kirche, Partei, eine Gruppe oder Gruppierung als «Sammelbecken» bezeichnet. Das ist auch logisch, denn ein solches Becken sammelt ja Leute, die eigentlich völlig verschieden ticken, aber sich an einem Punkt getroffen haben. Nach dem Motto: Heute sehen wir erst einmal das Gemeinsame, die Unterschiede kommen morgen dran.

Und wie sie dann drankommen!

Nun beginnt ja der Prozess bei der AfD, diesem Sammelbecken für Volksdeutsche, Unzufriedene, für Nationalisten und Rechtskonservative, aber leider auch für Ex-Nazis, Holocaustleugner und Judenhasser, für Rassisten und Populisten, für Protestwähler und Protestgewählte. Und wie in jedem Sammelbecken ist man nun im Morgen angekommen. Und stellt nun fest, dass man sich in einigen Fragen doch ein wenig uneins ist: Soll man nur die Grenzen verriegeln? Oder alle Ausländer heimschicken? Oder alle gleich umbringen? Sind wir wieder stolz, Deutsche zu sein, obwohl es Auschwitz gab? Oder sind wir stolz Deutsche zu sein, weil es Auschwitz NICHT gab? Wie braun wollen wir sein? Eher so beige oder richtig schwarzbraun wie die Haselnuss? So hässlichbraun? Kackbraun?

Die erste Spaltung ist schon da: Nach guter religiöser Tradition hat sich die Fraktion im Stuttgarter Schwarzquader (ich meine im Landtag) in zwei Teile gespalten, die Alternative für Deutschland und die Alternative für Baden-Württemberg. Es werden nun schon Wetten abgeschlossen, ob bald die Alternative für Baden und die Alternative für Württemberg entstehen. Ganz grosse Parteipessimisten sehen sogar in Zukunft die Alternative für Nordbaden, die Alternative für Südbaden, die Alternative für Nordwürttemberg und die Alternative für Südwürttemberg-Hohenzollern. (Sie sehen übrigens auch an der ständigen Nennung der Uraltfürstentümer wie Hohenzollern, Nassau, Anhalt und Lippe, was für ein Spaltkopf der deutsche Michel ist…)

Der Deutsche spaltet gerne.
Und dieses Mal, nur dieses Mal frohlocke ich. Denn was kann die AfD uns Besseres bescheren, als sich selbst kaputtzumachen? Sich selbst aufzulösen? Sich solange zu entzweien, bis jeder Splitter die Grösse erreicht hat, bei der man sich einig ist, nämlich die Einzelperson?

Und so singen wir fröhlich:
Alle lieg’n sie richtig / Alle sind das Volk
Jeder hat’s erfunden / Jeder will Erfolg
Jeder will auch Wähler / Und wie schon betont:
Alle lieg’n sie richtig / Keiner wird verschont
Und mein Neffe lacht sich eins, denn das weiss auch er:
Gegen diese Rechte hat er es nicht schwer.
Halleluja!




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