«Alles ist dicht»
Dabei war zunächst natürlich die Verkehrssituation gemeint, den in Basel ging grosse Strecken gar nichts mehr. Genauso könnte man aber auch hineinhören, dass alle betrunken waren, immerhin belagerten Tausende von Engländern die Innenstadt und taten das, was englische Fussballfans halt mal so tun: Drink. Saufen.
Wohl dem
Menschen, der am Mittwoch nicht von A nach B musste, wohl aber auch dem, dem
nicht von A nach C wollte, denn der normale Weg von A nach C geht über B. Wohl
aber drittens dem, der nicht von A nach D strebte, den D war der Punkt, über
den die Leute gingen, wenn sie nicht normal A-B oder A-C fahren konnten. Von
vornherein war klar: Der Raum um das Stadion ist gesperrt, ganztägig,
weiträumig, hermetisch und gewissenhaft. Keine Trams, Autos, Busse, keine
Velos, Töffs (Mofas), aber auch keine Fussgänger durften da hinein, es sei denn
man besass ein Ticket. Dass auch keine Vögel, Schmetterlinge, Katzen und Marder
hineindurften, halte ich für ein Gerücht, aber wer weiss? Die Angestellten des
Shopping-Center St. Jakob durften ihre Überstunden abfeiern und die Bademeister
des Gartenbades St. Jakob auch, beide Gebäude liegen in Spuckweite des
Fussballfeldes. (Zum Glück waren keine 25° und Sonne, ich hätte mich ins Knie
gebissen, nicht in die Badi zu können)
Klar war
auch, dass die Tramstrecke Barfüsserplatz-Claraplatz wegen Public Viewing
gesperrt wird. Das ist nun – für Nichtbasler – so, wie wenn München einfach mal
so den Stachus sperrt, oder Hannover den Kröpcke, oder Stuttgart den Charlottenplatz
und Berlin den Potsdamer. Zusätzlich wurden aber auch Strassenbahnen schon
Meilen vor der Gefahrenzone angehalten und man liess die Leute laufen, durch
Tausende von Fans hindurch, denen man ständig ausweichen musste, um sie nicht
anzurempeln. Denn dann wären jene schlicht und einfach umgefallen, auch die
Trinkfestigkeit eines Hardcoresäufers hat irgendwo ihre Grenzen.
Ich selbst
hatte Glück, denn ich konnte die Innenstadt den ganzen Tag umgehen. Nachdenken
verursachte nur der Zeitraum zwischen 15.30 (Ende Probe Muttenz) und 18.00
(Treffen in Münchenstein). Ins Gartenbad konnte ich nicht, nach Hause konnte
ich nicht, also ging ich erst einmal ins Muttenzer Hallenbad, bis 16.15 und
musste dann Zeit totschlagen – dachte ich! Da Muttenz an der Linie 14 liegt,
die nicht fuhr und auch andere Strassen gesperrt waren, fuhren alle quer in die
Nachbargemeinden, z.B. Münchenstein und die Buslinie 60 kam zunächst nicht,
dann standen wir im Stau und dann wartete ich an der Haltestelle Neue Welt noch
15 Minuten auf das Tram 10. Ich kam knapp, um 17.55 zu meiner Besprechung.
Alles war
dicht.
Eine Stadt
im Ausnahmezustand. Die Frage ist, ob der Ausnahmezustand nicht bald die Regel
wird. Wir haben einen selbstgewollten, beliebten, ureigenen Ausnahmezustand,
der heisst Fasnacht. An den «drey scheenschte Dääg» steht die Stadt von Morgen-
bis Endstreich Kopf, und das gehört auch so. Dann haben wir die beiden grossen
Messen, da ist auch Ausnahmezustand, aber daran hat man sich gewöhnt, und das
muss auch irgendwie sein. Dann kam vor zwei Jahren die OSZE (ich postete
darüber) und nun der UEFA Final. Was kommt noch? Die Olympischen Spiele? Die
WM? Der Weltkirchentag? (Sagen Sie bitte nicht, das sei ja nicht schlimm, ich
weiss nicht, was übler ist: Hunderte grölende Engländer oder Hunderte
von Spirituellen, die in JEDEM, ich betone JEDEM Tram Jeder Teil dieser Erde und Der
Himmel geht über allen auf singen.)
Um es den
Auswärtigen noch einmal klar zu machen: Basel hat knapp 180 000 Einwohner und
knapp 23 km2, das ist nicht besonders gross, zumal sich die Fans ja auch
nicht gleichmässig auf die Quadratkilometer verteilen, sondern sich in
hässlicher Weise in der Innenstadt ballen.
Es bleibt zu
hoffen, dass der Werbeeffekt gut war. Der Tourismus am Rheinknie hat ja ein
Imageproblem: Basel hat nichts, was der Ausländer mit der Schweiz verbindet.
Berge? Weit, weit, weit weg. See? Fehlanzeige, ein schöner Fluss, aber eben ein
Fluss. Also muss man den ganzen Weltbürgern überhaupt erst mal den Namen in den
Kopf hämmern, damit sie an einen Ort kommen, der von DEM Punkt, den sie in der
Eidgenossenschaft gesehen haben MÜSSEN, doch verdammt weit weg ist, dem
Matterhorn. Aber werden Jack und Jim und Joe wiederkehren um sich die Altstadt
und das Münster anzuschauen, werden José und Ramon zurückkommen und in die
Fondation Beyeler und ins Tinguely-Museum gehen? Oder hat nicht das viele Bier
die Erinnerung an die Altstadt, den Rhein, den Barfi und das Rathaus einfach
ausgelöscht?Es bleibt nur die Hoffnung, dass es sich irgendwie gelohnt hat.
Dass sich die Million Polizisten, dass sich das Verkehrschaos, die Tonnen von Bierdosenmüll gelohnt haben.
Es bleibt zu hoffen.
Denn der Basler ist kein Mensch für den Ausnahmezustand. Er ist ziemlich normal.
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