Donnerstag, 19. Mai 2016

UEFA Final: Eine Stadt war dicht

Es ist äusserst amüsant, äusserst witzig, äusserst erheiternd, wenn man einen Satz den ganzen Tag hört und erst sehr spät den netten Doppelsinn begreift, den der Satz beinhaltet. Der Satz, den ich meine und der am Mittwoch immer wieder zu hören war, war:
«Alles ist dicht»
Dabei war zunächst natürlich die Verkehrssituation gemeint, den in Basel ging grosse Strecken gar nichts mehr. Genauso könnte man aber auch hineinhören, dass alle betrunken waren, immerhin belagerten Tausende von Engländern die Innenstadt und taten das, was englische Fussballfans halt mal so tun: Drink. Saufen.

Wohl dem Menschen, der am Mittwoch nicht von A nach B musste, wohl aber auch dem, dem nicht von A nach C wollte, denn der normale Weg von A nach C geht über B. Wohl aber drittens dem, der nicht von A nach D strebte, den D war der Punkt, über den die Leute gingen, wenn sie nicht normal A-B oder A-C fahren konnten. Von vornherein war klar: Der Raum um das Stadion ist gesperrt, ganztägig, weiträumig, hermetisch und gewissenhaft. Keine Trams, Autos, Busse, keine Velos, Töffs (Mofas), aber auch keine Fussgänger durften da hinein, es sei denn man besass ein Ticket. Dass auch keine Vögel, Schmetterlinge, Katzen und Marder hineindurften, halte ich für ein Gerücht, aber wer weiss? Die Angestellten des Shopping-Center St. Jakob durften ihre Überstunden abfeiern und die Bademeister des Gartenbades St. Jakob auch, beide Gebäude liegen in Spuckweite des Fussballfeldes. (Zum Glück waren keine 25° und Sonne, ich hätte mich ins Knie gebissen, nicht in die Badi zu können)

Klar war auch, dass die Tramstrecke Barfüsserplatz-Claraplatz wegen Public Viewing gesperrt wird. Das ist nun – für Nichtbasler – so, wie wenn München einfach mal so den Stachus sperrt, oder Hannover den Kröpcke, oder Stuttgart den Charlottenplatz und Berlin den Potsdamer. Zusätzlich wurden aber auch Strassenbahnen schon Meilen vor der Gefahrenzone angehalten und man liess die Leute laufen, durch Tausende von Fans hindurch, denen man ständig ausweichen musste, um sie nicht anzurempeln. Denn dann wären jene schlicht und einfach umgefallen, auch die Trinkfestigkeit eines Hardcoresäufers hat irgendwo ihre Grenzen.

Ich selbst hatte Glück, denn ich konnte die Innenstadt den ganzen Tag umgehen. Nachdenken verursachte nur der Zeitraum zwischen 15.30 (Ende Probe Muttenz) und 18.00 (Treffen in Münchenstein). Ins Gartenbad konnte ich nicht, nach Hause konnte ich nicht, also ging ich erst einmal ins Muttenzer Hallenbad, bis 16.15 und musste dann Zeit totschlagen – dachte ich! Da Muttenz an der Linie 14 liegt, die nicht fuhr und auch andere Strassen gesperrt waren, fuhren alle quer in die Nachbargemeinden, z.B. Münchenstein und die Buslinie 60 kam zunächst nicht, dann standen wir im Stau und dann wartete ich an der Haltestelle Neue Welt noch 15 Minuten auf das Tram 10. Ich kam knapp, um 17.55 zu meiner Besprechung.

Alles war dicht.
Eine Stadt im Ausnahmezustand. Die Frage ist, ob der Ausnahmezustand nicht bald die Regel wird. Wir haben einen selbstgewollten, beliebten, ureigenen Ausnahmezustand, der heisst Fasnacht. An den «drey scheenschte Dääg» steht die Stadt von Morgen- bis Endstreich Kopf, und das gehört auch so. Dann haben wir die beiden grossen Messen, da ist auch Ausnahmezustand, aber daran hat man sich gewöhnt, und das muss auch irgendwie sein. Dann kam vor zwei Jahren die OSZE (ich postete darüber) und nun der UEFA Final. Was kommt noch? Die Olympischen Spiele? Die WM? Der Weltkirchentag? (Sagen Sie bitte nicht, das sei ja nicht schlimm, ich weiss nicht, was übler ist: Hunderte grölende Engländer oder Hunderte von Spirituellen, die in JEDEM, ich betone JEDEM Tram Jeder Teil dieser Erde und Der Himmel geht über allen auf singen.)

Um es den Auswärtigen noch einmal klar zu machen: Basel hat knapp 180 000 Einwohner und knapp 23 km2, das ist nicht besonders gross, zumal sich die Fans ja auch nicht gleichmässig auf die  Quadratkilometer verteilen, sondern sich in hässlicher Weise in der Innenstadt ballen.
Es bleibt zu hoffen, dass der Werbeeffekt gut war. Der Tourismus am Rheinknie hat ja ein Imageproblem: Basel hat nichts, was der Ausländer mit der Schweiz verbindet. Berge? Weit, weit, weit weg. See? Fehlanzeige, ein schöner Fluss, aber eben ein Fluss. Also muss man den ganzen Weltbürgern überhaupt erst mal den Namen in den Kopf hämmern, damit sie an einen Ort kommen, der von DEM Punkt, den sie in der Eidgenossenschaft gesehen haben MÜSSEN, doch verdammt weit weg ist, dem Matterhorn. Aber werden Jack und Jim und Joe wiederkehren um sich die Altstadt und das Münster anzuschauen, werden José und Ramon zurückkommen und in die Fondation Beyeler und ins Tinguely-Museum gehen? Oder hat nicht das viele Bier die Erinnerung an die Altstadt, den Rhein, den Barfi und das Rathaus einfach ausgelöscht?

Es bleibt nur die Hoffnung, dass es sich irgendwie gelohnt hat.
Dass sich die Million Polizisten, dass sich das Verkehrschaos, die Tonnen von Bierdosenmüll gelohnt haben.
Es bleibt zu hoffen.
Denn der Basler ist kein Mensch für den Ausnahmezustand. Er ist ziemlich normal.

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