Freitag, 6. Mai 2016

Politik und Verbformen


Wenn Sie immer noch am Hirnen sind, liebe Leserin, lieber Leser: Es gibt natürlich kein Konjunktiv Futur, die Zukunft ist immer konjunktivisch, stets ein Wunsch, stets irreal, nie sicher und nie berechenbar. Aber ich glaube, Sie haben generell noch Mühe mit der Vollbestimmung der Verbform? Da waren Sie gerade krank, als das in der Schule drankam? Dann hatten Sie was Chronisches, das macht man nämlich die ganze Mittelschulzeit, aber macht nix, ich gebe Ihnen ein wenig Nachhilfe. Interessant ist eben auch die Verbgrammatik und die Politik.

Die meisten Sprachen kennen folgende Personalformen:


Singular
Plural
1.       Person
ich
wir
2.       Person
du
ihr
3.       Person
er, sie, es
sie

Ah, guten Morgen, Herr Erdogan! Ich kann zwar kein Türkisch, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass es in Ihrer Sprache nur die 1. Person Singular gibt. Gibt es dort wirklich kein DU und kein WIR? Dass Sie diese Formen nicht kennen, heisst nicht, dass diese Pronomen nicht existieren. Natürlich, Sie regieren das Land - die neueste Kapitulation eines Konkurrenten zeigt dies - nach der Devise "Der Staat bin ich." Aber eigentlich sind der Staat wir, oder sie (die Türken). Aber, wie gesagt, dafür kann ich zu wenig Türkisch.
Was die Zeiten anbetrifft, stehen wir vor grossen Schwierigkeiten. Ein Schüler von mir schlug mal die folgende Einteilung vor: Plusquamperfekt = ganz alt (so Altertum), Präteritum = so alt (bis 1999), Perfekt = so grad vorbei (20. Jahrhundert), das war aber sehr unorthodox.
Der korrekte Gebrauch ist nicht leicht. Ergänzen Sie mal korrekt:
Die SPD ____________ (sein) eine Volkspartei.
Ist? Präsens? Wohl kaum. Eher "war", also Präteritum. In 10 Jahren vielleicht "Die SPD war eine Volkspartei gewesen, bevor sie sich auflöste.

Zu den Genera Verbi ist zu sagen, dass das Passiv, die Leideform, die Form der Politiker schlechthin ist. Glauben Sie nicht? Hören Sie sich doch mal diese Aussagen an:
"Das wurde leider nicht bedacht."
"Das ist leider noch nicht erledigt worden."
"Das wird klar durchgeführt."
"Das wird noch verbessert werden."
Immer heisst dies doch: Von irgendjemand, aber sicher nicht von mir. Achten Sie einmal darauf, wie häufig in Politikeraussagen die klare handelnde Person fehlt. Eigentlich fast immer, denn wäre es ein Untergebener, müsste man ihn entlassen, wäre es man selber, dann müsste man ja zurücktreten, so "werden" Dinge einfach nebulös und verworren passiv "verschludert", ohne dass der Macher oder die Macherin irgendwie herausfindbar wäre.

Ach, und der Konjunktiv! Der Konjunktiv! Die Herrschenden verwenden ihn nie, dabei wäre (Konjunktiv) er doch meistens angebracht. Warum setzen wir Aussagen von CDUlern, SPDlern, GRÜNEN und anderen stets in den Konjunktiv I? Damit relativieren wir doch schon.
"Die Renten sind sicher." Schmud-Bollgooff sagte, die Renten SEIEN sicher.
"Das AKW ist sicher." Frunk-Namfatt sagte, das AKW SEI sicher.
Aber besser wäre doch gleich der Konjunktiv II:
Die Renten wären sicher, wenn wir die Beiträge in den nächsten Jahren um 134% erhöhen würden.
Das AKW wäre sicher, hätten es nicht Menschen erbaut.

So, jetzt haben wir vieles geklärt.
Aber nochmals:
Nein, es gibt keinen Konjunktiv Futur. Die Zukunft ist immer irreal, ungewiss.
Es gibt ein "Futur bei Sonnenaufgang". Bei Loriot. Das brauchen Sie aber nur, wenn Sie ein Jodeldiplom wollen.


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