Worüber
reden die zwei? Wahrscheinlich über ein Zitat eines Weisheitslehrers aus dem
11. Jahrhundert, in dem jener die Schönheit des Wassers mit der Schönheit der
Sonne verglich, und die beiden sind in eine lebhafte Diskussion über die
Möglichkeiten und Grenzen der Sinneswahrnehmung geraten. Stelle ich mir so vor,
schliesslich sind es Vietnamesen, oder Koreaner, oder Bangladescher, auf jeden
Fall Leute, die schon mit der Muttermilch die Weisheit des Fernen Ostens
aufsaugen.
Aber
eventuell war der Gesprächsinhalt ein völlig anderer, und da bin ich froh, sie
nicht verstanden zu haben, denn so kann ich mir die Illusion einer
Konfuzianistischen Kommunikation aufrechterhalten. Vielleicht hat der erste
«heute Abend will ich ficken» gesagt, und der zweite Koreaner, Bangladescher
oder Vietnamese hat «es gibt bestimmt Nutten in Bern» geantwortet, worauf ein
«aber eine mit grossen Brüsten» folgte, dem ein «knackiger Po ist viel
wichtiger» entgegnet wurde. Das Ganze mündete dann eventuell in einem «beides
wichtig».
Oder haben
die beiden Asiaten sich doch ganz der Allgegenwart von Licht und Wasser
hingegeben? Oder ganz banal darüber geredet, ob sie nach Köniz (BE) mit dem
Taxi, mit dem Tram, mit dem Bus, der S-Bahn oder zu Fuss kommen?
Manchmal ist es viel besser, wenn man die Leute nicht versteht. In seiner vierteiligen Trilogie Per Anhalter durch die Galaxis lässt Douglas Adams den Babelfisch auftauchen, ein kleines Tier, das man sich ins Ohr schiebt und das, weil es sich von den Gehirnströmen seines Wirtes nährt, alles simultan übersetzt. Dieser Babelfisch sei an vielen Kriegen schuld, so der Autor, weil er zum Verstehen beigetragen habe. Und der schwedische Schriftsteller Jonas Jonasson lässt in seinem Roman Die Analphabetin, die rechnen konnte die Protagonistin beim Übersetzen aus dem Chinesischen mit dem eigentlich Gesagten relativ frei umgehen, was den Politikern, die sie dolmetscht zwar ob der Länge der Rede auffällt, aber ziemlich viel Weltgeschichtsunheil verhindert.
Die
verschiedenen Sprachen sind der Bibel nach die Strafe für den «Turmbau zu
Babel», als die Menschen zu hoch hinauswollten und Jahwe machte, dass sie sich
nicht mehr verstanden. Das Gegenstück im Neuen Testament ist die
Pfingstgeschichte, bei der die Rede des Petrus auf einmal von allen in ihren
Sprachen (Griechisch, Medisch, Parthisch usw.) gehört wird.
Ist es aber nicht
möglicherweise umgekehrt? So, dass die Babylongeschichte der Segen und
Pfingsten der Fluch war? Dass die Menschheit an Pfingsten mit dem Verstehen
bestraft wurde? Dass die vielen Konflikte daher rühren, dass man weiss, was der
andere sagt?
Wenn Sie in
der Moskauer U-Bahn einem Moskowiter auf den Fuss treten und er Ihnen so etwas
wie ein «dwidow tschoksch» entgegenschleudert, dann denken Sie sicher, er habe
«au, das tat weh» gesprochen und entschuldigen sich gestisch tausendmal. Die
Beleidigung, die etwas mit dem Beruf Ihrer Mutter zu tun hatte, die haben Sie
nicht verstanden.
Wenn Sie in
einem Café in Bogota bemerken, dass die zwei Leute am Nachbartisch über Sie
reden, gehen Sie nicht davon aus, dass diese Ihre makellose Figur, Ihren
schönen Teint und Ihre modische Kleidung loben? Was gäbe es für einen Ärger,
wenn Sie hören könnten, dass die beiden Kolumbianerinnen oder Kolumbianer im
Stil der barocken Körperteil-Lyrik über alles bei Ihnen herziehen, vom Kopf bis
Fuss, ja, dass diese jeden Part Ihres Leibes hässlich und abstossend finden?
Auch ist es
besser, eine Sprache nur ein wenig zu können als alle Phrasen, alle Wendungen,
alle Redensarten und Sprichwörter präsent zu haben. «Sie können mich mal gerne
haben.» schrieb Max Koppler an Jon McGarty in Bluetown, Delaware und jener Jon
freute sich, dass der Deutsche ihm so nett die Freundschaft anbot. «You are
welcome» hören wir in Amerika immer wieder, und wir freuen uns, dass wir angenommen,
willkommen, dass wir erwünscht, geliebt, dass wir gerngesehene Fremde sind.
Wüssten wir, dass die Phrase einfach die normale Antwort auf ein «Thank you»
ist, entsprechend dem deutschen «gern geschehen», wären wir doch
hammerenttäuscht und nagelgeschlagen.
Nein, Babel
war die Chance und Pfingsten war die Strafe, und das ganze Internet,
Übersetzungsprogramme, die ganze Dolmetscherei, das ganze internationale Zeug
macht es immer schlimmer. Zum Glück sind die Übersetzungsprogramme noch
grottenschlecht, das weiss jede und jeder, der oder die schon einmal versucht
hat, einen sinnvollen Text sinnvoll in einen sinnvollen Text einer anderen
Sprache zu verwandeln. Oder jede/jeder der/die sich die Mails durchliest, in
denen man gebeten wird für eine kleine Gebühr endlich, endlich, endlich die
Erbschaft über 20000000000000 Dollar anzunehmen, die seit vierzehn Monaten auf
einer Bank in Seattle auf einen wartet. Aber ein wenig bringt das PC-Übersetzen
eben doch, und dann wird der Albanische Songtext, der sich so romantisch
anhörte, auf einmal doch schrecklich banal.
Die beiden
Koreaner, Bangladescher oder Vietnamesen (oder vielleicht doch Thais? Chinesen
oder Japaner sind es nicht…) haben inzwischen gemerkt, dass ich intensiv
zuhöre. Und weil sie meinen, ich hätte ein paar Brocken verstanden, spricht der
eine mich an: «Wenn Weng Loa Tao 1356 schreibt Feuer ist Vogel und Vogel ist Feuer, dann meint er doch nicht, dass
die beiden Dinge wirklich gleich sind, sondern er spricht von der Wahrnehmung,
oder was meinen Sie?»
Mein Asienbild ist wieder völlig in Ordnung.
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