Montag, 9. Mai 2016

SB-Restaurant ohne Tablars

Die Schwimmbadsaison ist eröffnet. Ich habe schon vor zwei Wochen mein Abo gelöst und bin im Sportbecken geschwommen, aber seit diesem Samstag ist das Joggeli (Gartenbad St. Jakob) richtig offen, mit allen Becken, mit Rutschbahnen, allen Liegewiesen und – dem Restaurant. Dorthin strebte ich am Sonntag, einem nun wahrlich extrem schönen Badetag, um meinen traditionellen Doppelten Espresso zu trinken. Dieses Heissgetränk ist stets eine Hommage an eine viel zu früh verstorbene Freundin, mit der ich dort auf der Terrasse es zu geniessen pflegte. Da ich mein Portemonnaie, meine Zigaretten samt Feuerzeug und meinen Kastenschlüssel mitnehme, bin ich immer froh, wenn ich alle diese Dinge auf ein Tablar legen kann. (Für meine deutschen Leserinnen und Leser: Tablett, aber ich benütze hier die CH-Version, weil sie kürzer ist.) Jedenfalls, ich stand da mit meinem Kram, liess gerade meinen Doppelten durchlaufen, als ich bemerkte, dass eben diese Tablars nirgendwo zu sehen waren. Ich fragte einen Angestellten und bekam die folgende Antwort: Man habe das Restaurant vom Vorpächter übernommen, es sei erst der zweite Tag und Tablars seien noch keine da.

Ich muss zugeben, dass ich einigermassen erstaunt war. Ich meine, woran denken Sie bei einem SB-Lokal? Natürlich, an Tablars. Das ist doch das Entscheidende: Tablars holen und anstehen. Ich würde sogar behaupten, dass, wenn ich ein Piktogramm eines SB-Restaurants malen müsste, ich Gabel, Messer und eben ein solches Tablar darstellen würde. Müsste es nicht im Bereich des Normalen liegen, an dieses so wichtige Detail zu denken? Ein bisschen zu planen? Vielleicht den Vorpächter zu fragen, was es braucht? Oder jemand anderes, der sich auskennt?

Wann hat eigentlich das Planen aufgehört?

In der BRD schon vor zwanzig Jahren, klar, dort baut man Bahnhöfe in Sumpfgebiete und Flughäfen ohne Lüftung, dort überfällt der Winter mit Weichenvereisungen und der Sommer mit ausfallenden Klimaanlagen die DB jedes Jahr mit immenser Plötzlichkeit, dort ist man immer wieder überrascht, wie viele (oder wenige) Schüler auf einmal da sind, dort hat man das Planen wirklich nicht erfunden.

Aber in der Schweiz war Planung eigentlich immer Mode. Die Sage berichtet, dass Stauffacher, Fürst und Melchtal  schon auf der Wiese das einjährige Schwurjubiläum geplant hätten. Sie hätten Listen erstellt, auf denen die Zutaten zu einer schönen Grillade verzeichnet gewesen seien, hätten dann Ketchup, Kartoffelchips, Senfsauce und ähnliche Sachen gestrichen, weil die noch nicht erfunden waren, und hätten sich auf drei Dinge geeinigt: Fürst bringt Hirsch, Melchtal bringt Brot und Stauffacher bringt Bier. Dies war sozusagen die Geburt des OKs. „OK“ heisst hier nicht „in Ordnung“ sondern „Organisations-Komitee“.

Das OK war früher eine der perfekten Schweizer Erfindungen. Wenn in drei Jahren ein Jubiläum anstand, wurde zwei Jahre vorher das OK gegründet. Ein Jahr davor stand der Zeit- und ein halbes Jahr davor der Einsatzplan. Dann musste man schrecklich warten, denn gewisse Dinge konnten nun beim besten Willen nur kurz davor erledigt werden. Man erzählt von Marie H. aus Wutzingen (SZ), die nur dadurch, dass man sie an ihren Stuhl fesselte, davon abgehalten werden konnte, Salate für eine Feier schon dreizehn Tage vorher anzumachen.

Heute wird ein OK für ein Dorffest ein halbes Jahr vor Termin gegründet, und ein Monat vor dem Ereignis weiss noch niemand, was sein wird. Choreographien für Chorauftritte macht man zwei Wochen before Stage und Schullager plant man während der Anreise. «Spontan» heisst das Zauberwort, dessen einziger Zauber darin besteht, schrecklich viel Chaos anzurichten.  

Was ist eigentlich so schrecklich am Planen?

Ich höre immer mehr: „Ich muss noch meine Party planen.“ „Ich muss noch die Reise planen.“ „Ich muss noch mein Wochenende planen.“
Dabei gibt es doch nichts Schöneres. Man kann alle Gerüche, alle Geräusche, alle Klänge und Farben schon vorausahnen, man kann sich in alles schon hineinversetzen, man kann alles schon vorauserleben, man kann schon ein wenig in der Zukunft sein, Vorfreude ist ja die schönste Freude, abgesehen von der entspannenden Wirkung des Ich-habe-an-alles-gedacht. Also müsste es  doch korrekt heissen: „Ich DARF planen.“

Ich balancierte also meinen Doppelten Espresso einhändig zur Kasse, in der anderen meine Geldbörse, meinen Schlüssel und meine Rauchutensilien. Dort stellte sich mir ein anderes, aus vergangenen Jahren schon bekanntes Problem: Der Doppelte ist in der Maschine programmiert und kann herausgelassen werden, ist aber in der Kasse nicht eingegeben. Der Kassierer verlangte die gleiche Summe wie für einen einfachen, was natürlich nicht stimmte, aber ich wollte nicht streiten, um mehr bezahlen zu dürfen. Hier hätte, da ja das in den letzten Jahren schon das Problem war, wiederum ein Nachfragen beim Vorpächter viel gebracht. «Ach, und dann kommt da immer so ein Typ mit Espresso Doppio», hätte er gesagt, «der kostet 5,50.-« Oder er hätte dem Nachpächter gleich den Zettel hinterlassen, der letztes Jahr immer neben der Kasse lag:
Der alte braungebrannte Knacker mit Stoppelfrisur und roter Badehose zahlt für seinen Scheiss-Doppelespresso fünf Franken fünfzig.


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