Montag, 8. Februar 2016

Mützbacher und die Faschingsklausur

Mützbacher habe mit seiner Faschingsklausur, in die er seit drei Jahren fahre, eigentlich Recht, so Renner neulich zu mir, als wir beim Apéro im Löwen sassen. Die Faschingsklausur sei eine verrückte Idee, so Renner, wie Mützbacher viele verrückte Ideen habe, aber im Grunde genommen könne er Mützbacher verstehen. Dieser fahre, so Renner zu mir im Löwen, seit drei Jahren vom Schmutzigen Donnerstag an bis zum Aschermittwoch in eine Waldhütte, um sich die Zeit lang intensiv mit je einem Philosophen zu beschäftigen. So sei, so Mützbacher, 2013 Rousseau auf dem Programm gestanden, 2014 Kant und 2015 Hegel. Dieses Jahr werde Mützbacher, so Renner, sich mit Augustinus auseinandersetzen. Augustinus werde immer noch unterschätzt, habe Mützbacher gesagt, so Renner zu mir im Löwen, Augustinus sei einer der ganz Wichtigen. Böll habe ihn im Clown lächerlich gemacht, so Mützbacher, das verzeihe er ihm nicht, dieser Böse Böll, habe Mützbacher gesagt, so Renner, habe Schmutz auf einen der ganz Grossen geworfen. Aber er werde, so Mützbacher, Augustinus wieder zu Ehren verhelfen, sagte Renner zu mir.

 Auf die Frage, warum er in die Faschingsklausur fahre, warum er nicht einmal die Sau raus lasse, warum er nicht mit den Narren laufe, Lärm mache, warum er nicht in den Ausnahmezustand gehe, sagte Mützbacher, der Ausnahmezustand sei ja inzwischen permanent. Die Fast-Nacht, habe Mützbacher gesagt, so Renner im Löwen zu mir, sei früher die Nacht vor dem Fasten gewesen, also ein letztes Feiern vor einer Zeit des Darbens. Heute würden ja direkt nach den Fastnachtsküchlein die Schokoeier und die Osterhasen in die Regale und in den Mund gestopft. Dieses Schokoeierfressen und Osterhasenfuttern sei ihm ein Gräuel, so Mützbacher.

Zum Thema Sau raus lassen, habe Mützbacher nur gesagt, so Renner, dass die Sau ja das ganze Jahr rausgelassen sei. Die ganze Zeit werde man mit Fotos, Witzen und komischen Filmen bombardiert, dass es einem grause, so Mützbacher. Ständig erreiche einen ein Bild mit einem grinsenden Gesicht, das der Betreffende selbst aufgenommen habe und total witzig finde, habe Mützbacher gesagt, so Renner. Diese Selbstaufnahmen, diese sogenannten Selfies, gingen ihm so auf die Nerven, dass es kaum zum Aushalten sei. Das Internet sei ein Ort des perversen Auslebens von dämlicher Fröhlichkeit, habe Mützbacher gesagt, die Sau werde rausgelassen, Tag und Nacht, Nacht und Tag. Er sperre während seiner Faschingsklausur, so Mützbacher, die Sau ein und lasse sie nicht mehr raus.

Die Narren, habe Mützbacher gesagt, seien ja nicht nur in der Faschingszeit am Ruder, sondern das ganze Jahr. Bei dem sogenannten Rathausstürmen würden ja nur die Narren innerhalb des Rathauses durch die Narren von aussen ersetzt. Denn alle Politiker seien Narren, so Mützbacher, die SPD bestehe aus sozialdemokratischen Narren, die FDP aus liberalen Narren und die GRÜNEN aus grünen Narren. So würden also die Narren der Stadt das Rathaus stürmen, das eh schon von Narren besetzt sei. Viel besser wäre es doch, habe Mützbacher gesagt, so Renner zu mir im Löwen, wenn die Rathäuser von Philosophen gestürmt würden, damit endlich einmal gedacht würde in diesen Etablissements.

Der Lärm, so Mützbacher, sei ja inzwischen ein Dauerphänomen, so dass ein Lärmen zur Fastnacht, zum Fasching oder Karneval Eulen nach Athen tragen sei. Wir stehen unter Dauerbeschallung, habe Mützbacher geklagt, sagte Renner, wir werden überall und immer beschallt, dass ein klares Denken kaum mehr möglich sei. Wir gehen ins Kaufhaus und werden beschallt, wir gehen ins Restaurant und werden beschallt, wir gehen durch die Stadt, durch den Park oder sitzen im Zug und werden permanent beschallt. Diese Dauerbeschallung sei mit ein Grund, weshalb er, Mützbacher eben in diese Faschingsklausur fahre, die Hütte habe keinen Strom, kein Internet und er werde gezwungen, sich völlig auf seine Philosophen zu konzentrieren.

Er werde in aller Ruhe, habe Mützbacher gesagt, seinen Augustinus lesen und exzerpieren, er werde die Sau drinnen lassen und sich nicht zum Narren, sondern zum Weisen machen, so Renner.

Jedes Jahr, so Renner zu mir im Löwen, entstehe in der Faschingsklausur ein kleiner Essay zu einem der grossen Philosophen, 2013 über Rousseau, 2014 über Hegel und 2015 über Kant. 2016 werde nun ein kleiner Text über Augustinus erscheinen, der den vom Bösen Böll so schlecht gemachten Kirchenvater wieder ins rechte Licht rücke.

Er jedenfalls, so Mützbacher, werde die Sau drinnen und die Narrenkappe abgezogen lassen. Bei einer Gesellschaft, die das ganze Jahr in Lärm, Witzelei und Blödsinn verbringe, brauche es keinen Fasching.

(Hommage an Thomas Bernhard, der am 9.2.2016 85 geworden wäre)





 









                                                       

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