Dienstag, 16. Februar 2016

Stoppt die Pendlerströme (1): Reportage über den 10 Uhr-Pendler 1. Klasse

Ob man die Gotthardröhre jetzt braucht oder nicht, ob man jetzt 15 weitere Tunnel gräbt, ob das Volk ja oder nein zu Gotthard oder weiteren Wühlmausaktionen sagt, feststeht, dass die entscheidenden Verkehrsströme gar nicht durch die Alpen laufen. Die entscheidenden Ströme rinnen zwischen Zürich und Bern, Bern und Basel, Basel und Zürich, es ist diese schreckliche Pendelei, Berufspendelei, Arbeitspendelei, und das Schlimme ist, auch zu mir muss man sagen: «Wahrlich, du bist auch einer von denen, denn deine Steuererklärung verrät dich.»

Wäre hier nicht der Zug, die SBB eine prima Alternative?

In der Zeitschrift HALLO SCHWEIZ war neulich ein netter Artikel. Die Journalistin Regula Hibberli hat einen Pendler bei seinem Weg zur Arbeit begleitet und ihn interviewt. Prof. Dr. Beat Stugger ist Professor für Nichtvergleichende Textlinguistik des Katalanischen an der Uni Zürich und wohnt in Basel. Er arbeitet montags, donnerstags und freitags zuhause, am Dienstag und Mittwoch erwartet ihn an der Limmat ein dichtgedrängtes Programm von 10.00 – 20.00. Da er in Basel im Gundeli wohnt, also im Quartier direkt hinter dem Zentralbahnhof, kann er gemütlich um 7.40 losgehen und erreicht mühelos den 8.07 nach Zürich. Hibberli hat ihn vor der Haustüre erwartet und kann auf dem Weg durch die Gründerzeitstrassen des Gundeldingerquartiers schon ein wenig plaudern. «Ich könnte mir nie vorstellen, mit dem Auto zu fahren», so Stugger, «das ist doch alles viel entspannter so.» Ein Foto zeigt den Mittevierziger in hellem Mantel, mit Schal und Laptoptasche, wie er in den ersten Strahlen der Morgensonne zum Bahnhof schreitet. Es stellt sich die Frage, ob das Bild auch so anheimelnd wäre, wenn Stugger sich durch einen Schneesturm kämpfen müsste, der im Januar (da war das Interview) doch eigentlich mehr dran wäre als die Lenztemperaturen, die wir hatten, aber davon später…

Das nächste Foto zeigt Stugger und Hibberli lachend beim Gespräch im 1. Klasse-Abteil, Unterlagen und Laptop auf dem Tisch, Platz, viel Platz, auch noch für zwei doppelte Espressos und Gipfeli. «Sehen Sie, ich habe ein GA 1.Klasse, um Tickets muss ich mich nicht kümmern, ich muss auch nicht an Tanken oder Wasserstand denken, und dann habe ich eine Stunde Zeit um zu arbeiten, ich habe Platz für alle Unterlagen und einen guten Kaffee gibt es hier auch.» In Zürich hat Stugger nun wiederum das Glück, dass das Institut für Nichtvergleichende Textlinguistik des Katalanischen in Bahnhofsnähe liegt und er ganz locker durch die Januarfrühlingssonne an seinen Arbeitsplatz gelangen kann.

Warum nutzen, so fragt Hibberli am Ende ihres Textes, nicht mehr Leute diese wunderbare Möglichkeit zur Arbeit zu kommen?

Ja, warum eigentlich?
Weil, und das scheint die gute Regula irgendwie völlig zu ignorieren, die meisten Menschen eben nicht Professoren für Nichtvergleichende Textlinguistik des Katalanischen sind. Kann man sich – und das ist das grosse Privileg der Angehörigen des akademischen Oberbaus – seine Arbeitszeiten selber legen, ist das natürlich extrem entspannend. Ganz anderes sähe es aus, müsste Stugger wie die meisten Arbeitnehmer von 8.00-17.00 arbeiten. Dann wäre es nicht der Achtuhrzug nach Zürich, sondern der Siebenuhrzug, und der ist voll. Da kämpfen zwei Laptops und zwei Tablets um den Platz auf dem ca. 40 Quadratzentimeter grossen Tisch, da ist dann kein Platz für Espresso und Gipfeli, wenn man überhaupt einen Sitzplatz bekommt. Da ist dann, eingezwängt zwischen Leuten, die nach Knoblauch, Hautcreme oder AXE riechen, die Lage nicht mehr so entspannt. Auf dem Rückweg die gleiche Misere: Die Hauptverkehrszeitenwaggons sind so voll wie ein Viehtransport, jetzt wollte man eigentlich schlafen, aber dazu müsste man sich ein wenig ausstrecken, was ja nicht geht, siehe oben. Nur altgediente Interrailer (wie z.B. ich) sind in der Lage sich zu einer kompakten Kugel zu formen und als diese sofort einzupennen.

Natürlich können manche gleitzeiten, aber hier kommt noch ein anderer Punkt ins Spiel: Normalarbeiter müssen 42 Stunden an Ort und Stelle sein, das heisst um 10.00 anfangen (und späteren Zug nehmen) hiesse dann aber auch später aufhören. Wer will schon jeden Abend erst um 20.30 zuhause sein? Man ist ja vielleicht in einem Chor, einem Sportverein, man will ins Kino oder ins Theater, oder einfach nur das Z’nacht nicht erst um 21.00 beginnen.

Warum nicht Erste Klasse? Du lieber Himmel! Weil ein normaler Bankangestellter, Verkäufer, Büromensch etc. auch nicht so viel verdient wie ein Professor für Nichtvergleichende Textlinguistik des Katalanischen. Die 3600.- für ein GA ZWEITE KLASSE müssen auch erst einmal verdient sein…

Die Geschichte von Hibberli ist kein Einzelfall. VIA und MOBIL, die Hauszeitschriften von SBB und DB sind voll von lachenden, glücklichen Menschen, die sich in leeren Zügen räkeln. Ich habe noch nie eine Reportage «Um 6.30 im IC Basel-Olten» gesehen, die wäre mal aufschlussreich…
Vielleicht fragen Sie sich, warum ich selbst immer noch ein so überzeugter Bahnfahrer bin. Ich habe das Glück, am Morgen einen anderen Weg wählen zu können, auf dem der Zug leer ist und um 12.00 von Solothurn wieder heimzufahren, da ist auch nicht so Hochbetrieb. Allerdings soll diese Strecke 2020 geschlossen werden, aber vielleicht findet sich noch ein Sponsor für die Renovierung des Weissenstein-Tunnels, wie wär’s mit Ihnen?

IM ZUG ZUHAUSE
wirbt die SBB mit Plakaten.
Bei allem Respekt: ZUHAUSE bin ich bei aller Zugliebe doch lieber ZUHAUSE.




































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