Dienstag, 16. Dezember 2014

Selbstgemachtes

Zum Glück ist der vor einigen Jahren ausgebrochene Hype Marke Wir-verschenken-Selbstgemachtes wieder vorbei. Es wird wieder eingekauft. Es wird wieder Geld ausgegeben, es wird wieder teuer und luxuriös geschenkt.
Zu meiner grossen Erleichterung ist der Do-it-yourself-Wahn, der Ich-verschenke-Handgewebtes/Handgebackenes/Handgeblasenes-Rausch erledigt.
Man erinnere sich nur an das schwere Tramunglück in Bochum Anfang 2006: Da sprang ein Wagen aus dem Gleis, kippte und schleuderte noch ein wenig herum, wie durch ein Wunder gab es nur vier Leichtverletzte und ein paar Traumatisierte. Nach einer Woche gestand ein junger Angestellter die Tat: Er habe, nachdem das Weihnachtsgebäck seiner Schwägerin seinen Zähnen standgehalten habe und auch Hammer, Meissel und Säge völlig machtlos gewesen seien, einfach ausprobieren wollen, ob ein massiver Tramwagen die Dinger kleinkriegen würde. Allerdings erwiesen sich die Springerle, Mandelhäufchen und Mailänderli auch für die Strassenbahn als unbezwingbar, sie kippten den Waggon schlicht und einfach aus seiner Bahn.

Bitte kein Selbstgemachtes mehr.

Man erinnere sich nur an den Fall einer jungen Rechtsanwältin 2008 in Berlin. Sie hatte von ihrem Chef selbstgemachtes Gewürzöl geschenkt bekommen und wollte für ihre Sylvesterparty einen Salat anmachen. Zum Glück, zu ihrem grossen Glück bemerkte sie, dass die Substanz die Salatschüssel angriff, also genauer gesagt, sich durch die Schüssel frass, der Boss hatte sich wohl beim Würzen etwas vertan, sodass die Anzahl der Peperonischoten, die auf Speisekarten die Schärfe angeben, hier sicher im dreistelligen Bereich gelegen hätte. Nicht auszudenken, ihre Freunde hätten dieses Öl in den Mund bekommen! Sie hätten das neue Jahr wie Dürers Tod begonnen, ihr Gesicht hätte es vollständig weggeätzt.

Bitte kein Selbstgemachtes mehr.

Man erinnere sich doch auch an Holger Gutdarf aus Buxen, der heute 20-jährige war im Jahre 2000 mit rotem, zerkratzem und zerschürftem Rücken in den Kindergarten gekommen, worauf sofort das Jugendamt eingeschaltet wurde. Nach vielen Gesprächen, Ermittlungen, nach vielen Tränen und Hasstiraden kam die Wahrheit heraus: Die Eltern hatten den Bub gezwungen zum Besuch bei der Erbtante den von ihr selbstgestrickten Pullover anzuziehen, um zu zeigen "wie sehr der Kleine sich freut". Das Kleidungsstück hatte bei dem armen Kleinen nicht nur gejuckt und gezwickt, sondern seine Haut schlicht und einfach aufgerieben.

Bitte kein...

Verstehen Sie mich nicht falsch:
Ich liebe Selbstgemachtes von Kindern. Wenn ein goldiger Vierjähriger oder eine süsse Fünfjährige einem ein Bildchen, einen Kuchen, eine Laubsägearbeit, ein Präsent, ein Geschenk mit den Worten "Für dich" überreicht, dann schmilzt man doch dahin, da greift dann so etwas wie der Süsser-Fratz-Bonus, da kann man doch sagen "Du hast dir aber Mühe gegeben", da brauch man keine Professionalität. Aber mit 50 ist man eben kein süsser Fratz mehr. Ich mache seit 40 Jahren Fotokalender, bei den ersten habe ich noch alle Monatsraster selber gemalt, dann kamen die Hier-kannst-du-deine-Fotos-einkleben-Kalender, die allerdings so dick wurden, dass der aktuelle Monat immer etwas erigiert in die Wohnstube stand, dann kam der vollelektronische Bestellkalender.
Waren die ersten so ein Solch-eine-Mühe-hast-du-dir-gemacht-Geschenk, sind die jetzigen von dem Onlinefotohaus aus Kreuzlingen einfach professionell. Zum Glück hat sich auch meine Fotografiererei in den letzten 480 Monaten zu einer gewissen Schönheit gemausert.

Damit wären wir beim zweiten Punkt:
Ich liebe Selbstgemachtes von Leuten, die es können. Ja, von Menschen, die kochen, backen, stricken, die malen, schönschreiben oder basteln können. Auf meinem Balkontisch steht ein Kerzenhalter aus Stein, den eine Freundin aus Beton selber gegossen hat, er ist wunderschön und sturmstabil. Ich liebe es, Weihnachtsgebäck oder gestrickte Hausschuhe zu bekommen.
Aber warum meinen Leute, die nicht mal ein Spiegelei in die Pfanne kriegen, dass sie Kulinarisches zu Weihnachten verschenken müssen?
Warum meinen Leute, denen das Bleistiftenspitzen schon zur Lebensaufgabe wird, dass sie Schreibtischuntensilien basteln müssen?
Warum meinen Leute, die "Hand" und "gewohnt" für einen Reim halten und vier Betonungen im einen und sechs Betonungen im nächsten Vers für vertretbar halten, sie müssten für mich zum Poeten werden?

Nein, zum Glück ist der vor einigen Jahren ausgebrochene Hype Marke Wir-verschenken-Selbstgemachtes wieder vorbei. Es wird wieder eingekauft. Es wird wieder Geld ausgegeben, es wird wieder teuer und luxeriös geschenkt.
Zu meiner grossen Erleichterung ist der Do-it-yourself-Wahn, der Ich-verschenke-Handgewebtes/Handgebackenes/Handgeblasenes-Rausch passee.
Und wenn Sie wirklich etwas selbermachen müssen, zum Beispiel, weil es keinen Bonus gab oder kein 13. Monatsgehalt: Testen Sie es, bevor sie es auf den Gabentisch legen:

Plätzchen sollten kaputtgehen, wenn man mit dem Hammer draufhaut.

Gewürzöl sollte die Küchenarbeitsfläche nicht angreifen.
Und reiben sie mal mit dem selbstgestrickten Schal über Ihren Arm:
Wenn er die Haut aufreisst, ist er nicht weich genug.




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