Donnerstag, 6. November 2014

Der Angriff der Promoter

Wenn ich am Mittag von Solothurn, wo meine erste Arbeitstaghälfte stattfindet, in Basel ankomme, stelle ich mir stets nur die eine Frage:

Wem muss ich heute wieder ausweichen?

Und damit meine ich nicht die Spätpubertierer, die der Ansicht sind, die Passarelle sei eine Halfpipe und mit Skateboards auf mich zurasen, ich meine nicht die Flugbegleiter, die mit ihren Rollköfferlein immer eine so elegante Kurve ziehen, dass sie den Samsonite-Porsche direkt in meiner Kniekehle platzieren, ich meine auch nicht die vielen Leute, die so spät aus dem Haus gegangen sind, dass der ICN nach Bern-Thun-Spiez nur noch durch einen Spurt erreichbar ist, der Usain Bolt vor Neid erblassen liesse, auch wenn man das bei ihm natürlich schlecht sähe.

Erst recht meine ich nicht alle die Zeitgenossen, die mich schlicht und einfach nicht erblicken, weil sie, das Tablet vor den Augen, ihre SMS checken oder unbedingt erfahren müssen, was die Paltrow in ihrem Lifestyle-Blog GOOP als aktuellen Cocktail empfiehlt. Ja, bei den Ich-bin-gerade-online-weichen-Sie-mir-aus-Typen habe ich sogar immer die leise Hoffnung, der junge Mann, der in zwei Sekunden in mich reinknallt, läse die Dienstags-Freitags-Glosse, ich würde ihm meinen Sturz und alle Prellungen verzeihen.

Nein, ich meine nicht alle diese Leute, ich meine die, die sich mir gemein und mutwillig in den Weg stellen und mir etwas geben wollen:

Die Promoter.
 
Am Montag ist die Passarelle mit Männern in Teddykostümen bevölkert, die auf mich zuspringen, mich umarmen und mir kleine Honigproben in die Hand drücken (Promotion von Langnese®), am Dienstag verteilen junge Damen in prallen Dirndln Weisswurstproben (Promotion von ALDI® – Bayrische Woche). Am Mittwoch will man mir Shampoo ins Haar reiben, und weil es Karottenshampoo ist, ist alles orange: Die Overalls der Promoter, ihre Haare, ihre Schuhe, ihre Gesichter, sie verteilen orange Handzettel und natürlich sind auch die Fläschchen in dieser Farbe. (Promotion von GARD®)

Für den Donnerstag hat sich TUI® zur Be-Werbung ihrer Winterflüge auf die Bahamas und nach Tunesien etwas reizend Nettes einfallen lassen: Die jungen Leute, die Passarelle, Ein- und Ausgänge bevölkern, tragen Bikini oder Badehosen, allerdings sind sie nach fünf Stunden promoten so blaugefroren, dass der Werbeschuss ein wenig nach hinten losgeht.

Am Freitag stürzen dann zwei Gruppen auf mich zu, eine von links, eine von rechts. Nestlé®schenkt mir kleine Joghurtdrinks, die mich - probiotisch wie sie sind - gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos machen sollen. Müllermilch® – schenkt mir kleine Bananenmilchflaschen, die mich - lactosefrei wie sie sind -   gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos machen sollen. Ich kann, da beide Gruppen den jeweiligen Ausweichpfad versperren, mich nur auf den Boden werfen und zwischen den Beinen der Nestler und der Müllerer hindurchkrabbeln.

Es stellt sich die Frage, ob es die anderen Fahrgäste auch so nervt, aber nichts da: Am Montag winkt ein Mann allen Kumpels: "He, lasst euch kuscheln, und Honig gibt's auch noch!" Am Dienstag werden die Weisswürste den Dirndln aus den Händen gerissen und noch vor dem 12-Uhr-Läuten gezuzzelt, am Mittwoch reiben sich die Damen die orangene Masse direkt in die Haare und spülen sie am nächsten Brunnen aus, am Donnerstag nimmt man gleich 15 Prospekte, dass die Schönen in die Wärme kommen. Am Freitag wird sofort getrunken und geschlürft, denn gesund, fit, glücklich, reich, schlank, berühmt und sorglos will ja jeder sein.

Und warum?

Wir werden wahnsinnig vor Glück, wenn wir etwas gratis, etwas umsonst, etwas geschenkt bekommen. Da sind wir auf der Stufe des Tieres stehen geblieben. Wenn man dem Affen eine Banane hinhält, schreit er vor Glück, wenn man uns eine Gratisprobe hinhält, bekommen wir Orgasmen. Dass wir, wenn uns das Produkt gefällt, von unserem günstigen auf ein sauteures umsteigen werden, stört unser Glück nicht.
Es sind Danaergeschenke.
Aber die Trojaner fielen ja auch auf den Trick herein: Das Pferd war gratis.

Wenn ich am Mittag von Solothurn, wo meine erste Arbeitstaghälfte stattfindet, in Basel ankomme, stelle ich mir stets nur die eine Frage:
Wem muss ich heute wieder ausweichen? 
Daran wird sich so schnell nichts ändern.

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