Montag, 25. August 2014

Früher war spenden klarer oder: Eiswasser

Früher war die Welt der Spender und Spendenempfänger, die Welt der Geberinnen und Nehmerinnen, der Zahler und Erhalter noch überschaubar und geordnet.
Die Mitarbeiter der Kirchen warfen einmal im Jahr ein Tütchen in den Briefkasten, in das man das Geld für BROT FÜR DIE WELT, oder, war man katholisch, für MISEREOR hineintat. Nur wenige Leute, denen die Hilfswerke zu links waren, immerhin wagten die ja manchmal zu sagen, dass es auch an den Besitzverhältnissen in Lateinamerika oder Afrika lag, spendeten für HILFE FÜR BRÜDER.
Neben dem Beitrag für die Kirchlichen Hilfswerke gab man noch für die Kriegsgräberfürsorge und man kaufte den Kalender der behinderten Künstler. Dieser Kalender, mit mund- und fussgemalten Bildern wird, glaube ich in fast jedem Elternhaus meiner Generation irgendwo gehangen sein. Ja, man könnte hier die ganze Meute der Geburtenstarken Jahrgänge darauf untersuchen, welchen Einfluss es hatte, mit mund- und fussgemalten Bildern aufgewachsen zu sein. Mund- und Fussgemaltes hing im Ess- oder Wohnzimmer, oder auch in der Küche, ja man kam um die Mund- und Fussmalerei überhaupt nicht herum. Mich machte dieses Zeug immer rasend, weil ich nicht zeichnen konnte: Wie blöd stehst du da, wenn du mit einer gesunden rechten Hand nicht einmal einen Baum zeichnen kannst, und die malen ganze Wälder mit dem Fuss?
Neben den Kalendern kaufte man Produkte der Blindenwerkstätten. Die durften nämlich an der Haustüre verkaufen, ein Thema, das immer von den Hausfrauen immer wieder beim Bäcker, Metzger oder Friseur durchgehechelt werden konnte: „Kommt da doch neulich so jemand und sagt, er käme von der Beschützten Werkstatt Stetten, wissen Sie, die im Remstal, und da sag ich gleich, Sie sind ein Betrüger, weil die geistig Behinderten, die dürfen ja nicht an der Haustüre, sag ich zu dem und gehen Sie weg, nur die Blinden dürfen ja…“ „Sag ich auch immer zu meinen Kindern, sag ich auch immer, sonst…“ „Nur die Blinden, Frau Schäufele, nur die Blinden…“ So stapelten sich in unseren Schränken Besen und Bürsten, Wischmöppe (sic) und Putzlappen, Gestopftes, Gewebtes und Gedrechseltes für den Haushalt, man hätte Kehrwische (Für die Nichtschwaben: Handbesen) bis 2035 gehabt, aber weil der Verkäufer der Blindenware so ein netter Mann und weil es ja für die Blinden war, nahm man immer wieder Zeug ab.

Dann explodierte irgendwann das Spendenwesen.
Heute kommen Sie in einer Woche locker auf 35 bis 45 Briefe, Glanzprospekte, Schreiben, Drucksachen, die alle nur eines beinhalten: Wir wollen Ihr Geld. Gehen Sie auf die Strasse, werden Sie sofort von einem Spendeneintreiber in grüner, gelber oder roter Jacke angehalten. Die jungen Leute sind keineswegs Mitglieder der Organisation, für die sie werben, es sind Berufsspendensammler. (Ich habe vor etlicher Zeit einem solchen schon einmal einen Post gewidmet, es ging um das Baumkänguru.) Inzwischen sind vor allem die jungen Männer immer sportlicher und durchtrainierter und springen, sollte jemand die abgegriffene Floskel Keine Zeit benützen, auch schon mal potentielle Spender von hinten an und werfen sie zu Boden, um dem Spendengespräch die nötige Zeit zu verschaffen.

Der Kampf um den Euro, den Cent, um den Franken und den Rappen wird immer härter.
Denn es gibt schlicht und einfach zu viele Organisationen.
Es gibt allein im Bereich Natur eine unüberschaubare Menge an Gesellschaften, Hilfswerken und Verbänden, das einem schwindlig werden kann, Gesellschaften, Hilfswerke und Verbände, die zum Teil auch diametral entgegengesetzte Ziele verfolgen. So liegen die Interessen bei der IG DEUTSCHE WILDKAROTTE ® natürlich anders als beim HASENSCHUTZBUND®, der HASENSCHUTZBUND ® freut sich über die Karottenpflege, die IG DEUTSCHE WILDKAROTTE ® würde aber die Hasen am liebsten abknallen oder wenigstens sterilisieren, denn viele Hasen sind der Wildkarotte Tod.

Es ist nun nicht verwunderlich, dass im Kampf um die Aufmerksamkeit der Spenderinnen und Spender  zu sehr ungewöhnlichen Mitteln gegriffen wird. Eines ist die Sozial Media-Challenge: Man fordert Sie auf, irgendeinen Schwachsinn zu tun oder eine bestimmte Summe zu spenden, wenn Sie wollen, dürfen Sie auch spenden UND Schwachsinn machen. Tausende von Leuten lassen sich zur Zeit mit kaltem Wasser übergiessen und es ist schon eine Riesensumme zusammengekommen.
Scheinbar braucht es in der Welt einer völlig aus den Fugen geratenen Hilfswerksexplosion solche Kicks, um nicht in der Flut der Gesellschaften, Hilfswerken und Verbänden unterzugehen.

Nun gut, ich habe zum Glück kein Facebook.
Ich würde nämlich weder das eine noch das andere tun. Ich schwimme zwar in beliebig kaltem Wasser, aber wenn ich stehe und es auf mich runterkommt…Brrrrrr…Ich bin Warmduscher. Spenden würde ich aber auch nix, weil ich meine zwei Clubs habe, denen ich spende und ich alles, was übrig ist, dahin gebe und mich nicht verzettele.

Manchmal sehne ich mich in die Kindheit zurück: Wir sitzen am Küchentisch, in der Ecke liegt das Umschläglein für BROT FÜR DIE WELT, an der Wand hängt ein Kalender mit mund- und fussgemalten Bildern und irgendwo steht unser 35. Besen herum. "Der von den Blinden war wieder da, und der ist doch so nett, und es ist ja auch für die Blinden, und es sind ja nur die Blinden, die an der Türe..."
Früher gab es kein Eiswasser.
Und das war gut so.

 

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