Montag, 18. August 2014

Aus Versehen den Bertholdsbrunnen kaputtgemacht

Ich habe viele Gruppen schon durch Freiburg im Breisgau geführt. (Die eine einmal mit Restalkohol, dafür schäme ich mich noch heute – Gruss an Philipp). Ausser vielen Ahs und Ohs und Freudenschreien gab es immer zwei Enttäuschungen: Die eine, dass die Altstadt so klein ist („Das war alles?“), die andere war der Bertholdsbrunnen. Alle hatten einen grossen, gusseisernen Brunnen erwartet, bei dem oben eine Statue eines stattlichen Fürsten thront und von ihm aus sprudelnde Quellen und Strahlen von Schale in Schale sich ergiessen und schliesslich überquellend im letzten, fundamentalen Becken enden. Stattdessen sahen sie dieses: Einen bulimischen Jüngling – hatte der Stadtgründer wirklich Magersucht? – auf einem rachitischen Ross, der junge Mann macht irre Verrenkungen, von denen man nicht weiss, ob sie Spasmen oder Yoga sind. Das Ganze steht auf einem schmutzigen Steinsockel in einer Wasserpfütze. „Das ist der Berholdsbrunnen?“, wurde ich sicher tausendmal gefragt.

Nun wird seit Juli der gesamte Gleiskörper der Strassenbahnen um dieses Monument erneuert. Die Baustelle ist mit einem hohen Zaun gesichert und das Denkmal mit einem Gerüst geschützt.
Ich frage mich, warum.
Wäre es nicht überaus sinnvoll gewesen, den Bertholdsbrunnen vor allen Blicken zu schützen und dann im Sommer eine Baupanne passieren zu lassen? Nach dem Motto: Sorry, wollten wir nicht, aber wir haben aus Versehen das Teil abgefräst, kleingehackt, plattgemacht, ein Bohrer kam irgendwie dran und dann ist die Planierraupe drüber.
Alle wären glücklich.

Ist meine Idee so abwegig?
Jeder hat doch schon mal eine Scheusslichkeit „aus Versehen“ zu Bruch gehen lassen, da hat man bei der Tante ihre widerlichste Untertasse versehentlich vom Tisch gestossen, da hat man beim Umzug des Kumpels die zwei Meter hohe Keramikgiraffe, die einen immer so genervt hat, unabsichtlich die Treppe hinuntergeworfen, da hat man Dinge, die eklig und fies anzusehen waren, vergessen, zu sehr geschüttelt oder zu sehr gerührt.
Garfield stösst in einem der Cartoons "aus Versehen", also für den Leser eigentlich mit gut sichtbarer Absicht, an eine Vase und spricht in Anlehnung an Armstrong dazu: "A little push for a cat, but a big push for good taste."

Warum lässt man in einer der pfälzischen Städte, wo zurzeit immer Bomben gefunden werden – alle Blindgänger des Zweiten Weltkriegs sind komischerweise in der Pfalz – so einen Sprengkörper nicht einfach mal hochgehen? Ich meine natürlich nach der vollständigen Evakuation aller Menschen. Die Innenstädte von Kaiserslautern, Pirmasens oder Idar-Oberstein könnten nur gewinnen, wenn man einige der Sechziger Jahre- Katastrophenbauten einfach wegsprengt. Bin ich zynisch? Wahrscheinlich schon. Aber wer braucht denn noch diese Fussgängerzonen aus Glas und Beton, die alle gleich aussehen und in denen es auch die genau gleichen Geschäfte hat? (OK, in Kaiserslautern hat es keinen NEW YORKER und in Pirmasens keinen BODY SHOP, aber das ist der einzige Unterschied.)

Aber kehren wir die Kiste mal um ins Positive: Warum haben die Bauarbeiter, die jetzt acht Wochen lang die Strecke Basel – Delemont revidiert haben, nicht die Pläne „ein wenig falsch“ gelesen und das zweite Gleis, auf das man seit 1928 wartet – der Schnellzug nach Genf muss jeden Morgen auf den Gegenzug warten – einfach dazu gebaut? Es hätte Riesenärger gegeben, man hätte getobt, geschrien, wer hier zu blöde ist einen Plan zu lesen, aber am Ende wären alle glücklich gewesen.

Das Prinz-von-Homburg-Thema: Man missachtet einen Befehl, deshalb gewinnt man die Schlacht… und hat dann ein ziemliches Problem, aber das nimmt man in Kauf.

Jedenfalls sollten wir viel mehr aus Versehen, unabsichtlich, ohne Fleiss Dinge verschwinden lassen, die eh alle nerven.
Oder eben Gleise, Verbindungen, Tunnel, Brücken, die dem ÖV nützen, einfach "aus Versehen" bauen. 
Heute war ich noch mal in Freiburg. Ich habe mir den jungen Herrn ein weiteres Mal genau angesehen. Das ist kein Yoga! Das ist irgendetwas zwischen Voltigieren und Qui Gong, verbunden mit einem Spasmus.

Und der Berthold steht immer noch.
Aber der Sommer ist ja noch lang.
Bestimmt wird einem Arbeiter der Bohrer ausrutschen.
Es ist zu hoffen.

 

 


 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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