Donnerstag, 26. September 2013

Der Spiesser in mir


Vierzig Jahre hat er in mir geschlummert, vierzig Jahre in einer kleinen Höhle meines Herzens gelebt, vierzig Jahre nur gelegentlich geknurrt, aber sonst unsichtbar, unerkennbar, verborgen. Und seit ein paar Jahren strebt er nun zum Tageslicht, um sich irgendwann meines Lebens zu bemächtigen:
Der Spiesser in mir.
Der Bünzli. Der Bürger. Der Bourgois.
Ein paar kleine Male konnte er sich bemerkbar machen oder sogar durchsetzen.
Als ich zum Beispiel beim Trampen durch Schottland keine einzige trockene Faser mehr besass, weil das Zelt nass ausgepackt und feucht eingepackt wurde und der Rucksack den Eimern Regen, die da vom Himmel kamen, nicht standhielt, setze der Spiesser in mir irgendwann ein Hotel durch.
Oder als die Demonstration gegen die Kriminalisierung der Hausbesetzer durch etliche kaputte Fensterscheiben entartete und das Ganze irgendwie Krawall wurde, setzte der Gute sich genauso durch und ich suchte ganz feige das Weite...
Aber im Grossen und Ganzen schwieg er, der Bünzli, der Bourgois.
Nun ist er da, in voller Schönheit.
Wollen Sie ein Beispiel? Der Gipfel der Spiessigkeit waren für mich stets - ausser S(p)chiesser-Feinripp-Unterhosen und umhäkelte Klorollen - aufgehängte Mahnzettel. Bitte im Hausflur nicht laut reden las man da, oder Nach 20.00 kein Damenbesuch oder Waschmaschine bitte immer mit Essigwasser reinigen. Nun hat es mich doch so genervt, dass vor direkt vor der Haustür Müllsäcke stehen, die dort vor sich hin stinken und von Ratten umtanzt werden, obwohl die Sammelstelle nur 20 Meter weit weg liegt, dass ich selber - ich! ich! ich selber! - einen Zettel aufgehängt habe:
BITTE DIE MÜLLSÄCKE NICHT VOR DAS HAUS STELLEN. SIE WERDEN DA NICHT MITGENOMMEN.
Ich habe also genau so ein Ding aufgehängt, das mich in jungen Jahren so geärgert hat. Allerdings mit Erfolg: Seitdem trägt die unbekannte Person ihre Säcke zum Sammelplatz, das, was ich oder ein anderer Hausbewohner bisher gemacht hatte.
In der Folgezeit entdecke ich bei vielen Freunden solche Zettel:
BITTE IMMER DARAUF ACHTEN, DASS DIE HAUSTÜR AUCH WIRKLICH GESCHLOSSEN IST.
BITTE BEIM VERLASSEN DES BADEZIMMERS DAS LICHT AUSSCHALTEN.
Ich glaube, wir sind alle ein wenig in die Jahre gekommen. Vielleicht nerven bestimmte Dinge mit 48 auch einfach mehr.
Es nervt, wenn ich Altkleider zum Container bringe und beim Öffnen der Klappe mir das Schuhbündel des Vorgängers oder der Vorgängerin entgegenfliegen. Man hätte ein bisschen fummeln müssen, weil die Klappe nur grosse Säcke wirklich schluckt, aber das hat man/frau nicht getan. Es nervt, wenn man beim Einscannen der Waren in der supermodernen COOP-Scanner-Automatikkasse erst einmal die Butter, die Wurst und die Seife des Vorbenutzers stornieren muss, weil der oder die sich spontan entschieden hat, doch Normalkasse zu besuchen. Also man muss nicht stornieren, man kann auch das Angezeigte bezahlen, aber wer macht das schon?
Es nervt, wenn kein Papier im Kopierer ist. Es ist fast ausgeschlossen, dass die benutzende Person genau 138 Kopien brauchte und genau 138 Blatt drin waren.
Es nervt, wenn Leute wie die Sau vom Trog laufen.
Merken Sie meinen spiessigen, meinen bürgerlich-miefigen Ton.
Habe ich früher nicht gehabt. Aber jetzt ist der Bünzli da und geht auch nicht mehr weg.
Aber seien Sie versichert: Ich trage (noch) keine Schiesser-Feinripp-Unterhosen und meine Klorollen sind nicht umhäkelt. Ich kann nämlich gar nicht häkeln.


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen