Freitag, 22. März 2013

Wir sind alle kleine Egozentrikerlein


Als ich 1982 ans Stuttgarter Musikgymnasium wechselte, musste ich mich in der für mich neuen Szene der Stuttgarter Künstler, alle ihre Kinder gingen ja dort hin, die kleine Rilling und der Nachwuchs vom Südfunkchor (heute SWR-Vokalensemble), erst zurecht finden. So fragt ich einen jungen Musiker, ob die Pianistin, die den gleichen Namen wie er trug, seine Mutter sei. Seine Antwort kam schnell und pampig: „Die Frage ist nicht dein Ernst, oder?“ Auf Deutsch: Wir sind doch so bekannt, dass es jeder weiss. Egozentrik. –
Am Stuttgarter Hauptbahnhof wurde ich Zeuge einer Szene, in der eine alte Frau am Schalter eine Rückfahrkarte nach Murrhardt verlangte und sich nach Erhalt dieser über den Fahrpreis wunderte. Es stellte sich heraus, dass sie eine einfache Fahrt wollte, weil sie sich auf der Rückfahrt ins Murrtal befand. „Abr ii faar doch zrigg nach Murrhardt, ii wohn doch en Murrhardt!“, lamentierte sie laut. Aber wie hätte das Bahnbeamte herausfinden sollen? Egozentrik.
Nun bin ich neulich selber in die Egozentrikfalle getappt: Ich kam um 11.30 in Mainz an und benötigte eine Reservierung, für den Folgetag um 12.45. Als diese ausgestellt war, äusserte ich die Hoffnung, der Zug möge pünktlich sein. Zu meiner Verwunderung sagte die Dame am Schalter: „Kann ich nachsehen, wo der ICE gerade ist.“ Denn natürlich hatte sie für den gleichen Tag gebucht, ich hatte ihr nichts anderes gesagt, ich war einfach davon ausgegangen, sie WISSE, dass ich gerade angekommen sei. Aber wie soll sie darauf kommen? Ich trug ja kein Schild um den Hals: „Just arrived in Mainz“.
Wir alle, Sie und ich und Otto Normalverbraucher, sind kleine Egozentriker.
Wir sind erschüttert, dass der Arbeitskollege vergessen hat, wohin wir in Urlaub fahren, wir haben es ihm doch gestern gesagt. Dabei gehen wir davon aus, dass er von den ca. 2000 Informationen, die er täglich erhält, gerade diese nicht löscht. Aber warum sollte er? Die Ferien sind für UNS bedeutsam, nicht für ihn! Im Gegenteil, die Nachricht, dass der Bürokollege nach Mallorca fliegt, macht ihn weder glücklicher, noch weiser , noch reicher, er hat keinen persönlichen Nutzen davon. Also merkt er sich die Dinge, bei denen ein Nutzen für ihn herausspringt. (Aktionswoche bei ALDI – alle Konserven mit Pferdefleisch zum halben Preis)
Wir sind erschüttert, dass der Mitreisende unsere Probleme nicht hören will. Dabei ist weder ein enger Freund noch ein Therapeut, nur ein Mensch, der zufällig im Bus uns gegenübersitzt. Wäre er ein enger Freund, würde er natürlich zuhören, und dann sagen, dass er auch keinen Rat weiss. Wäre er Therapeut, würde er uns Gehör schenken, dann einen Rat geben und eine Rechnung überreichen.
Wir aber denken, wir können unseren Müll überall abladen, statt nur bei Leuten, die dafür zuständig sind: Menschen, die uns mögen oder die wir dafür bezahlen.
Also gehen wir doch einfach davon aus: Der Mitmensch weiss ganz wenig von uns und manchmal will er es auch gar nicht wissen.
Die Pianistin WAR übrigens seine Mutter. Ich nenne keinen Namen, aber kleiner Tipp: Er ist heute Konzertmeister eines Spitzenorchesters nicht weit von Basel.
Und ich traf mich erst einmal mit einem Insider, um die Gesamtheit der Verflechtung der Stuttgarter Musikerszene zu erfahren.
Und noch eine nette Geschichte zum Schluss: Ein Freund bereiste Australien und kam in einem Restaurant mit einer Dame ins Gespräch. Irgendwann sagte er : "I love your accent." Sie konterte pikiert: "I was born here! I have no accent!"

 

 

 

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