Dienstag, 12. März 2013

Elektronische Fussfessel für Schriftsteller


Hohler hat es getan.
Capus hat es getan.
Genazino hat es getan.
Sie sind spazieren gegangen.
Und haben uns mit Spaziergänge, mit Der König von Olten und mit Tarzan am Main drei reizende Bändchen voll liebevoller und witziger Miniaturen hingelegt, in denen man eine Menge neuer Dinge über Zürich, Olten und Frankfurt erfährt. Ich habe sie mit grossem Genuss  gelesen.
Aber nun ist gut!
Ich befürchte nämlich, dass, wenn man der Sache nicht Einhalt gebietet, wir von einer Welle von Spaziergängen überschwappt werden. Sie glauben mir nicht? Sehen Sie: Vor etlichen Jahren fingen einige deutschsprachige Autoren an, angeregt durch Wallander und Leon, Krimis zu schreiben, die in einer bestimmten Stadt spielten und den Lokalkolorit aufsaugten. Diese Lokalkolorit-Krimis wurden zu einem nicht mehr zu stoppenden Phänomen. Ich war in den letzten Jahren viel in Deutschland unterwegs und habe die Kontrolle gemacht: An keinem Ort lag nicht ein irgendwie gearteter Ortskrimi herum: Ich fand den Trier-Krimi, den Wuppertal-Krimi, den Stuttgart-Krimi, den Wismar-Krimi, ja selbst an Orten, die völlig farblos, monoton und eintönig sind, wie Pforzheim, Bottrop, Wanne-Eickel und Idar-Oberstein, versprach der Klappentext eine Story mit Lokalkolorit. Und das heisst ja nun eigentlich, Farbe, Färbung einer Stadt.
Jetzt droht nach der Krimiwelle die Spaziergangswelle. Hunderte, Tausende von Schriftstellern werden sich aufmachen und uns auf Touren durch ihre Wohnorte mitnehmen. Wollen wir das? Nein, das wollen wir natürlich nicht. Ich kann einen Kriminalroman, der in Bottrop spielt, noch ertragen, wenn der Plot gut ist, aber ich möchte da keine Spaziergänge machen. Ich möchte von keinem Dichter, und sei er Büchner- UND Friedenspreisträger, durch eine der verunglückten 60er-Wiederaufbau-Städte geführt werden. Schreiber, erspart uns die Wanderungen durch Erlangen und Giessen!
Aber das werden sie nicht tun. Gestern Abend, ich stand mit einem Aperitif am Fenster, sah ich sie in der Dämmerung umher schleichen, mit gezückten Stiften und aufgeklappten Notebooks, sich unbeobachtet glaubend, spazierten sie herum.
Jetzt muss der Gesetzgeber einschreiten: Dichter sollen dichten und nicht herumlaufen. Schriftsteller sollen schriftstellern und nicht spazieren gehen. Wir brauchen die elektronische Fussfessel für Autoren! Gänge zum Amt, zum Arzt, zur Post sollen natürlich erlaubt sein, gut, meinetwegen noch in den Supermarkt, es gibt ja immer mehr Schreiberlinge, die ständig essen, früher gehörte der ertragene Hunger zum wichtigen Element eines Künstlerlebens, aber gut, ALDI und LIDL erlauben wir auch noch, aber wenn der Schriftsteller irgendwie vom Weg abkommt, geht sofort ein Alarm los. 
Und dann muss er wieder nach Hause! 
Und sollte dort vielleicht erst einmal Hohler, Capus und Genazino lesen, und sich überlegen, ob er das so gekonnt hinkriegt…

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