Montag, 1. Oktober 2012

Luxus


Nachdem alle meine dtv-Böll-Bände inzwischen nur noch eine Blättersammlung waren und die Haltegummibänder in meinem Bücherregal so hässlich aussahen, nachdem ich, wenn ich z.B. Ansichten eines Clowns am Strand las, Panik vor jeder Minimalböe hatte, nachdem ich mir auch nicht mehr sicher war, ob Haus ohne Hüter noch die Seiten 105-110 besässe, nachdem sich Gruppenbild mit Dame von der Terrasse des Joggeli wie einst die Flugblätter der Weissen Rose als Papierregen auf die Sonnenanbeter ergossen hatte, entschloss ich mich doch zur Anschaffung der Böll-Gesamtausgabe, 20 Bände im Schuber, sorgfältig kommentiert und lektoriert, Kiepenheuer und Witsch, 750.- Euro.
Als ich meinem Freund Moritz davon erzählte, stöhnte er kurz auf und meinte: „Hast du im Lotto gewonnen? Du bist und bleibst eben ein Luxusmensch.“ Moritz bewohnt in Zürich-Altstetten eine 6-Zimmer-Wohnung, weil er als „Mensch, der im Grossraumbüro fast eingeht, zu Hause Platz zum Atmen braucht“ (genauer 200qm) und fährt einen Lamborgini, weil „der ÖV in Zürich wirklich nicht akzeptabel  ist“. Seine Wochenenden verbringt er am Lago Maggiore oder im Wallis, weil ihm die Decke seiner Protzwohnung auf den Kopf fällt. Dafür hat er ein GA, denn sein Schlitten findet in den engen Dörfern keinen Platz.
Und dieser Mensch bezeichnet mich als Luxuswesen? Ich glaube, der Begriff des Luxus ist sehr dehnbar. Wir bezeichnen gerne das als Luxus, was wir nicht verstehen, und natürlich sind es immer die anderen, die ihr Geld zum Fenster hinauswerfen, WIR geben unseren Stutz ja nur für Dinge aus, die absolut notwendig sind, wie z.B. ein Auto in Zürich. Und genauso lief es auch: Als ich begann, Moritz die Kosten einer Gesamtausgabe gegen die eines Lamborgini aufzurechnen, stöhnte er: „Ja, soll ich denn mit dem Tram nach Rapperswil fahren?“ Als ich entgegnete, dass keine Strassen- aber eine S-Bahn führe, und die könne er sehr wohl benutzen, war er endgültig eingeschnappt.
Dabei sind – betrachten wir doch einmal die Dinge von ganz anderer Warte – Moritz und ich Luxureboys, es gibt genügend Menschen, die sich weder ein Auto, noch teure Bücher oder Opernkarten leisten können, und, weltweit gesehen, gelten folgende Sachen als Luxus: Sauberes Wasser, Schulbildung, Dach über dem Kopf, Essen und andere Dinge. Wir alle, auch die Ärmeren hier haben ein Luxusleben.
Ich habe mich jetzt doch für eine Sparmassnahme entschieden: Ich nehme den Böll ohne Goldschnitt und Grieshaber-Illustration, der kostet dann nur 700.-.

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