Freitag, 19. Oktober 2012

Ist der Vandale ein Genie? oder: Posthum wird alles anders


Als ich in mein Schulzimmer komme, ist Bulbo gerade damit fertig geworden, meine Wand zu beschmieren. Er hat zunächst den Inhalt mehrerer Tintenpatronen darauf gespritzt, hat dann das Ganze mit nassem Gras verrieben und die Chausse mit Hühnerblut – wie zum Teufel kommt der Kerl an Hühnerblut? – ergänzt. Klar, was zu tun ist: Schulleitung, am besten Polizei holen, Tatbestand der Sachbeschädigung, Eltern zahlen und Bulbo kommt ins Time-Out.  Dann aber zögere ich. Man hat ja schon gehört, dass solche Typen später bekannte Konzept-, Video- oder Happeningkünstler werden und ihre spätere Biografie den Mist der frühen Jugend entschuldigt. Dann sind sie die Guten und die Lehrer und Erzieher die Bösen: Schon in der Schulzeit brach sich in Bulbo eine ungeheure Kreativität Bahn, was seinen unverständigen Lehrer immer wieder zu perversen Strafmassnahmen brachte. Oder: Das Genie Bulbos, das ihn zu Malereien auf Wänden und Tischen und zu grossangelegten Schulaktionen trieb, war nie durch spiessige Pädagogen zu bändigen.
Blüht mir das? Der Buhmann in einem Künstlerleben zu sein?
Das Problem ist, dass sich alle Durchbrüche, Umbrüche, Zer- und Querbrüche eines Genies erst posthum, und immer nur posthum darstellen. In der Situation hat das Umfeld Recht, im Nachhinein der Geist des Künstlers.
Jetzt mal ehrlich: Sind Sie Chef? Wie gehen Sie mit unerlaubter Urlaubsverlängerung um? Abmahnung? Kündigung? Zusammenscheissen? Sicher eines von den dreien. Warum ist dann der Fürstbischof Coloredo für Sie so eine Art Waldemort der Mozartvita, so eine Art Saruman des barocken Salzburg? Er war arbeitsjuristisch auf der korrekten Seite. Posthum, nur posthum stand er der Entfaltung eines grossen Geistes im Wege.
Und welche Mutter würde nicht gelegentlich einmal nachfragen, ob ihr Herr Sohn nicht doch daran denken könnte, sein Examen zu vollenden und eine Stelle anzunehmen, statt sich mit Nachhilfestunden knapp über Wasser zu halten und nebenbei Lyrik zu verfassen? Warum ist dann die alte Hölderlin die Narnia-Hexe der Literaturgeschichte, ein schreckliches Weib, das so zwischen Xanthippe und Hydra changiert? Posthum bemitleiden wir den so von der Mutter geplagten Friedrich, posthum.
Ich tue übrigens das Richtige: Ich hole den Kunsterzieher der Schule. Dieser schaut sich die Wand eine Weile an, redet mit Bulbo, fotografiert, macht sich Notizen und führt dann einige Telefonate. Zwei Tage später sind drei Beyelerleute damit beschäftigt, meine Tapete abzutragen, Sie können meine Wand auf der nächsten ART begutachten, ein Angebot von Brad liegt schon vor.
Uff! Dieses Mal alles richtig gemacht.

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