Montag, 15. Oktober 2012

M.J. und die neuen Wörter


Immer wieder werde ich gefragt, wer denn dieser ominöse M.J. sei. Der Komponist Michael Jari, dem wir die Schlager verdanken, mit denen die Petticoatgeneration in den Eisdielen die Jukeboxen fütterte, um dann vom Sonnenuntergang in Rimini zu träumen? Aber was hat der mit „deliziös“ zu tun? Oder meine ich vielleicht J.M.J., Jean-Michel Jarre, den ersten Elektroniker, dessen Oxgene den Kindern  der Petticoatgeneration  bis heute noch feuchte Nostalgieaugen macht? War Oxygene deliziös? Oder ist es gar Michael Jackson, der Popstar, der Moonwalk und den Ballgrap erfand, der sich kleine Jungs ins Bett holen wollte, und deshalb zur weissen Frau wurde, weil das dann ja harmlos ist? Delikat war sein Leben, aber deliziös?
Alles falsch, M.J. ist ein Schüler von mir, der Name bleibt geheim, aber dieser M.J. schrieb in seinen ersten Aufsätzen stets deliziös, von mir korrigiert, das sei ein altmodisches Wort, man schreibe heute delikat oder schmackhaft, beharrte er stur auf seinem Ausdruck, denn das klinge einfach besser, und manchmal passe auch nur diese Vokabel. Dann habe ich sie tatsächlich auch einmal benutzt, und ich stellte fest: M.J. hat Recht. Ein Linseneintopf mit Würstchen ist schmackhaft, ein Steak mit Sauce Bernadaise ist delikat, aber eine Pastete, gefüllt mit marinierten Pouletstücken und getrockneten Tomaten, auf einem Kräuterspiegel an Ruccola-Artischocken-Salat, das ist deliziös. Manchmal muss man sich auch gegen seinen Lehrer durchsetzen.
Überhaupt, die erfrischende, belebende Strategie meiner Schüler, einfach mal ein Wort zu setzen, nach dem Motto: Es wird schon existieren, wenn nicht, streiten wir ein wenig mit Herrn Herter, führt oft zu Katastrophendeutsch, aber manchmal, in kleinen germanistischen Epiphanien zu wunderbaren Bereicherungen unseres Lexikons.
Nur ein Beispiel: Der Uhu schleierte durch die Nacht schrieb H.R. Seine Begründung war herrlich: Schleiern sei so wie ein Schleier fliegen, also so sanft und langsam, man sage ja auch deshalb Schleiereule, und wenn eine Eule schleiere, dann ja wohl auch ein Uhu. Ich klärte ihn auf, dass das Wort nicht existiere und die Schleiereule wegen ihrer Kopffedern so hiesse, sagte ihm dann aber schliesslich: „Schön, dass du dieses Wort erfunden hast, es ist einfach wunderschön.“ Ist doch wahr! Ein Vogel, der wie ein Schleier durch den Nebel segelt, also schleiert, das ist doch deliziös ist es doch.
Manchmal fragt man sich, warum ein so herrlicher Satz wie In der meerigen Luft entmoosten muskelige, freibrustige Matrosen den  bemövten Hafen nicht geht.
Wir brauchen noch viel mehr Wörter, schöne Wörter, präzisere Wörter, Wörter, die es noch nicht gibt, aber die wir erfinden.
Übrigens ist mein PC schlimmer als jeder Deutschlehrer, er hat mir schon bei der Petticoatgeneration die erste rote Linie gesetzt, die zweite bei Nostalgieaugen, der Kerl akzeptiert wirklich nur das, was er kennt. Öde.

 

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