Montag, 5. März 2012

Schwäbische Taxifahrt

Max Häberle, der Taxifahrer, der mich vom Stuttgarter Hauptbahnhof – ja, genau der, der berühmte – fährt, schweigt. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Berühmt ist der Bahnhof - S21! – nicht der Fahrer. Und dass er Häberle heisst, entnehme ich dem Schild über dem Handschuhfach. Ein Stuttgarter würde doch nie einfach so seinen Namen sagen, wo denken Sie hin. Häberle hat bisher genau vier Wörter gesagt: „griss gott. wo naa?“ Da mein Ziel die Frage „rechts oder links“ nicht aufkommen lässt, wird die nächste die nach dem Fahrpreis sein, er wird also genau sechs Wörter gesprochen haben.
Während ich durch den Nebel und die Scheusslichkeiten des modernen Stuttgart Richtung Pragsattel gondele, bin ich froh, kein Rheinländer zu sein. Ein Kölner würde jetzt dem Zwang erliegen, ein Gespräch beginnen zu müssen und auf Granit stossen. Denn wir Schwaben beherrschen die Technik, auf eine Frage so zu kontern, dass ein weiterer Diskurs verunmöglicht wird. „Es ist so schön warm jetzt, man hat gedacht, es wird gar nicht mehr Frühling!“ „Bai ons ischs Friejohr no emmer komme!“ Dieses Beispiel berichtet Claudia Keller, eine Düsseldorfer Frohnatur, die versuchte in Württemberg Fuss zu fassen. Und was würde Häberle zum Thema Stuttgart 21 sagen? „I fahr koi Zug.“ Ende Gelände, aus die Maus, weiter wird nichts gesagt.
Wir Schwaben bekommen das Maul nicht auseinander. Und zwar einerseits, indem wir schweigen, aber auch, wenn wir reden, deshalb klingt es so schrecklich. Allerdings ist das Stuttgarterische dadurch ein leicht zu lernender Dialekt. Sprechen Sie einfach mit zusammengebissenen Zähnen, schon klingt es relativ authentisch.
Aber warum öffnen wir den Mund nicht? Weil Schwätze Zait koschded! Wir sind den ganzen Tag am Schaffen, Erfinden, Häuserbauen, Patente machen, Bahnhöfe abreissen, da haben wir keine Zeit für lange Reden.
Aber sind wir nicht auch das Völkchen der Dichter und Denker? Schiller, Hauff, Hegel, Schelling, Mörike, Hölderlin...? Ja eben, die haben gedacht und geschrieben und nicht geredet!
Hätte man auch gar nicht verstanden.
Hat man auch nicht verstanden. Schiller liefen bei einer privaten Erstlesung des „Fiesko“ die Leute davon und in Berlin wechselten Studenten von Hegel zu Fichte, weil sie Hegels Schwäbisch nicht ertrugen.
Häberle hat sein Ziel erreicht. Er deutet auf den Taxameter: 6,70 Euro. Wieder zwei Worte gespart.
Und dass mich das so nervt, zeigt, dass ich irgendwie doch schon kein richtiger Schwabe mehr bin.

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