Heiner Bummel verstarb am 30.5. in
Duisburg. Um denen, die mir jetzt sofort Zynismus vorwerfen, den Wind aus den
Segeln zu nehmen: Er starb nicht an Corona, nein, er schlief mit 85 Jahren
einfach friedlich ein. Er gehörte zu denen, von denen Herr Palmer sagte, dass,
wenn sie Covid-19 bekommen hätten, man sie hätte retten müssen, obwohl sie ein
halbes Jahr später eh gestorben wären – ihm kann man nun wirklich Zynismus
vorhalten.
Auf jeden Fall, Heiner Bummel verstarb und
fand sich kurze Zeit später im Himmel wieder. Da er ein Kirchgänger gewesen
war, kein sehr überfrommer, aber immerhin, war es für ihn auch nicht
verwunderlich, dass es den Himmel wirklich gab. Auch dass ihn Petrus empfing,
fand er nicht erstaunlich, erstaunlicher fand er da schon das Outfit des
Schlüsselhalters, er hatte irgendwie weisses Wallegewand und Rauschebart
erwartet, mit Businesslook (Boss, Krawatte von Armani, Schuhe von Prada Men,
Uhr: Rolex) hatte er nicht gerechnet, aber was ihn fast umhaute, war das Büro
des Heiligen. Auf 3 Laptops und 5 Computern flirrten die Daten, da war man über
jeden Abgang und jeden zu erwartenden Abgang auf der Welt informiert, zudem war
der Himmel auf Twitter, Facebook, auf Instagram und YouTube unterwegs, man
konnte also mit Fug und Recht sagen, auch dort ging man mit der Zeit.
Petrus sah Heiner an, er öffnete auf
seinem Tablet (ach ja, von denen gab es auch noch 12, zudem 30 Smartphones und
Androids) eine Datei und seufzte dann leicht: „Oh, tja, guter Mann, kein
schlechtes Leben geführt, auf jeden Fall Himmel, keine Frage, aber leider noch
ein bisschen Cleaning-Office.“ „Cleaning-Office?“, fragte Bummel höchst
erstaunt, „Cleaning-Office?“ Petrus lachte: „Ihr kennt das wohl noch unter dem
Namen Fegefeuer, oder Fegfeuer, französisch purgatoire,
italienisch purgatorio, kennt man von Dante, übrigens nicht zu verwechseln
mit purgante, das wäre ein Abführmittel, allerdings natürlich vom
gleichen Stamm hergeleitet, dem lateinischen purgare, reinigen, aber da
heutzutage dieses Reinigen, Klären, Säubern sich meistens elektronisch
abspielt, haben wir uns den Terminus Cleaning-Office angewöhnt.“
Heiner Bummel war völlig überrumpelt.
Erstens hatte er das Fegefeuer immer für eine katholische Erfindung gehalten,
er war evangelisch, aber wenn, dann hatte er nicht mit einem Office gerechnet.
Fast willenlos liess er sich von Petrus in ein kleines Büro führen, in dem ein
Tisch, ein Stuhl und ein Laptop stand, dazu auf einem Gestell ein dickes
Dossier. Als er den Himmelshüter fragend ansah, grinste dieser und meinte: „Lies
die Akte, dann wird alles klar. Nahrung und Trinken brauchst du keine mehr,
wenn du fertig bist – und das kommt auf dein Tempo an, dann kommst du wieder zu
mir und bekommst deine Flügel.“
Als St. Peter gegangen war, schlug Heiner
den Ordner auf. Da er mit den schrecklichsten Sünden und grausamsten
Verfehlungen, und dafür die schlimmsten Qualen gerechnet hatte, war er über den
Inhalt des Schriftstücks bass erstaunt:
12. April 1955
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Webergasse 14
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„Ich komme mal vorbei:“
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17. April 1957
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Hauptstrasse 30
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„Ich schaue mal rein.“
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20. Mai 1957
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0711 564534
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„Ich ruf dich an.“
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2. Januar 1958
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034 76534
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„Ich ruf dich mal an.“
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3. April 1958
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Am schönen Platz 56
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„Ich schreib dir `ne
Karte.“
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15. September 1959
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Burgplatz 1
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„Ich schreib dir `nen
Brief.“
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30. Dezember 1959
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052 3645478
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„Ich ruf dich an.“
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13. Februar 1960
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063 9834523
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„Ich ruf dich an.“
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Dies war gerade mal die erste Seite des
ca. 2000seitigen Dossiers. Später kamen dann noch die Bemerkungen Ich schick
dir ein Fax und Ich schick dir ne Mail, die Äusserungen Ich
schick dir ne SMS und Ich whattsappe mal dazu.
Und nun fiel es Herrn Bummel wie Schuppen
von den Augen: All diesen Leuten (wer waren sie überhaupt?) hatte er
versprochen, sich zu melden. In seiner Jugend mit echter Präsenz, telefonisch,
später per SMS oder WhatsApp. Und bei allen diesen Nummern und Adressen sollte
er sich wahrscheinlich melden.
Er ging zu Petrus und fragte unverblümt,
wie er das schaffen sollte. „Oh“, grinste Petrus, „das ist ganz einfach. Gib
alles in den Laptop ein, der findet alles heraus, ist ja ein Himmelsgerät. Steht
dort: Himmel, mache nichts, die Person triffst du dann hier sowieso. Steht
dort: Hölle, nichts zu machen, die ist verloren. Findest du eine Mailadresse
oder Handynummer, schreibe, wie von Geisterhand wird deine Nachricht auf dem
Gerät landen.“ „Aber da brauche ich ja ewig, und muss das wirklich sein? Ich meine,
die Phrase mit mal melden, das ist doch oft nur so dahingesagt.“ „Wir sind hier
altmodisch, weisst du, als ich auf Erden weilte, da meinten wir solche Dinge
noch ernst, wenn ich sagte, ich komme vorbei, dann ging ich auch vorbei…“
Und Heiner machte sich ans Werk:
Schon die erste Adresse war ein Treffer:
Paul, Schulkollege, damals wohnhaft in der Webergasse und noch am Leben. Er
besass sogar ein Handy; und Heiner schrieb:
Hallo Paul, ich bin inzwischen im Himmel
und muss Versäumnisse abarbeiten. Es tut mir so leid, dass ich im April 1955
nicht vorbeigekommen bin.
Zwei Stunden später kam die Antwort:
Hallo Heiner. Macht gar nix. Kann ich
verstehen. Ich sitze übrigens drei Kabinen weiter. Aber ich bin schon bei 2007.
Gehen wir dann auf Wolke 45 mal einen Kaffee trinken?
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