Dienstag, 9. Juni 2020

Das himmlische Cleaning-Office


Heiner Bummel verstarb am 30.5. in Duisburg. Um denen, die mir jetzt sofort Zynismus vorwerfen, den Wind aus den Segeln zu nehmen: Er starb nicht an Corona, nein, er schlief mit 85 Jahren einfach friedlich ein. Er gehörte zu denen, von denen Herr Palmer sagte, dass, wenn sie Covid-19 bekommen hätten, man sie hätte retten müssen, obwohl sie ein halbes Jahr später eh gestorben wären – ihm kann man nun wirklich Zynismus vorhalten.

Auf jeden Fall, Heiner Bummel verstarb und fand sich kurze Zeit später im Himmel wieder. Da er ein Kirchgänger gewesen war, kein sehr überfrommer, aber immerhin, war es für ihn auch nicht verwunderlich, dass es den Himmel wirklich gab. Auch dass ihn Petrus empfing, fand er nicht erstaunlich, erstaunlicher fand er da schon das Outfit des Schlüsselhalters, er hatte irgendwie weisses Wallegewand und Rauschebart erwartet, mit Businesslook (Boss, Krawatte von Armani, Schuhe von Prada Men, Uhr: Rolex) hatte er nicht gerechnet, aber was ihn fast umhaute, war das Büro des Heiligen. Auf 3 Laptops und 5 Computern flirrten die Daten, da war man über jeden Abgang und jeden zu erwartenden Abgang auf der Welt informiert, zudem war der Himmel auf Twitter, Facebook, auf Instagram und YouTube unterwegs, man konnte also mit Fug und Recht sagen, auch dort ging man mit der Zeit.

Petrus sah Heiner an, er öffnete auf seinem Tablet (ach ja, von denen gab es auch noch 12, zudem 30 Smartphones und Androids) eine Datei und seufzte dann leicht: „Oh, tja, guter Mann, kein schlechtes Leben geführt, auf jeden Fall Himmel, keine Frage, aber leider noch ein bisschen Cleaning-Office.“ „Cleaning-Office?“, fragte Bummel höchst erstaunt, „Cleaning-Office?“ Petrus lachte: „Ihr kennt das wohl noch unter dem Namen Fegefeuer, oder Fegfeuer, französisch purgatoire, italienisch purgatorio, kennt man von Dante, übrigens nicht zu verwechseln mit purgante, das wäre ein Abführmittel, allerdings natürlich vom gleichen Stamm hergeleitet, dem lateinischen purgare, reinigen, aber da heutzutage dieses Reinigen, Klären, Säubern sich meistens elektronisch abspielt, haben wir uns den Terminus Cleaning-Office angewöhnt.“

Heiner Bummel war völlig überrumpelt. Erstens hatte er das Fegefeuer immer für eine katholische Erfindung gehalten, er war evangelisch, aber wenn, dann hatte er nicht mit einem Office gerechnet. Fast willenlos liess er sich von Petrus in ein kleines Büro führen, in dem ein Tisch, ein Stuhl und ein Laptop stand, dazu auf einem Gestell ein dickes Dossier. Als er den Himmelshüter fragend ansah, grinste dieser und meinte: „Lies die Akte, dann wird alles klar. Nahrung und Trinken brauchst du keine mehr, wenn du fertig bist – und das kommt auf dein Tempo an, dann kommst du wieder zu mir und bekommst deine Flügel.“

Als St. Peter gegangen war, schlug Heiner den Ordner auf. Da er mit den schrecklichsten Sünden und grausamsten Verfehlungen, und dafür die schlimmsten Qualen gerechnet hatte, war er über den Inhalt des Schriftstücks bass erstaunt:

12. April 1955
Webergasse 14
„Ich komme mal vorbei:“
17. April 1957
Hauptstrasse 30
„Ich schaue mal rein.“
20. Mai 1957
0711 564534
„Ich ruf dich an.“
2. Januar 1958
034 76534
„Ich ruf dich mal an.“
3. April 1958
Am schönen Platz 56
„Ich schreib dir `ne Karte.“
15. September 1959
Burgplatz 1
„Ich schreib dir `nen Brief.“
30. Dezember 1959
052 3645478
„Ich ruf dich an.“
13. Februar 1960
063 9834523
„Ich ruf dich an.“

Dies war gerade mal die erste Seite des ca. 2000seitigen Dossiers. Später kamen dann noch die Bemerkungen Ich schick dir ein Fax und Ich schick dir ne Mail, die Äusserungen Ich schick dir ne SMS und Ich whattsappe mal dazu.
Und nun fiel es Herrn Bummel wie Schuppen von den Augen: All diesen Leuten (wer waren sie überhaupt?) hatte er versprochen, sich zu melden. In seiner Jugend mit echter Präsenz, telefonisch, später per SMS oder WhatsApp. Und bei allen diesen Nummern und Adressen sollte er sich wahrscheinlich melden.

Er ging zu Petrus und fragte unverblümt, wie er das schaffen sollte. „Oh“, grinste Petrus, „das ist ganz einfach. Gib alles in den Laptop ein, der findet alles heraus, ist ja ein Himmelsgerät. Steht dort: Himmel, mache nichts, die Person triffst du dann hier sowieso. Steht dort: Hölle, nichts zu machen, die ist verloren. Findest du eine Mailadresse oder Handynummer, schreibe, wie von Geisterhand wird deine Nachricht auf dem Gerät landen.“ „Aber da brauche ich ja ewig, und muss das wirklich sein? Ich meine, die Phrase mit mal melden, das ist doch oft nur so dahingesagt.“ „Wir sind hier altmodisch, weisst du, als ich auf Erden weilte, da meinten wir solche Dinge noch ernst, wenn ich sagte, ich komme vorbei, dann ging ich auch vorbei…“

Und Heiner machte sich ans Werk:
Schon die erste Adresse war ein Treffer: Paul, Schulkollege, damals wohnhaft in der Webergasse und noch am Leben. Er besass sogar ein Handy; und Heiner schrieb:
Hallo Paul, ich bin inzwischen im Himmel und muss Versäumnisse abarbeiten. Es tut mir so leid, dass ich im April 1955 nicht vorbeigekommen bin.

Zwei Stunden später kam die Antwort:
Hallo Heiner. Macht gar nix. Kann ich verstehen. Ich sitze übrigens drei Kabinen weiter. Aber ich bin schon bei 2007. Gehen wir dann auf Wolke 45 mal einen Kaffee trinken?


    

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