Freitag, 26. Juni 2020

"15 Solos": Vom Schmuddelfilm zum Arthouse-Movie


Die Filmindustrie darbt. Auch hier hat Corona voll zugeschlagen. Besonders betroffen ist hier natürlich ein Zweig, der, auch wenn es wieder Drehgenehmigungen für Produktion gibt, sich an die Regeln, die Distanzregeln, die Abstandsregeln nicht wird halten können: Die Pornobranche. Hier ist an Abstand, an Distanz einfach nicht zu denken. Logisch.

Der Gay-Porno-Produzent Jock Schippers aus Hamburg hatte im März nun aber eine Idee: Wenn alle seine Jungs zuhause rumhocken und Däumchen drehen, dann könnte ja man was quasi im Homeoffice machen. Und so entstand die Idee von 15 Solos. Er forderte seine Boys auf, sich bei der Selbstbefriedigung zu filmen, dabei aber witzig und kreativ zu sein, also nicht den „regieangeleiteten Mainstream-Mist“ (so Jock) zu betreiben, sondern irgendwas Schräges.

Und es war erstaunlich, auf was für Ideen seine Jungs kamen, es war noch erstaunlicher, dass einige mit Zitaten aus der Filmgeschichte arbeiteten.
Jochen, der es mit sich unter der Dusche trieb, hielt die Kamera eine Zeitlang direkt unter den Duschstrahl – Psycho liess grüssen.
Marc tat das wirklich und ausgiebig, was in American Pie eben nicht getan werden konnte (der Film hat FSK 12): Sex mit dem Apfelkuchen.
Clemens filmte nur sein Gesicht bei dem, was er tat – klare Hommage an Blow Job von Andy Warhol.
Auch Jack, der mit dem Cumshot begann und sich dann 8 Minuten beim Schlaf danach filmte, orientierte sich an der Pop Art-Grösse, an dessen Werk Sleep, das allerdings vier Stunden lang einen schlafenden Mann zeigte.
Georg und Frederic hatten mehr die Malerei im Sinn. Georg, der sich von hinten aufnahm, wie er irgendetwas zu stossen schien, wirkte mit roter Seide um die Schultern und mit seinem blossen (allerdings phänomenalen) Hinterteil wie eine Figur eines Phaeton-Sturzes oder einer Ares-Apotheose aus der Barockzeit. Und Eric nahm mit seiner Pool-Szene David-Hockney auf, er lag mit knappen weisser Badehose auf dem Liegestuhl und liess diesen Badeslip auch an, er rieb nur darüber bis zur bitteren Neige.
Die restlichen schwankten zwischen „freier Improvisation“ und „traditionellem Porno“.

Die Produktion, die Idee floppte. Sie floppte in einem Ausmass, das sich Jock Schippers nicht hätte träumen lassen. Seine Kundschaft wollte so etwas einfach nicht sehen. Sie wollte keine Gesichter angucken, keine Duschstrahlen, sie wollte keine Badehosen und keine Schlafenden sehn, sie wollte – man muss das ganz primitiv ausdrücken – Penisse.
Und da Jock allen seinen Boys ein Honorar versprochen hatte, sass er nun auf einem grösseren Schuldenberg, als er durch die Coronakrise eh gehabt hätte.
Hier kam das Angebot von Dr. Karin Bodlowski, Geschäftsführerin der Papyrus & Flokati Filmproduktionen GmbH Hamburg wie eine Erlösung. Sie bot Jock Schippers 10 000.-- für alle Rechte. Er willigte sofort ein.  

Papyrus & Flokati konnten 15 Solos in mehreren Filmtagen platzieren, Filmtage, die natürlich alle online stattfanden: Und das Werk schlug ein wie eine Bombe. An die hunderttausend Zuschauer guckten den Streifen bei der letzten Vorführung und die Feuilletons beeilten sich, ihre Kommentare zu liefern.
Die waren meistens ergreifend positiv:

Ein Meisterwerk in der Nachfolge der Pop Art – witzig, frech, provokant. Hier gibt es erfrischend neues, sehr jugendliches und hoch brisantes Kino. Autorenfilm at its best.
Zacharias Blaumer, FAZ

Der Regisseur betätigt sich hier als Voyeur. Und zwar in einer solchen Eindeutigkeit, dass an seinem Voyeurismus keine Zweifel aufkommen. Aber waren und sind sie nicht alle Voyeure? Die Allens und Chabrols und Pasolinis dieser Welt? Ist Kino ohne den voyeuristischen Blick der Kamera überhaupt möglich? Dieser Streifen gibt eine klare Antwort auf diese Fragen.
Urs Bitterli, NZZ

Die Anspielungen und Zitate zeigen ausser ihrem witzigen Auftreten auch eine starke Hoffnungslosigkeit: Sich selbst (alle haben ja nur mit sich selbst zu tun) und die Vergangenheit, mehr scheinen diese Männer nicht zu haben – und so ist ihre Selbst-Befriedigung ein Auflehnen gegen die Isolation und gegen die Vergangenheit.
Nike von Bodron, SWR2 Kultur am Abend 

Allerdings hielten Süddeutsche Zeitung und ZEIT in frecher Weise dagegen:

Ein interessanter, aufgeweckter, aber nicht notwendiger Film. Ja, und irgendwann auch ein etwas ermüdender. Trotz aller Bemühungen um Farbigkeit und aller Zitate hat man schliesslich genug von all den schönen Kerlen, die sich im Lendenbereich bearbeiten. Man möchte es nicht mehr schauen…
schrieb Droste Daller in der ZEIT

Rudi Rott liess sich dann in der Süddeutschen zu einem versuchten und misslungenen Vernichtungsschlag hinreissen:
Das ist keine Kunst und keine Kultur, das ist Schmuddelware, Schmuddelkram von der übelsten Sorte. Man hat das Gefühl, dieses Werk sei in keinem Art-Atelier, sondern in den Hinterzimmern einer Porno-Firma gemacht worden.

Ein Sturm der Entrüstung brach darauf los und Rott konnte sich kaum seiner Haut retten. Die Liste der Vorwürfe ist lang:
Prüderie
Verklemmtheit
Bigotterie
Banausentum
Unkenntnis der Kunstgeschichte
Moralapostel
Mensch, der lange keinen Sex hatte
usw.
usw.
usw.

Wie nah Rott der Wirklichkeit gekommen war, hat er nie erfahren.
Und wird er nie erfahren. 
Schippers und Bodlowski schweigen wie Gräber.







 

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