Kein Mensch
ist unersetzlich.
Kein Mensch
ist unentbehrlich.
Kein Mensch
hat eine Position, die von keinem anderen wahrgenommen werden könnte, kein
Mensch hat etwas erreicht, das von keinem anderen weitergeführt werden könnte.
Kein Mensch
ist so wichtig, dass er nicht in Pension gehen könnte, dass er sein Amt nicht
weitergeben könnte und sich zur Ruhe setzen.
Kein Mensch
ist unersetzlich.
Ausser Jaap
Willemsen natürlich, der Küster der St. Holda-Kirche in Bruchbüttel. Er könnte
nie in Rente gehen, er war auch nie krank und nie in Ferien.
Ohne ihn
geht nichts.
Nur er
weiss, welcher der 145 Schlüssel welche Funktion hat und welcher Bart dieser
einhundertfünfundvierzig Schlüssel in welches Loch passt. Nur er kennt den
Inhalt der ca. hundert Schränke in Sakristei, Eingang, Dachboden und
Gemeindesaal, weiss, wo sich die weissen und die roten Kerzen, wo sich
Tischtücher und Putzlappen befinden. Und nur er hat Ahnung von den unzähligen
Schaltern für Licht und Glocken.
Jaap
Willemsen ist unersetzlich.
Ja, und
Hubert Moser natürlich, der Dirigent der Musikgesellschaft Oberdorf (TG) e.V.
Er könnte nie in Rente gehen, nie in Pension. Nur er kennt sämtliche
Musikerinnen und Musiker des Thurgaus, weiss, wen man als Aushilfe für die
Bassklarinette fragen kann und wen als Gast für das Marimbaphon, er weiss, welcher
Verein die Noten für den Wohlgefallen-Marsch ausleiht und welche Musik die
Partitur vom Ländler-Potpourri. Er ist so völlig vernetzt, dass diese
Vernetzung niemand anderes hat und bieten kann.
Hubert Moser
ist unersetzlich.
Ja, und
natürlich Jean Dupont, der Chefkoch vom Château du Rose in Dijon, er hat
alle Rezepte im Kopf, das seiner unvergleichlichen Consommé genau wie das
seiner Ente mit Kräutern, nur er weiss, wie die Fischsuppe gemacht wird und
natürlich kennt nur er die Zutaten jener Pfirsich-Mousse, die dem Château
du Rose letztendlich seinen Michelin-Stern eingebracht hat.
Aber natürlich
ist das alles Quatsch.
Willemsen,
Moser und Dupont sind nicht unersetzlich, sie probieren, sich unersetzlich zu
machen. Der gute Küster könnte ja mal Klebeetiketten und Schlüsselanhänger und
vor allem einen Filzstift kaufen und Schlüssel, Kästen und Schalter
beschriften, dann wäre ein potentieller Nachfolger nicht so völlig überfordert.
Der werte Herr Dirigent könnte seine Kontakte mit dem Präsidium oder dem
Vorstand des Vereins bekanntmachen, so dass Aushilfen und Ausleihe eben auch
über andere Leute laufen könnten. (Wie es übrigens in fast allen Chören und
Musiken der Fall ist…)
Und Dupont?
Er müsste einfach Zettel und Papier nehmen und die Rezepte seiner
unvergleichlichen Consommé, genau wie das seiner Ente mit Kräutern, der
Fischsuppe à la Chef und der sternebringenden Pfirsich-Mousse einfach
aufschreiben.
Willemsen,
Moser und Dupont, der Küster, der Dirigent und der Koch (klingt jetzt fast nach
einem Filmtitel…) haben eine Aura der Unersetzlichkeit, der Unabdingbarkeit,
der Singularität künstlich geschaffen.
Das Gefühl, absolut
unersetzbar zu sein, der Einzige zu sein, der es kann, der es weiss, der die
Dinge am Laufen hält, der Einzige zu sein, der drauskommt, verleiht eine
gewisse Arroganz. Ja, es macht wahrscheinlich sogar ein richtiges Arschloch
(sit venia verbo) aus einem.
Willemsen
könnte an jedem Sonntag zu spät kommen, was will der Kirchenvorstand machen?
Kündigen kann man dem Guten ja nicht, weil sonst das totale Chaos ausbräche,
wenn man nicht einmal weiss, welcher Schlüssel passt.
Moser könnte
die unmöglichsten Stücke aussuchen, langweilig, öde und abgespielt, aber man
kann ihn ja nicht zur Rede stellen, denn dann droht er, den Bettel
hinzuschmeissen und dann geht ja gar nichts mehr.
Und Dupont
könnte jedem Küchenjungen an den Hintern langen, auch hier ist man ja machtlos,
wenn man die Rezepte nicht kennt.
Herr Morales
in Bolivien ist wahrscheinlich genau diesem Irrtum erlegen.
Der einstmalige
Held der unteren Klassen, der erste indigene Präsident Lateinamerikas, jener
Mann, der so viel Erfolge erzielte, der Bolivien in die Gegenwart holte und das
Pro-Kopf-Einkommen verdoppelte, muss irgendwann vor dem Spiegel gestanden sein
und gedacht haben:
Ich bin
unersetzlich.
Nichts geht
ohne mich.
Ich bin
Gott.
Ohne mich
hört die Erde sich auf zu drehen.
Und dann
kandidierte er (verfassungswidrig) für eine vierte Amtszeit, und bei der Wahl
wurde dann auch tüchtig gemogelt, eben weil es ohne ihn ja nicht ginge, ohne
ihn alle hilflos seien. Aber er hatte sich getäuscht:
Nu isser
weg.
Kein Mensch
hat eine Position, die von keinem anderen wahrgenommen werden, kein
Mensch hat etwas erreicht, das von keinem anderen weitergeführt werden könnte.
Kein Mensch
ist so wichtig, dass er nicht in Pension gehen könnte, dass er sein Amt nicht
weitergeben könnte und sich zur Ruhe setzen.
Kein Mensch
ist unersetzlich.
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