Der Urmensch
kannte sein Umfeld optisch genau. Er konnte seine Augen benutzen, konnte sie
gebrauchen und mit ihnen umgehen. Seine Augen sahen. Sie sahen den kleinen
Käfer im Busch und die winzige Beere am Strauch, sie sahen die Wolken und den
ersten Regentropfen, sie sahen die Spur des Tigers und die Fährte des Wolfes.
Sie sahen in die Welt hinein und gaben ihm alle Informationen, die er brauchte.
So konnte der Urmensch auch jede Tages- und jede Jahreszeit mit seinen Augen
bestimmen, ein Blick zum Himmel, zum Sonnenstand gab ihm exakter die «Uhrzeit»
– das Wort kannte er natürlich noch nicht – als jede Funkuhr heute und er sah
an den kleinsten Veränderungen, ob es März wurde oder Mai – auch diese Worte
kannte er natürlich nicht. Die Augen des Homo sapiens sahen das erste Blatt im
Herbst fallen und den ersten Krokus wachsen, sie sahen das Licht sich im Sommer
verändern und bemerkten auch die winzigste erste Schneeflocke.
Diese
Fähigkeit ist uns abhandengekommen. Wenn wir nicht auf die Datumsanzeige und
die Digitaluhrzeit unseres PCs schauten, wüssten wir überhaupt nicht mehr, ob
es Morgen, Mittag oder Abend, ob es Frühling, Sommer, Herbst oder Winter ist.
Wir fahren mit dem Lift aus unseren airconditionierten Wohnungen in die
Tiefgarage und von dort aus durch 1000 Tunnel in unsere airconditionierten
Büros, wo wir bei heruntergelassenen Storen den ganzen Tag auf einen Bildschirm
starren, dann geht es heim durch abermals 1000 Tunnel, zurück in das
Appartement mit Klimaanlage,
in dem wir,
wieder vor einem Screen, uns mit TV oder Social Media beschäftigten. Die Augen
des Homo modernus sehen nicht mehr das erste Blatt im Herbst fallen und den
ersten Krokus blühen, sie sehen nicht das Licht sich im Sommer verändern und
bemerken auch die keine noch so grosse erste Schneeflocke.
Zum Glück
hat der Mensch seit langem schon akustische Signale entwickelt, die uns die
Veränderung am Tag und während des Tages anzeigen. Früher schlug die Stunde von
der Kirchturmuhr, später von der Standuhr und heute kann man sich einen Timer
einstellen, der alle Stunde piep-piep-piep macht. Die Jahreszeiten hat man
durch Feuerwerke (Neujahr/Nationaltag), den Frühlingsbeginn mit Lärm
(Fastnacht), den Sommer durch Partynächte und Grillgeräusche manifestiert.
Und den
Herbst?
Gut, Blätter
fallen zwar wie von weit und mit verneinender Gebärde, wie Rilke
schreibt, aber sie fallen geräuschlos.
Und da
erfand man den Laubbläser.
Der
Laubbläser hat, auch wenn das immer wieder behauptet wird, keinerlei praktische
Funktion. Er schafft es nicht, das Laub zu beseitigen, genauso wenig, wie er es
schafft, das Laub auf einen Haufen zu konzentrieren. Stellen Sie sich vor, Sie
würden Ihre Putzfrau dabei beobachten, wie sie den Dreck mit einem Besen von
der einen Seite des Zimmers in die andere schiebt. Was würden Sie tun? Genau.
Sie würden ihr kündigen, höflich, aber bestimmt. Sie würden ihr auch kündigen,
wenn Sie sehen würden, wie sie über anklebendem Dreck einfach mit dem Besen
fährt, das ist das, was passiert, wenn Laubbläser auf nasses Laub treffen.
Nein, der
Laubbläser hat keinen Nutzen, er muss einfach nur laut sein.
Und mit
«Laubbläser» meine ich das Gerät, nicht den Menschen. Natürlich hegen wir alle
Mordgedanken gegen diese Abwarte und Hauswarte, gegen diese Hausmeister und
Strassenarbeiter, planen wir Folter und Qual ob aller dieser
Reinigungsfachmänner und Gehwegputzer, die uns unsere Telefonate stören und
Musik hören verunmöglichen, aber bitte: Keine reale Gewalt! Diese Menschen
können nichts dafür, irgendein Chef oder irgendeine Chefin haben ihnen das Teil
in die Hand gedrückt und gesagt: «Beblase heute mal die Hinterhöfe von
Hauptstrasse 12 bis 134.»
Obwohl…
Vielleicht
haben doch einige der Abwarte und Hauswarte, der Hausmeister und
Strassenarbeiter, haben einige dieser Reinigungsfachmänner und Gehwegputzer
ihren perversen Spass, ihre grosse Lust daran und empfinden eine gewisse
Genugtuung. Es sind ja doch immer nur Männer, die mit diesen Geräten auftauchen
und wenn man die Form dieser Apparate anschaut, kommt man sehr schnell auf
einen Phallus. Vielleicht denkt doch so mancher: «Ich habe den längsten!» und ein
anderer «Ich habe den lautesten» und ein dritter «Ich habe den längsten UND den
lautesten.» Und vielleicht muss man den alten Spruch doch umschreiben:
aus
Wer einen
kleinen Schwanz hat, hat ein grosses Auto.
wird dann
Wer einen
kleinen Schwanz hat, hat einen grossen Laubbläser.
Der Urmensch
kannte sein Umfeld optisch genau. Seine Augen sahen. Sie sahen den Käfer im
Busch und die Beere am Strauch, sie sahen die Regenwolken und den ersten
Tropfen. Der Urmensch konnte jede Tages- und jede Jahreszeit mit seinen Augen
bestimmen, er sah an den kleinsten Veränderungen, ob es Mai wurde oder
September. Seine Augen sahen das erste Blatt im Herbst fallen und die erste
Primel wachsen, sie sahen das Licht sich im Sommer verändern und bemerkten auch
die winzigsten ersten Schneeflocken.
Vielleicht
sollten wir wieder sehen lernen.
Und
vielleicht verschwänden dann die Sylvesterknaller und Piep-piep-piep-Timer, die
Grillgeräusche und Sommerpartys, verschwänden und alle weiteren
Lärmbelästigungen.
Und
natürlich auch die Laubbläser.
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