Freitag, 22. November 2019

Herr Suter macht eine Überweisung


Urs Suter, ehemaliger Oberpostdirektor, ist ein sorgfältiger Mensch. Er ist von einer Sorgfalt, die ein weniger wohlwollender Zeitgenosse vielleicht sogar als Pedanterie rügen könnte, aber das wäre Urs Suter, dem ehemaligen Postdirektor, egal. Was er tut, und so viel muss er ja nicht mehr tun, tut er gründlich. Er reinigt seine Wohnung mit einer Sorgfalt, die jede Hauswirtschafterin zu hellen Jubelrufen verleiten würde, und er stapelt seine Hemden millimetergenau, obwohl kein Stubenoffizier ihn mehr kontrolliert, er kocht genau nach Rezept und misst – muss das noch gesagt werden? – seine Zutaten grammgenau ab.

Nun ist er gerade dabei, eine Überweisung ins Ausland zu machen, er hat als leidenschaftlichen Kaninchenzüchter (o ja, auch seine Ställe könnten bei jeder auch unangemeldeten Inspektion als tadellos durchgehen…) mehrere Zeitschriften abonniert, darunter Hase & Kaninchen des norddeutschen Verlages Schmidt und Co. Urs Suter schreibt also in das Empfängerfeld:
Hase & Kaninchen
Verlagshaus Schmidt und Co.
Hauptstrasse 67
27283 Verden (Aller)
00 49 4231 565578
Natürlich sind das eine Menge Angaben, die nicht unbedingt nötig wären, aber Suter ist eben ein Mensch, der eine Sorgfalt besitzt, die manchmal die Grenze der Pingeligkeit überschreitet. Als nächstes trägt der Pensionär die IBAN in das entsprechende Feld ein:
DE66 0023 3233 5360 8940S
und sofort erscheinen auch der Name der Bank und die BIC:
Sparkasse Aller
Postfach 46 / 27283 Verden
BIC SVWDEVE80A
Suter prüft nun alle Angaben noch einmal ganz genau, natürlich muss man davon ausgehen, das alles stimmt, denn der Name der Bank ist eingespeichert, ebenso wie die BIC, die Bankenkennziffer, und bei einer falschen IBAN hätte das System auch die Bank nicht gefunden, aber man weiss ja nie, der Teufel ist ein Eichhörnchen und steckt im Detail und man hat – wie meine Grossmutter zu sagen pflegte – auch schon Pferde kotzen sehen.
Die Eingabe des Betrages geht ihm dann leicht von der Hand:
EUR 85,00
Dafür schlägt dann beim Zahlungsgrund seine Gründlichkeit, die eben auch Pedanterie genannt und seine Sorgfalt, die auch Pingeligkeit geheissen werden könnte, wieder voll zu. Wer eben seine Wohnung so reinigt, dass auch Hauswirtschafterinnen Freude haben könnten und seine Hemden millimetergenau zusammenlegt, wer streng nach Rezept kocht und dabei die Zutaten aufs Gramm genau abwiegt, der kann beim Banking keine halben Sachen dulden. So schreibt Suter:
Abonnement Hase & Kaninchen / Jahrgang 2019
Abo-Nummer: 657434
Kundennummer: 234356/723
Rechnungsnummer 2019/6754634
Nun prüft der Postdirektor im Ruhestand noch einmal alle Angaben genau und schickt dann den Auftrag ab.

Nun kann man fragen, ob das eine Glosse wert ist.
Was ist so spannend und brisant an der Sache, wenn ein Exbeamter Gründlichkeit und Sorgfalt walten lässt, wenn er seine Wohnung quasi mit der Zahnbürste reinigt und seine Hemdenstapel wie beim Militär aussehen, wenn er, sollte im Rezept «150 Gramm» stehen, eben auch 150 und nicht 145 oder 155 nimmt? Was ist so lustig daran, dass er auch beim E-Banking mit – jetzt nennen wir nur die bösen Worte – mit Pedanterie und Pingeligkeit vorgeht?

Weil – und jetzt wird die Sache heikel – es eben nicht das E-Banking ist.

Urs Suter tätigt seine Bankgeschäfte nicht daheim am Laptop, sondern am Automaten seiner Bankfiliale. Und dort müssen eben ein paar Leute unter seiner Pedanterie leiden, das stellt jetzt eine Überweisung in klare Opposition zu Hausputz, Wäsche und Kochen. Bis der Ex-Oberpostdirektor seine Zahlung übermittelt hat, hat sich eine Schlange von 8 Personen gebildet, zwei junge Frauen mit Einkaufstaschen, drei Arbeiter in der Mittagspause und zwei Rentnerinnen. Und diese 8 warten.
Und warten.
Und warten.
Zwischendurch ruft Urs Suter den zwei jungen Frauen mit Einkaufstaschen, den drei Arbeitern in der Mittagspause und den zwei Rentnerinnen ein fröhliches «Auslandsüberweisung» zu, aber das macht die Sache nicht besser.

Es gibt eine Gründlichkeit, eine Sorgfalt, die unendlich nervt. Und sie nervt eben dann so sehr, wenn andere Menschen beteiligt sind.
Ich stelle mir Herrn Suter in seinem ehemaligen Büro vor: Die Kugelschreiber und Bleistifte aufgereiht wie Soldaten und die Papiere millimetergenau auf Stapel, im Regal die Aktenordner so gestellt, dass sie eine glatte Fläche bilden. Und wahrscheinlich hat der Gute bei jedem Sitzungsprotokoll jedes Wort genau auf die Goldwaage gelegt, wahrscheinlich hat er bei Visitationen Schalterbeamte aufs Schärfste gerügt, weil sie bei einem Briefgewicht von 251 Gramm nicht den höheren Tarif verlangt haben.

Urs Suter ist ein sorgfältiger Mensch.
Und es wäre ihm egal, wenn eine böse Zunge seine Sorgfalt als Pedanterie bezeichnen würde.
Was er tut, tut er gründlich. Sei es Hausputz, Wäsche oder Kochen.
Aber er nervt.

Ich habe ihn übrigens schon einmal erlebt (natürlich wusste ich nicht, wie er heisst, aber die Story in der Bank ist passiert). Und als er mir das fröhliche «Auslandsüberweisung» zurief und ich daran dachte, dass ich a) eine solche Überweisung in 5 Minuten hinkriege und b) es mir jetzt für mehrere andere Besorgungen nicht reicht, da war ich froh, dass ich keine Waffe bei mir trage. 
   



     

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