Urs Suter,
ehemaliger Oberpostdirektor, ist ein sorgfältiger Mensch. Er ist von einer
Sorgfalt, die ein weniger wohlwollender Zeitgenosse vielleicht sogar als
Pedanterie rügen könnte, aber das wäre Urs Suter, dem ehemaligen Postdirektor,
egal. Was er tut, und so viel muss er ja nicht mehr tun, tut er gründlich. Er
reinigt seine Wohnung mit einer Sorgfalt, die jede Hauswirtschafterin zu hellen
Jubelrufen verleiten würde, und er stapelt seine Hemden millimetergenau, obwohl
kein Stubenoffizier ihn mehr kontrolliert, er kocht genau nach Rezept und misst
– muss das noch gesagt werden? – seine Zutaten grammgenau ab.
Nun ist er
gerade dabei, eine Überweisung ins Ausland zu machen, er hat als
leidenschaftlichen Kaninchenzüchter (o ja, auch seine Ställe könnten bei jeder
auch unangemeldeten Inspektion als tadellos durchgehen…) mehrere Zeitschriften
abonniert, darunter Hase & Kaninchen des norddeutschen Verlages
Schmidt und Co. Urs Suter schreibt also in das Empfängerfeld:
Hase
& Kaninchen
Verlagshaus
Schmidt und Co.
Hauptstrasse
67
27283
Verden (Aller)
00 49
4231 565578
Natürlich
sind das eine Menge Angaben, die nicht unbedingt nötig wären, aber Suter ist
eben ein Mensch, der eine Sorgfalt besitzt, die manchmal die Grenze der
Pingeligkeit überschreitet. Als nächstes trägt der Pensionär die IBAN in das
entsprechende Feld ein:
DE66 0023
3233 5360 8940S
und sofort
erscheinen auch der Name der Bank und die BIC:
Sparkasse
Aller
Postfach
46 / 27283 Verden
BIC
SVWDEVE80A
Suter
prüft nun alle Angaben noch einmal ganz genau, natürlich muss man davon
ausgehen, das alles stimmt, denn der Name der Bank ist eingespeichert, ebenso
wie die BIC, die Bankenkennziffer, und bei einer falschen IBAN hätte das System
auch die Bank nicht gefunden, aber man weiss ja nie, der Teufel ist ein
Eichhörnchen und steckt im Detail und man hat – wie meine Grossmutter zu sagen
pflegte – auch schon Pferde kotzen sehen.
Die
Eingabe des Betrages geht ihm dann leicht von der Hand:
EUR 85,00
Dafür
schlägt dann beim Zahlungsgrund seine Gründlichkeit, die eben auch Pedanterie
genannt und seine Sorgfalt, die auch Pingeligkeit geheissen werden könnte,
wieder voll zu. Wer eben seine Wohnung so reinigt, dass auch
Hauswirtschafterinnen Freude haben könnten und seine Hemden millimetergenau
zusammenlegt, wer streng nach Rezept kocht und dabei die Zutaten aufs Gramm
genau abwiegt, der kann beim Banking keine halben Sachen dulden. So schreibt
Suter:
Abonnement
Hase & Kaninchen / Jahrgang 2019
Abo-Nummer:
657434
Kundennummer:
234356/723
Rechnungsnummer
2019/6754634
Nun prüft
der Postdirektor im Ruhestand noch einmal alle Angaben genau und schickt dann
den Auftrag ab.
Nun kann
man fragen, ob das eine Glosse wert ist.
Was ist so
spannend und brisant an der Sache, wenn ein Exbeamter Gründlichkeit und
Sorgfalt walten lässt, wenn er seine Wohnung quasi mit der Zahnbürste reinigt
und seine Hemdenstapel wie beim Militär aussehen, wenn er, sollte im Rezept
«150 Gramm» stehen, eben auch 150 und nicht 145 oder 155 nimmt? Was ist so
lustig daran, dass er auch beim E-Banking mit – jetzt nennen wir nur die bösen
Worte – mit Pedanterie und Pingeligkeit vorgeht?
Weil – und
jetzt wird die Sache heikel – es eben nicht das E-Banking ist.
Urs Suter
tätigt seine Bankgeschäfte nicht daheim am Laptop, sondern am Automaten seiner
Bankfiliale. Und dort müssen eben ein paar Leute unter seiner Pedanterie
leiden, das stellt jetzt eine Überweisung in klare Opposition zu Hausputz,
Wäsche und Kochen. Bis der Ex-Oberpostdirektor seine Zahlung übermittelt hat,
hat sich eine Schlange von 8 Personen gebildet, zwei junge Frauen mit
Einkaufstaschen, drei Arbeiter in der Mittagspause und zwei Rentnerinnen. Und
diese 8 warten.
Und
warten.
Und
warten.
Zwischendurch
ruft Urs Suter den zwei jungen Frauen mit Einkaufstaschen, den drei Arbeitern
in der Mittagspause und den zwei Rentnerinnen ein fröhliches
«Auslandsüberweisung» zu, aber das macht die Sache nicht besser.
Es gibt
eine Gründlichkeit, eine Sorgfalt, die unendlich nervt. Und sie nervt eben dann
so sehr, wenn andere Menschen beteiligt sind.
Ich stelle
mir Herrn Suter in seinem ehemaligen Büro vor: Die Kugelschreiber und
Bleistifte aufgereiht wie Soldaten und die Papiere millimetergenau auf Stapel,
im Regal die Aktenordner so gestellt, dass sie eine glatte Fläche bilden. Und
wahrscheinlich hat der Gute bei jedem Sitzungsprotokoll jedes Wort genau auf
die Goldwaage gelegt, wahrscheinlich hat er bei Visitationen Schalterbeamte
aufs Schärfste gerügt, weil sie bei einem Briefgewicht von 251 Gramm nicht den
höheren Tarif verlangt haben.
Urs Suter
ist ein sorgfältiger Mensch.
Und es wäre
ihm egal, wenn eine böse Zunge seine Sorgfalt als Pedanterie bezeichnen würde.
Was er tut, tut
er gründlich. Sei es Hausputz, Wäsche oder Kochen.
Aber er
nervt.
Ich habe ihn
übrigens schon einmal erlebt (natürlich wusste ich nicht, wie er heisst, aber
die Story in der Bank ist passiert). Und als er mir das fröhliche
«Auslandsüberweisung» zurief und ich daran dachte, dass ich a) eine solche
Überweisung in 5 Minuten hinkriege und b) es mir jetzt für mehrere andere
Besorgungen nicht reicht, da war ich froh, dass ich keine Waffe bei mir
trage.
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