Dienstag, 26. November 2019

Baden-Württemberg, einst das Land der Dichter, bald das Land der Analphabeten


Das damalige Herzogtum Württemberg führte schon im 15. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht ein. (Drei Jahrhunderte vor den Preussen, die immer behaupten, die ersten gewesen zu sein.) Seitdem galt und gilt das Lesen und Schreiben, das Dichten und Denken, gilt und galt das Notieren und Philosophieren, aber auch das Grübeln und Erfinden als ein Motor dieses kleinen Ländchens. Was sollten die Schwaben auch anderes tun, ausser Lesen und Schreiben, Dichten und Denken, ausser Notieren, Philosophieren, Grübeln und Erfinden? Württemberg besass (besitzt) keinerlei Bodenschätze, keine wirklich fruchtbaren Regionen, die Alb-Bauern ernten vor allem Jura-Kalksteine und der Wein des Neckartales ist dünn und sauer, da war es eben gut, wenn man sagen konnte:

Der Schelling und der Hegel,
Der Schiller und der Hauff:
Das ist bei uns die Regel,
Das fällt uns gar nicht auf.

Später kamen zu den Dichtern und Denkern noch die Erfinder und Unternehmensgründer dazu, Daimler und Bosch und Co., und so wurde in Württemberg nicht nur der Benzinmotor, sondern z.B. auch der Teddybär erfunden (Margarete Steiff in Giengen). Um es fair zu machen: Das Auto wurde fast gleichzeitig von Carl Benz in Karlsruhe entwickelt, und so sah man schon dann, dass kommen würde, was niemand wollte (und will), was aber absolut vernünftig schein (und schien), ein Südweststaat Baden-Württemberg. Die Badener (bitte nicht Badenser, das ist ein Schimpfwort) brachten zwar auch keine Bodenschätze, dafür aber trinkbaren Wein und Spargel mit, und natürlich ebenfalls eine literarische Bildung – man denke an Johann Peter Hebel – und so war B-W immer ein Staat des Wissens und Denkens. Die Mehrheit der deutschen Patentanmeldungen kommen aus dem Südwesten und bei der Elitevergabe der Unis sahnen die Hochschulen zwischen Mannheim und Ulm stets voll ab.    
Muss man erwähnen, dass B-W auch bei den PISA-Tests und ähnlichen Studien immer vorne lag und sich mit Bayern um den Spitzenplatz stritt?

Jetzt erstaunen Sie wahrscheinlich über das reine Präteritum. Aber es ist so: Der Südweststaat ist bei der Grundschulbildung, der Lese- und Schreibkompetenz ins untere Mittelfeld abgerutscht. Dies verdankt man einer neuen Methode, der (nach ihrem Erfinder so benannte) Reichen-Methode, das Schreiben-wie-ich-höre. Als Grundschüler müsste ich den Anfang dieses Textes so schreiben:

Das damalige Herzoktum Würtemberk fürte schon im 15. Jarhundert die algemaine Schulpflicht ain.

Ich müsste ihn zunächst so schreiben – selbst, wenn ich es besser wüsste! – und dann würde anhand der Fehler, die ich gemacht habe, eine Orthographie erarbeitet. Schon bei Einführung dieser Didaktik runzelten Fachleute die Stirne und rümpften die Nase, und die jetzigen Studien geben dem Runzeln und Rümpfen recht, im Lande von Schiller, Hegel, von Mörike und Hebel können die Zehnjährigen nicht mehr lesen und schreiben.

Natürlich ist die Idee, dass man «aus Fehlern lernt» nicht übel, aber man könnte ja aus den Fehlern, die man trotz der alten Fibel-Methode eh macht, lernen und nicht erst falsche Sätze ins Heft schreiben.
Ich stelle mir diese Didaktik in anderen Fächern vor:
Im Sportunterricht heisst die Devise «Mache einen Salto, so wie du denkst, und beim nächsten Salto lernst du dann aus deinen Fehlern». Es kann nur sein, dass es zum zweiten Salto gar nicht kommt oder dieser erst nach einem zweiwöchigen Spitalaufenthalt geübt werden kann; vielleicht auch NIE mehr, denn selbst wenn der Schüler später bei den Paralympics antritt, Bodenturnen ist KEINE paralympische Disziplin.
In der Hauswirtschaft wird frei nach Gutdünken und nicht nach Rezept gekocht, beim nächsten Male lernen wir dann aus unseren Fehlern, bei diesem Male allerdings wird nicht, wie gewohnt, das Gekochte bei einem fröhlichen Mahle verzehrt, sondern alles weggeworfen und der Pizzadienst bestellt, angesichts des Hungers in der Welt ein fast zynisches Verfahren.
Ganz besonders nett im Chemieunterricht: Hier werden auch die Arbeitsblätter mit strengen Abläufen, die wir noch kannten, abgeschafft, und durch ein freies Experimentieren ersetzt. Und für viele Schülerinnen und Schüler fällt dann der Unterricht wochenlang aus, weil durch eine Knallgasexplosion nicht nur der Chemiesaal, sondern auch der gesamte Schulkomplex in die Luft geflogen sind.

Das Herzogtum Württemberg führte schon im 15. Jahrhundert die allgemeine Schulpflicht ein. Seitdem galt das Schreiben und Lesen, das Denken und Dichten, galt das Notieren und Philosophieren, das Grübeln und Erfinden als ein Motor dieses kleinen Ländchens. Was sollten die Schwaben auch anderes tun, ausser Lesen und Schreiben, Dichten und Denken, ausser Notieren, Philosophieren, Grübeln und Erfinden?
Galt!
In ein paar Jahren wird man Menschen aus Stuttgart einen Text vorlegen und dann sagen: «Ich lese ihn dir besser vor, du kommst ja aus B.-W.»

Tempi passati.
Sic transit gloria mundi.
As time goes by…
Où sont les neiges d'antan?


  





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